nd-aktuell.de / 22.10.2025 / Politik

Fluchtursachen produzieren

Weniger Klimaschutz, mehr Abschottung: Wie der Rechtstrend in den reichen Ländern das Elend im globalen Süden verstärkt

Stephan Kaufmann
Gleiche Landschaft, unterschiedliche Lebensverhältnisse: die USA (rechts des Zauns) und Mexiko
Gleiche Landschaft, unterschiedliche Lebensverhältnisse: die USA (rechts des Zauns) und Mexiko

USA, EU, Großbritannien, Neuseeland, Kanada – fast überall in den reicheren Ländern ist ein ähnliches Muster zu beobachten: Nach einem starken Anstieg in den Jahren 2022 und 2023 geht die Migration stark zurück. Das liegt aber nicht daran, dass die Ursachen der Migration verschwunden wären. Unterdrückung, Kriminalität und Armut in den armen Ländern dürften absehbar sogar noch zunehmen. Die rechte Politik in Europa und den USA trägt dazu kräftig bei.

Derzeit leben laut Schätzungen etwa drei Milliarden Menschen weltweit in Armut – 810 Millionen davon in extremer Armut, also von weniger als drei Dollar pro Tag. Grund dafür ist eine erhebliche Verlangsamung der Armutsbekämpfung und eine Zunahme der Armut in Afrika südlich der Sahara sowie in konfliktreichen Regionen. Verschärfend wirkt, dass der ökonomische Aufholprozess des Globalen Südens offenbar seit Mitte der 2010er Jahre zum Stillstand gekommen ist. »Je nachdem, wo man die Grenze zwischen reichen und armen Ländern zieht, sind die am schlechtesten gestellten Länder nicht mehr schneller gewachsen als die reicheren oder fallen sogar weiter zurück«, so der britische »Economist«.

Hilfszahlungen schrumpfen

Gleichzeitig führt der politische Rechtstrend in den USA und Europa dazu, dass die Entwicklungshilfe gekürzt wird. So wie in den USA, wo sie laut Präsident Donald Trump »nicht im Einklang mit den Interessen der Vereinigten Staaten steht«. Nach Berechnungen der Industrieländerorganisation OECD[1] sank die offizielle Entwicklungshilfe 2024 »erstmals seit 30 Jahren gleichzeitig in Frankreich, Deutschland, Großbritannien und den USA«. Dieses Jahr dürfte sie zwischen neun und 17 Prozent schrumpfen – in den ärmsten Ländern der Welt sogar um 13 bis 25 Prozent. Denn die verbleibenden Zahlungen werden auf ökonomisch bedeutsamere Länder des Globalen Südens konzentriert.

Rechte Politik kürzt nicht nur Entwicklungshilfe, sondern schwächt auch den Klimaschutz. Das hat Auswirkungen auf die globale Armut. Eine neue Studie der Universität Stanford untersucht, wie die Erwärmung die Entwicklung gewalttätiger Konflikte und des Wirtschaftswachstums in afrikanischen Ländern beeinflusst. Sollten die CO2-Emissionen hoch bleiben oder kaum sinken, so bestehe ein »erhebliches Risiko«, dass »die Erwärmung und die daraus resultierenden Konflikte die afrikanischen Volkswirtschaften in eine Phase anhaltend negativen Wirtschaftswachstums treiben«. Um das Risiko »katastrophaler menschlicher Auswirkungen des Klimawandels in vielen afrikanischen Ländern einzudämmen, wären Emissionsminderungen, wirtschaftspolitische Innovationen oder institutionelle Investitionen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß erforderlich«, so die Studie. Derweil weicht die EU ihre Klimaziele auf.

Lateinamerikas Abhängigkeit von den USA

Das Beispiel USA zeigt nun, wie repressive Migrationspolitik auf die Heimatländer der Geflüchteten zurückschlägt. Seit Anfang 2025 schrumpft die Nettomigration in die USA, das heißt, die Zahl der »Rückkehrer« ist höher als die Zahl der Zuwanderer. Das betrifft vor allem Mexiko, aber auch Honduras und Guatemala. »Szenarioanalysen deuten darauf hin, dass die Zuwanderung in diesem Jahr im Vergleich zu 2024 um bis zu 87 Prozent zurückgehen oder sogar negativ werden könnte«, warnt nicht eine NGO, sondern das Internationale Bankeninstitut IIF. Das würde bedeuten, dass mehr Menschen aus den USA auswandern als einwandern.

US-Unternehmen klagen bereits, dass ihnen die Billigarbeitskräfte ausgehen. Ökonomisch viel härter aber trifft Trumps Politik die Heimatstaaten der Migranten in Zentralamerika. Denn für Länder wie Nicaragua, Honduras oder El Salvador sind die Überweisungen ihrer in den USA arbeitenden Landsleute (Remittances) eine weit wichtigere Geldquelle als die – schrumpfende – Entwicklungshilfe. »Lateinamerika ist aufgrund seiner hohen Abhängigkeit von Heimatüberweisungen in einzigartiger Weise von der Einwanderungspolitik der USA betroffen«, so das IIF[2]. In Honduras, El Salvador und Nicaragua machten Remittances mehr als 20 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Jeder zusätzlich beschäftigte Migrant generiere fast 2000 US-Dollar an vierteljährlichen Überweisungen. In Zentralamerika »stabilisieren diese Zuflüsse den Konsum der privaten Haushalte, stärken die Steuereinnahmen und dienen als wichtige externe Finanzierungsquelle gerade in Krisenzeiten«.

Geschlossene Grenzen und Abschiebungen hätten daher »erhebliche soziale Auswirkungen« in den Heimatländern der Migrant*innen, warnt das Bankeninstitut. Armut und Kriminalität würden sich weiter verschärfen, Jobs gibt es für die Rückkehrer aus den USA keine. »Ohne wirksame Reintegrationsstrategien könnte die Rückwanderung die lokalen Arbeitsmärkte überfordern und den Migrationsdruck erneut anheizen, selbst angesichts strengerer Durchsetzungsmaßnahmen.« Das IIF sieht daher eine »zirkuläre Dynamik« am Werk: »Die Durchsetzungsmaßnahmen der USA mögen den Zustrom am Migranten vorübergehend verringern, aber durch die Destabilisierung der von Überweisungen abhängigen Volkswirtschaften können sie letztlich den Migrationsdruck wieder verstärken.«

So heizt rechte Politik – Migrationsabwehr, Wettbewerbsfähigkeit, weniger Klimaschutz und Entwicklungshilfe – das globale Elend an und sorgt dafür, dass die Gründe zur Flucht noch zunehmen. In der rechten Logik macht dies wiederum strengere Grenzbefestigungen nötig.

Links:

  1. https://www.oecd.org/en/publications/cuts-in-official-development-assistance_8c530629-en/full-report.html
  2. https://www.iif.com/Publications/ID/6286/IIF-Deep-Dive-US-Migration-Shocks-and-Remittances