Polens neue Regierung vereidigt

Debatte über Afghanistan-Einsatz

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
In Anwesenheit von Präsident Lech Kaczynski wurde am Freitag die neue polnische Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk vereidigt.

Dem neuen Kabinett gehören neun Vertreter von Tusks rechtsliberaler Bürgerplattform (PO), drei Politiker der Bauernpartei (PSL) unter Vizepremier und Wirtschaftsminister Waldemar Pawlak und fünf Parteilose an. Dazu gehört auch Außenminister Radoslaw Sikorski, dessen Berufung sich der Präsident widersetzt hatte. Lech Kaczynski bezichtigte den ehemaligen Verteidigungsminister in der Regierung seines Bruders Jaroslaw des Geheimnisverrats. Premier Tusk setzte sich jedoch darüber hinweg.

Vor der Vereidigung im Präsidentenpalast fand auf dem Pilsudski-Platz ein militärisches Zeremoniell zur Verabschiedung des bisherigen Verteidigungsministers Aleksander Szczyglo durch die Armee statt. In einer kurzen Ansprache würdigte Szczyglo auch den Dienst polnischer Soldaten in auswärtigen Missionen.

Gerade diese »Missionen«, vorwiegend die in Afghanistan, waren in den Tagen zuvor ins Zentrum öffentlicher Debatten gerückt. Sieben Soldaten, die im polnischen Kontingent der Operation »Enduring Freedom« in Afghanistan gedient hatten, waren am Mittwoch in Poznan der Militärstaatsanwaltschaft vorgeführt und wegen Verstößen gegen die Haager und Genfer Konventionen angeklagt worden. Den Beschuldigten drohen nach Presseberichten Haftstrafen zwischen 25 Jahren und lebenslänglich.

Die Soldaten hatten bei einem Einsatz in Afghanistan mehrere Zivilisten getötet und weitere schwer verletzt. Unter den Opfern befanden sich Frauen und Kinder. Zunächst hieß es, der Einsatz sei eine Vergeltungsaktion gegen »Terroristen« gewesen, die sich nach einem Minenangriff auf eine polnische Patrouille in jenem Dorf versteckt haben sollten. Die Untersuchung des »Vorfalls« durch Militärstaatsanwälte ergab ein anderes Bild: Stunden nach der Minenexplosion war ein »Sturmzug« aus dem polnischen Stützpunkt aufgebrochen und hatte mit schweren Maschinengewehren und 60-mm-Geschossen in die Siedlung gefeuert. Schockiert von den Folgen ihres »Vergeltungsaktes«, die per Video dokumentiert wurden, sprachen die Soldaten danach ihre Aussagen untereinander ab. Erst nach ihrer Rückkehr in die Heimat wurde ihr Verhalten beanstandet.

Die Debatte, die erst jetzt eingesetzt hat, ist heuchlerisch. Militärs sprachen von »Fehlern«, die sich daraus ergeben, dass der Einsatz am Hindukusch ein Kampf gegen Partisanen sei. Artur Bilski vom NATO-Korps Nord in Szczecin hielt zivile Opfer in bewohnten Gebieten für unvermeidlich. General Marek Tomaszycki, bis Oktober Kommandeur des polnischen Kontingents, gab zu, dass die »Situation für die Armee schwer ist«. Er hoffe, dass das Gericht alle Umstände analysieren werde.

»Terrorismusexperte« Krzysztof Liedel betonte den »spezifischen Charakter« des Krieges in Afghanistan. Terroristen trügen keine Uniformen und seien folglich von Zivilisten nicht zu unterscheiden. In Zeitungskommentaren las man vom Stress, dem die Soldaten ständig ausgesetzt sind. Vertreter der Militärstaatsanwaltschaft betonten indes mehrfach, dass es für die Soldaten des »Sturmzuges« keine unmittelbare reale Gefahr gab. In »Rzeczpospolita« hieß es indes: »Soldaten und Militärexperten sind empört über das Verhalten der Staatsanwaltschaft.«

Die »Trybuna« sah die »Sinnlosigkeit dieses Krieges« bestätigt. Dass der Krieg insgesamt ein Verbrechen ist, das las und hörte man nirgends. Stattdessen dienen sieben Soldaten, die ein Kriegsverbrechen begangen haben, als Opferlämmer für einen im übrigen als berechtigt dargestellten Krieg.

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