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Varus oder die Schlacht bei Minden?

Haushalt 2008: Koalition hielt den Bundestagsausschuss mit zahllosen Änderungen wach

Freitag um 3 Uhr morgens gingen die parlamentarischen Abschlussberatungen zum Bundeshaushalt 2008 nach 14 Stunden zu Ende.

Was ist die Schlacht bei Minden? Mit dieser kniffligen Frage mussten sich die Mitglieder des Haushaltsausschusses des Bundestages bei den Beratungen zum Etat 2008 auseinandersetzen. Die »historische Aufarbeitung« dieser Schlacht tauchte nämlich in einem Haushaltsposten auf. Für den FDP-Abgeordneten Jürgen Koppelin belegt dies beispielhaft, dass die Große Koalition die »unglaubliche Chance« vertan habe, die sprudelnden Steuereinnahmen für eine deutlichere Senkung der Kreditaufnahme zu nutzen. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) habe alle Ministerien machen lassen, und im Ausschuss seien dann deren Wunschzettel »abgearbeitet« worden.

Die Opposition trat am Freitag nach kurzer Nacht wieder gemeinsam in Berlin vor die Presse, um die Finanzpolitik der Regierung zu kritisieren. Einig waren sich die Haushälter von FDP, Linksfraktion und Grünen in der Einschätzung, dass die Kreditaufnahme hätte stärker gesenkt werden können. Über den Weg und das Ausmaß ist man sich indes nicht einig: Die FDP hatte ein »liberales Sparbuch« mit 500 Einzelanträgen vorgelegt, die Ausgabenkürzungen von 11,7 Milliarden Euro erbracht hätten. Union und SPD veranschlagen die Nettoneuverschuldung auf 11,9 Milliarden. Anja Hajduk (Grüne) schlug vor, klimaschädliche Subventionen stark zu kürzen und dafür in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren. Eine Halbierung der Neuverschuldung wäre möglich gewesen. Gesine Lötzsch (LINKE) sieht vor allem Spielräume auf der Einnahmeseite – etwa durch einen höheren Spitzensteuersatz, die Einführung einer Börsenumsatzsteuer oder den Verzicht auf die Unternehmensteuerreform. Sparen bei den Ausgaben wäre vor allem im Rüstungsbereich denkbar gewesen, wo noch immer »Projekte aus Zeiten des Kalten Krieges« fortgesetzt würden. Und mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes hätte der Bund 8,5 Milliarden Euro sparen können – so viel wird nämlich für Niedriglöhner gezahlt, deren Gehalt aus den ALG-II-Töpfen aufgestockt wird.

Einig ist sich die Opposition auch in ihrer Kritik am Politikstil der Koalition. Im Ausschuss habe es »ein heilloses Durcheinander und ständig neue Anträge« gegeben, erklärte Koppelin, und Lötzsch berichtete von »Brüllattacken von Koalitionsmitgliedern«. Hajduk berichtete, um 24 Uhr sei ein Antrag für den Nachtraghaushalt 2007 aus der »Tasche« gezogen worden, den Kulturetat (zuvor 200 Millionen) um 700 Millionen Euro aufzustocken. Die Grünen-Politikerin kritisierte ferner, dass die Risiken der Finanzmarktkrise nicht »etatiert« seien und die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung auf 3,3 Prozent im Falle einer schlechter laufenden Konjunktur bald wieder nach oben revidiert werden müsste.

Koalitionsvertreter sehen hinter dem ganzen Vorgang indes System. SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider konnte keinen Unterschied zu früheren Ausschusssitzungen erkennen. Es habe nur etwas lange gedauert, da sich die »Abstimmungsprozesse in der Koalition« bis Donnerstag hingezogen hatten. In den Beratungen habe man die konsumtiven Ausgaben im Bundeshaushalt gesenkt und dafür ein Programm für Verkehrsinvestitionen über 650 Millionen Euro (für Straßenbau und die Beseitigung von Langsamfahrstrecken im Schienengüterverkehr) auf den Weg gebracht. Steffen Kampeter (CDU) ergänzte, die Mehreinnahmen von einer Milliarde Euro, die die jüngste Steuerschätzung ergeben hatte, sei komplett für die Senkung der Nettokreditaufnahme verwendet worden.

Kampeter konnte auch über die Schlacht von Minden Auskunft geben: Veranstaltungen über diese Schlacht während des Siebenjährigen Krieges, die sich 2009 zum 250. Mal jährt, könnten tatsächlich aus einem Haushaltsposten bezuschusst werden. Allerdings gibt es Konkurrenz: Dies gelte auch für andere Gedenktage wie das 2000. Jubiläum der Varus-Schlacht.

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