nd-aktuell.de / 20.10.2025 / Politik

Bolivien: Paz tritt schweres Erbe an

Mitte-rechts-Präsident folgt auf die linke Ära der MAS in Bolivien

Steffen Heinzelmann, La Paz
Wahlsieger Rodrigo Paz tritt im November sein Amt als Präsident Boliviens an.
Wahlsieger Rodrigo Paz tritt im November sein Amt als Präsident Boliviens an.

Rodrigo Paz wird neuer Präsident Boliviens. Der rechte Kandidat der Christdemokratischen Partei (PDC) erhielt in der Stichwahl am Sonntag 55 Prozent der Stimmen. Sein Mitbewerber, der ultrarechte Jorge »Tuto« Quiroga von der Freien Allianz (Alianza Libre), kam dem vorläufigen Endergebnis zufolge auf 45 Prozent. »Es ist die Liebe, die das Vaterland zusammenhält, nicht Hass und Spaltungen«, rief Paz am Wahlabend vor Anhänger*innen am Regierungssitz La Paz zur Einheit und Verteidigung der Demokratie auf.

Wenn der 58 Jahre alte Paz am 8. November die Regierung in dem südamerikanischen Land übernimmt, erbt er eine schwere Wirtschaftskrise: Der US-Dollar, der für viele Importe benötigt wird, ist knapp. Deshalb fehlt es an Benzin und Diesel, die Preise für Lebensmittel und Medikamente steigen, die Inflationsrate liegt bei fast 25 Prozent im Jahresvergleich. Als Lösung verspricht Paz Reformen unter dem Motto »Kapitalismus für alle«.

Shootingstar in der ersten Runde

Bei der Wahl im August hatte Paz mit 32 Prozent der Stimmen völlig überraschend das beste Ergebnis erzielt, während Quiroga 27 Prozent erhielt. Damit wurde erstmals in Boliviens Geschichte eine Stichwahl erforderlich. Nun waren knapp acht Millionen Bolivianer*innen zur Wahl aufgerufen; in Bolivien gilt Wahlpflicht. Und auch in der Stichwahl überraschte Paz viele: Quiroga hatte in Umfragen bis kurz vor der Abstimmung geführt, Paz siegte jedoch deutlich und gewann in sechs der neun Departamentos Boliviens.

Im Wahlkampf hatten sich beide Kandidaten für eine Öffnung des Marktes zugunsten privater Unternehmen eingesetzt. Zudem kündigten sie an, Bodenschätze wie Gas und Lithium abzubauen, den Drogenhandel zu bekämpfen und die diplomatischen Beziehungen zu den USA zu verbessern. Trotz ihrer ähnlichen Ansätze gab es Unterschiede: Quiroga propagierte einen radikalen Umbruch und verkörperte einen Neoliberalismus der Vergangenheit, der Bolivien wiederholt in Krisen gestürzt hatte. Der 65-Jährige, der 2001 bereits ein Jahr lang Übergangspräsident gewesen war, wollte im Kampf gegen die Krise auf Milliardenkredite des Internationalen Währungsfonds setzen. Im Gegensatz dazu betonte Paz, dass im Land genügend Kapital vorhanden sei, um die Krise zu bewältigen.

Paz kündigte einen »Kapitalismus für alle« an, von dem nicht nur die traditionelle weiße Oberschicht profitieren soll. Zu seinem Wirtschaftsprogramm gehören erschwingliche Kredite für die Bevölkerung, womit er auch die indigene Mittelschicht ansprach, die während der Regierungszeit der Bewegung zum Sozialismus (MAS) angewachsen ist. Bei der Wahl erhielt Paz breite Zustimmung in früheren Hochburgen der MAS und der indigen geprägten boomenden Millionenstadt El Alto.

Außenseiter aus dem Establishment

Rodrigo Paz inszenierte sich als Außenseiter, obwohl er durchaus zum politischen Establishment gehört: Paz war Bürgermeister der Stadt Tarija, seit 2020 ist er Senator für das Departamento Tarija, außerdem ist er der Sohn des ehemaligen Staatspräsidenten Jaime Paz (1989–1993). Dennoch verkörpert er eine gewisse Erneuerung aus der konservativen Mitte: Auf Reisen durch das ganze Land suchte er im Wahlkampf direkten Kontakt zur Bevölkerung, während seine Konkurrenz wochenlang in den Großstädten auf riesigen Reklametafeln warb und viel Geld in Social Media investierte.

Stimmen brachte Paz auch sein künftiger Vizepräsident Edmand Lara ein. Der 40-jährige Rechtsanwalt und ehemalige Polizist wurde als »Capitán Lara« durch Videos auf Tiktok populär. Lara war als Hauptmann verhaftet und entlassen worden, nachdem er Bestechung und Erpressung durch seine Vorgesetzten angeprangert hatte, und möchte nun mit Paz die weitverbreitete Korruption bekämpfen. Lara war im Wahlkampf primäres Ziel von Angriffen der politischen Gegner, die ihn als unberechenbar und als Risiko für das Amt darstellten.

Nun muss Paz die parlamentarische Zusammenarbeit suchen, da seine PDC im Senat und im Abgeordnetenhaus keine Mehrheiten hat und auf Koalitionen angewiesen ist. Die MAS ist im Senat gar nicht mehr vertreten[1] und hat im Abgeordnetenhaus nur zwei Sitze.

Die politische Landschaft Boliviens ist fragmentiert, und unklar ist, wie Gewerkschaften, bäuerliche und indigene Organisationen sowie die junge Generation Einfluss auf die Politik nehmen werden. Dringende Probleme wie Umweltzerstörung durch Bergbau, Gewalt gegen Frauen und Kinder sowie die Verletzung von Rechten Indigener spielten im Wahlkampf praktisch keine Rolle. Sollte die neue Regierung im Kampf gegen die Wirtschaftskrise Sozialprogramme kürzen oder die Subventionen für Treibstoff streichen, sind Proteste wahrscheinlich.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193389.bolivien-boliviens-linke-wird-abgestraft.html