nd-aktuell.de / 22.10.2025 / Kultur

Marlene Dietrich for Bundespräsidentin

Hätte die Dietrich 1964 Staatsoberhaupt werden sollen? BudeMunkWieland machen einen Roman daraus

Florian Schmid
Tadaaa! Ein bisschen mehr Glamour hätte es schon mal sein dürfen in Bonn.
Tadaaa! Ein bisschen mehr Glamour hätte es schon mal sein dürfen in Bonn.

Hätte Marlene Dietrich eine gute Bundespräsidentin abgegeben? Und was hätte das für die junge Bundesrepublik in den 60er Jahren und für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus bedeutet? Dieses Gedankenexperiment spielt das Berliner Autorenkollektiv BudeMunkWieland in seinem neuen Roman »Transit 64« durch. Oder besser gesagt, sie regen dazu an, sich Gedanken über eine solche fiktive historische Konstellation zu machen.

Heinz Bude, Bettina Munk und Karin Wieland hatten sich zuletzt vor fünf Jahren in dem autobiografisch geprägten Roman »Aufprall« mit der jüngeren Zeitgeschichte beschäftigt und sich mit der West-Berliner Hausbesetzerbewegung der frühen 80er Jahre auseinandergesetzt.

In »Aufprall« waren die Akteure vor allem Vertreter der Boomer-Jahrgänge, über die gerade so viel diskutiert wird. Als sich deren Mehrheit damals als Golf fahrende, unpolitische und Medizin studierende Anpassungsweltmeister in Szene setzte, gab es auch ein paar linksradikale Leistungsverweigerer, die sich in der Mauerstadt austobten.

Während also in »Aufprall« Revolten-Kids von unten im Fokus stehen, sind es in »Transit 64« ausschließlich bekannte historische Figuren der Bonner Republik und der DDR, die als Akteure in diesem prismatisch aufgefächerten historischen Roman mitspielen.

Im Zentrum steht natürlich Marlene Dietrich, die 1964 kurz in der DDR haltmacht und während des titelgebenden Transits Kontakt mit dem damaligen West-Berliner Regierenden Bürgermeister Willy Brandt hat. Der versucht sie zu überreden, sich als Kandidatin zur Bundespräsidenten-Wahl aufstellen zu lassen. Besprochen wird diese mit Brandts engstem Vertrauten Egon Bahr ausgekungelte Idee im Hinterzimmer eines Charlottenburger Restaurants mit Sozialdemokraten-Credibility.

Aufgesetzt, künstlich, tolle Illustrationen.

Tatsächlich wurde 1964 Heinrich Lübke als Bundespräsident wiedergewählt, wobei es immer wieder – vor allem durch Interventionen vonseiten der DDR – um die Frage ging, welche Rolle er denn wohl im Nationalsozialismus gespielt hatte. Zwar hatte er zu Beginn der Nazi-Herrschaft einige Monate im Gefängnis verbracht, war aber gegen Ende des Krieges Teil der deutschen Rüstungsmaschinerie. Die Nazi-Vorwürfe gegen Lübke wurden vom Bundespräsidialamt und der CDU gemeinhin als Erfindung der DDR-Propaganda abgetan. Wobei keineswegs alle Vorwürfe ausgeräumt werden konnten.

Wie hätte sich wohl Marlene Dietrich, die für die US-Armee im Rang eines Captains gegen deutsche Nazis gekämpft hatte, als Gegenkandidatin gemacht?

Auch der spätere Bundeskanzler Willy Brandt hatte gegen die Deutschen gekämpft. In Lübeck als Herbert Ernst Karl Frahm geboren und von den Nazis seiner Staatsbürgerschaft beraubt, hatte er seinen sozialistischen Kampfnamen Willy Brandt nach dem Krieg (1949 mit Genehmigung des Berliner Polizeipräsidenten) als offiziellen Namen angenommen.

»Wir sind beide Verräter, haben Sie das vergessen? Gegen uns halten die anderen Deutschen fest zusammen«, sagt Marlene Dietrich im Hinterzimmer zu Willy Brandt. Die Idee, Bundespräsidentin zu werden, findet sie absurd und macht sie auf herrliche Weise lächerlich. »Könnte ich in diese Villa nicht mit meiner alten Liebe Erich Maria Remarque, mit dem Boni, einziehen? Der mit ›Im Westen nichts Neues‹.«

Und sie führt weiter aus: »Meine erste Amtshandlung, wenn ich gewählt bin: Anordnung der Parade der deutschen Widerstandskämpfer den Ku’damm entlang. Werden nicht allzu viele sein, aber ein paar kommen zusammen.«

So aufgesetzt und künstlich manche Abschnitte dieses gerade mal 200 Seiten langen Buches mit jeder Menge toller Illustrationen auch wirken – diese historische Literatur-Scharade macht absolut Sinn. Denn die Suche nach einer antifaschistischen Geschichte dieses Landes ist heute, angesichts des derzeitigen Rechtsrucks, wichtiger denn je.

Gab es denn jemals eine antifaschistische DNA hierzulande? Wenn ja, wo ist die geblieben? Wer hat gegen wen gekämpft, und wer hat sich angepasst? 1961 wetterte der CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß: »Eines wird man Herrn Brandt doch fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.«

Leider wissen wir auch alle, was die meisten Deutschen in jenen Jahren gemacht haben. Über Brandt, Dietrich und andere wissen viele leider nicht genug. Dem helfen BudeMunkWieland mit diesem Büchlein ab. Sie fächern die Geschichte von Marlene Dietrich, aber auch die Willy Brandts, Herbert Wehners, Walter Ulbrichts und vieler anderer Akteure in den Jahren vor, während und nach dem Nationalsozialismus auf.

Es geht ins sozialdemokratische Lübeck der 1920er Jahre, ins Paris der Volksfrontregierung 1936, nach Nazi-Deutschland, auf Theaterbühnen und an Filmsets, ins norwegische und russische Exil, ins Schöneberger Rathaus und in die Bundesversammlung. Es geht um den Spanischen Bürgerkrieg, stalinistischen Terror, sozialdemokratisches Bemühen inklusive dazugehöriger Hilfslosigkeit und parlamentarischer Winkelzüge. Das mag nicht an jeder Stelle überzeugen, ist aber lesenswert.

BudeMunkWieland: »Transit 64«. Hanser, 208 S., geb., 25 €.