Wo imperialistische Staaten und Machtblöcke um Einfluss, Handelsrouten und Souveränität ringen, gibt es immer wieder auch kriegerische Auseinandersetzungen. Und wie sich die Wirtschaft durch die Entwicklung der Produktivkräfte historisch immer weiter verändert, verändert sich auch die Art, wie Nationen diese Kriege führen – die »Destruktivkraftentwicklung« gewissermaßen als Kehrseite der Produktivkraftentwicklung. Während der vergangenen Weltkriege zeigte sich dies in erster Linie in der Entwicklung von Maschinengewehren, Panzern und Atomwaffen. In der heutigen Zeit sorgt vor Allem die digitalisierte Kriegsführung für qualitative Veränderungen: Drohnen, Software und Algorithmen spielen sowohl in der Ukraine[1] als auch in Gaza [2]eine zentrale Rolle. In diesen Waffengattungen will die Bundesregierung aufholen – und entsprechend ihrer Nachfrage ist hierzulande eine ganze Reihe neuer Unternehmen entstanden.
Durch die veränderten Anforderungen an Rüstungsgüter konnten in Deutschland einige Startups Marktlücken der bisher etablierten Rüstungsindustrie für sich nutzen und innerhalb kürzester Zeit zu großen Playern aufsteigen: Helsing beispielsweise,[3] ein bayerisches KI- und Drohnenstartup, welches 2021 von schillernden Persönlichkeiten wie dem ehemaligen McKinsey-Mitarbeiter und Beschäftigten des Verteidigungsministeriums, Gundbert Scherf, gegründet wurde und mittlerweile mit über zwölf Milliarden Euro bewertet wird. Zuletzt hatte Helsing einige Öffentlichkeit wegen eines prominenten Geldgebers bekommen: Daniel Eck, dem Gründer von Spotify.
Prominente Geldgeber*innen sind in der Branche nicht selten. Auch Quantum Systems sowie dessen ebenfalls rasant wachsende Tochterfirma Stark Defence werden maßgeblich vom rechtsradikal-libertären Milliardär und Gründer von Palantir aus den USA, Peter Thiel, finanziert. CEO Florian Seibel fällt ähnlich wie Thiel immer wieder mit der Äußerung provokanter und politisch höchst bedenklicher Positionen auf, wenn auch in wesentlich weniger drastischer oder prominenter Weise. So räsonierte er kürzlich in einem Interview über die ökonomischen Vorteile von Diktaturen: »Es hat seine Vorteile, wenn man einen Diktator hat, der sagt ›So machen wir das‹.«
Wie Hauptkonkurrent Helsing gilt Quantum Systems als finanziell überaus erfolgreich. Beide befinden sich auf rasantem Expansionskurs und kaufen regelmäßig kleinere Unternehmen auf, beispielsweise in Helsings Fall den Meerestechnologiekonzern Blue Ocean sowie den Flugzeugbauer Grob Aircraft. Diese Unternehmenserweiterungen sind beide als direkte Antworten auf aktuelle politische Entwicklungen zu verstehen, vor allem auf den verstärkten Fokus auf Luftverteidigung sowie maritime Sicherheit. Der Kauf von Grob Aircraft führte prompt zu einer bemerkenswerten Erweiterung im Portfolio des Rüstungsstartups: Sein geplantes fern- bzw.- KI-gesteuertes Bombenflugzeug namens »CA1-Europa« präsentierte es im Beisein des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der eine Lederjacke samt »Helsing«-Emblem trug.
Bisher waren die deutschen Drohnenbauer eher im Bereich kleinerer Drohnen zur Aufklärung oder als eine Art ferngesteuerter Sprengsatz tätig. Mit »CA1-Europa« bringt sich Helsing nun als möglicher Anbieter für einen Ersatz zum wackelnden deutsch-französischen Rüstungsgroßprojekt »Future Combat Air System« (FCAS) in Stellung, an dem Helsing ebenfalls beteiligt ist, allerdings nur zu einem kleinen Teil.
Neben diesen Senkrechtstartern gibt es ein immer enger und größer werdendes Netz von diversen »Defence-Startups« in der BRD, die sich fast ausschließlich auf den Großraum München konzentrieren und diesen mittlerweile laut einer Studie gemessen an den Geldflüssen zum europäischen Zentrum der Rüstungstechnologie entwickelt haben.
Im Unterschied zu klassischen Akteuren der Rüstungsbranche sind Start-ups auf Risikokapitalfonds angewiesen.
Wie die traditionellen Rüstungskonzerne profitieren die Startups massiv von der »Zeitenwende« und ihren schier endlosen Rüstungsmilliarden. Im Unterschied zu den klassischen Akteuren der Branche aber sind sie mangels Eigenkapital auf Vorfinanzierung durch Risikokapitalfonds angewiesen. Über lange Zeit orientierten diese Fonds sich, vor allem in Europa, an verschiedenen Kriterien zur nachhaltigen Finanzierung, den sogenannten »ESG-Kriterien«, die nach gängiger Lesart Rüstungsinvestitionen ausschlossen. Diese Kriterien werden allerdings aktuell gleich in doppelter Hinsicht aufgeweicht, um Geldzuflüsse in Defence-Startups zu ermöglichen[4]: zum einen durch das Umdefinieren des Wortes »nachhaltig« zugunsten von Investitionen in den Rüstungsbereich, zum anderen durch die grundsätzliche Abkehr von solcherlei Kriterien durch Investor*innen. Auch von Seiten der Politik gibt es hier Unterstützung, beispielsweise durch den »Nato Innovation Fund«, dessen Mittel seinerseits bisher primär nach München geflossen sind, oder den »European Defense Fund«.
Nicht nur in ihrer Finanzierung, auch in der Strategie unterscheiden sich die Rüstungs-Startups von Rheinmetall & Co. Letztere setzen aufgrund langjährig gewachsener internationaler Beziehungen stark auf transatlantische Partnerschaft, was sich an Projekten wie den F35-Kampfjets – einer Kooperation zwischen Deutschland und den USA – zeigt, aber auch an Rheinmetalls Digitalisierungsstrategie. Auch hier setzt der größte deutsche Rüstungskonzern [5]auf Expertise aus dem Ausland. Jüngst ging er eine Partnerschaft mit dem US-Konzern Anduril ein, der als einer der weltweit führenden Produzenten militärischer Drohnen zweifellos über einen großen Vorteil gegenüber den jungen Unternehmen aus der BRD besitzt.
Politisch bewegt man sich hier allerdings in einem Spannungsfeld. Denn in Zeiten unsicherer deutsch-amerikanischer Beziehungen wird aufseiten der EU immer mehr auf Unabhängigkeit von den USA gesetzt, wie sich jüngst im Weißbuch zur europäischen Aufrüstung sowie dem »Rearm Europe« Programm nachvollziehen ließ. Dieses Bedürfnis nach Unabhängigkeit ist auch bei Rheinmetall nicht unbemerkt geblieben. In der Pressemitteilung, die die Kooperation bekannt gibt, liegt ein starker Fokus auf dem »gemeinsamen Respekt für gegenseitige Autonomie« und ähnlichen Spagaten zwischen Autonomie und Kooperation. Darüber hinaus besteht schon seit Längerem eine Kooperation mit dem israelischen Drohnenbauer U-Vision zur Produktion der »Hero«-Kampfdrohnenserie, deren Produktionskapazität laut einer aktuellen Pressemitteilung von Rheinmetall nun erneut ausgebaut werden soll.
Eine andere Strategie verfolgen Helsing & Co. Sie sind zwar noch in hohem Maße von Privatinvestitionen aus den USA abhängig, setzen aber ansonsten klar auf innereuropäische Wertschöpfung und greifen auch Projekte wie die F35-Kampfjets öffentlich an. Um sich hier langfristig durchsetzen zu können, braucht es aber mehr als eine kurzlebige Startup-Blase: gute Beziehungen zu Regierung und Beschaffungsämtern sowie langfristige Abnahmegarantien für die Produkte. Ein aktuelles Modell, um dies zu gewährleisten, ist das des »Drohnenwalles«, der mit tausenden autonom fliegenden Drohnen das Baltikum vor russischen Angriffen schützen soll. Gundbert Scherf, CEO von Helsing, drängt daher gemeinsam mit verschiedenen Investor*innen auf die massenhafte Anschaffung der entsprechenden Drohnen.
Seibel von Quantum Systems verfolgt eine andere Strategie: Seiner Ansicht nach ist die Anschaffung einer so großen Zahl von Drohnen nicht sinnvoll, da ihre Hardware zu schnell veraltet. Stattdessen wirbt er für den massiven Ausbau deutscher Drohnenproduktionskapazitäten, um bei Bedarf 20 Millionen Drohnen pro Jahr produzieren zu können. Gleichzeitig kritisiert auch er den geringen Beschaffungswillen der Bundeswehr, die aktuell »nur« mit 1000 Kampfdrohnen plant. Seibel schwebe eher eine Zahl in Richtung 800 000 vor.
Nach neusten Ankündigungen seitens Bundesregierung, Nato und EU soll nun bis 2027 eine Form des Drohnenwalles tatsächlich an der Nato-Ostflanke implementiert werden. [6]Was das allerdings genau heißt – ob, wie ursprünglich vorgeschlagen, tatsächlich Hundertausende Kamikazedrohnen zur Bekämpfung von Zielen am Boden zum Einsatz kommen sollen oder ob es sich eher um ein vernetztes Drohnenabwehrsystem handelt –, darüber gibt es aktuell noch keine klaren Äußerungen. Klar scheint allerdings zu sein: Der Druck der Startups zeigt Wirkung[7].
Konzepte wie 20 Millionen umherschwirrender KI-gesteuerter Kampfdrohnen zeigen deutlich: Trotz der immer wieder präsenten Beteuerungen der Startup-CEOs, sie seien im Herzen Friedensaktivist*innen, sind sie und ihr Geschäftsmodell definitiv nicht ungefährlicher als Rheinmetall und Co.
Franz Enders ist Autor der Studie »Neue Waffen, neues Geld? –- ›Defence-Startups‹ in der BRD«, die im Sommer bei der Informationsstelle Militarisierung (IMI) erschienen ist.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194925.ruestungszentrum-muenchen-drohnenwaelle-aus-bayern.html