Gladis Mucú[1] lächelt zuversichtlich, während sie von einem Kampf erzählt, den sie bereits als Teenagerin aufgenommen hat – für Ernährungssouveränität in Mesoamerika, der Wiege des Maisanbaus und der Agrarökologie. Seit ihrem 18. Lebensjahr setzt sie sich als engagierte Vertreterin des Maya-Volkes der Q’eqchi’ aus dem nördlichen Tiefland Guatemalas für den Schutz ihres Landes und ihrer Kultur ein. Damit führt sie eine lange, widerständige Tradition von Bauern und Bäuerinnen fort, die ihr Territorium gegen Ausbeutung und Enteignung verteidigen.
Seit mehr als tausend Jahren ernähren sich die Q’eqchi’ von dem, was ihr Land ihnen gibt: Mais, Bohnen, Chili, Kürbis, Chayote – und einer unglaublichen Vielfalt weiterer Pflanzen. »Ich bin mit dem überlieferten Wissen meiner Vorfahren aufgewachsen – dieses Wissen erkenne ich heute an diesem wunderschönen Ort wieder«, sagt Mucú. Sie ist nicht nur Aktivistin, sondern auch Vertreterin der Koordinierungsstelle für Nichtregierungsorganisationen und Genossenschaften (Congcoop). Außerdem gehört sie dem Bündnis Qana’ Ch’och’ an – was in ihrer Sprache »Mutter Erde« bedeutet.
Jener lebendige Ort, der Mucú an die Grundpfeiler ihrer heimatlichen Gemeinde erinnert, ist der Gemeinschaftsgarten Prachttomate in Berlin-Neukölln. Dort ist sie im Rahmen einer von der Christlichen Romero Initiative organisierten Reise zu Gast. Zwischen Tomaten- und Kohlbeeten spricht sie über ihre eigene Gemeinde in dem zentralamerikanischen Land. »Meine Großeltern gingen nicht einfach ins Einkaufszentrum, um Produkte zu kaufen, sondern wir hatten den Fluss und unser Grundstück. Wir lernten, das Land zu verteidigen, weil es ein Teil von uns ist, zu säen und zu ernten. Zunächst für die eigene Ernährung, Überschüsse waren für den Handel bestimmt. So hatte meine Familie genug Geld, um mir eine Ausbildung zu ermöglichen.«
Doch dieses traditionelle Wirtschaftssystem gerät zunehmend unter Druck, auch durch Konsumentscheidungen weit entfernt von Guatemala. Denn viele Produkte, die hierzulande in Supermärkten wie Rewe, Edeka, Lidl oder Penny verkauft werden, enthalten Palmöl – sei es in Eigenmarken oder bekannten Marken wie Lätta, Rama oder Deli. Rund die Hälfte dieser Produkte nutzt Palmöl, das unter problematischen Bedingungen gewonnen wird. Ein Teil davon stammt aus Guatemala – von Unternehmen wie Natur-Aceites (ehemals Indesa) und Industrias Chiquibul, die laut Berichten von Menschenrechtsorganisationen mit Landraub, Umweltzerstörung und Gewalt in Verbindung gebracht werden. Der globale Konsum hinterlässt hier Spuren – auf dem Land, in den Gemeinschaften und in den Leben der Menschen, die sich dem entgegenstellen.
Laut Menschenrechts- und Umweltorganisationen sind die beiden Unternehmen dafür verantwortlich, Flüsse umzuleiten, um riesige Monokultur-Plantagen anzulegen, und sie sollen dabei giftige Rückstände aus Pestiziden und Düngemitteln in Gewässern entsorgen. Immer wieder wird berichtet, dass sie lokale Gemeinden mit zweifelhaften Methoden dazu bringen, ihr Land zu verkaufen – etwa durch Desinformation oder finanzielle Anreize über Mittelsmänner. Seit Jahrzehnten expandieren sie so auf Kosten der indigenen Bevölkerung. Die Arbeitsbedingungen auf ihren Plantagen bezeichnen Rechtsexperten teilweise als »moderne Sklaverei«: mit extrem niedrigen Löhnen, fehlendem Arbeitsschutz und Ausbeutung. Über Zwischenhändler wie Walter Rau (Teil des Agrarkonzerns Bunge) und Vandemoortele gelangt dieses Palmöl schließlich in europäische Supermärkte – und landet in zahlreichen Alltagsprodukten.
Mucús Gemeinde wird vor allem vom Großunternehmen Chiquibul bedroht: »Hier, wo das Palmöl produziert wird, werden Menschenrechte mit Füßen getreten. Kollegen von mir, die Anzeige gegen die Unternehmen erstatteten, wurden sogar umgebracht«, klagt Gladis Mucú. »Chiquibul will uns zum Schweigen bringen. Und je mehr sie exportieren können, desto größer werden die Plantagen und desto mehr Land entreißen sie uns.« Die Menschen hier in Deutschland sollten darüber informiert werden und Druck auf die Unternehmen ausüben, fordert sie.
Um sich gegen diese Angriffe zu wehren, erhält das Maya-Volk Unterstützung von solidarischen deutschen Organisationen wie der Christlichen Initiative Romero, Foodwatch oder dem Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte ECCHR. Auch das Lieferkettengesetz hilft, weil es Unternehmen verpflichtet, Menschen- und Umweltrechte nicht nur in eigenen Produktionsorten, sondern auch in ihren Lieferketten zu beachten. Durch Klagen und Beschwerdemechanismen kann Druck auf Unternehmen ausgeübt werden. Derzeit laufen zwei Prozesse gegen Supermarktketten, die Produkte mit dem Palmöl von Natur-Aceites und Industrias Chiquibul verkaufen.
Das Gesetz wurde allerdings im Oktober 2025 durch den Bundestag abgeschwächt und wird von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und anderen unternehmensnahen Politikern häufig als zu bürokratisch kritisiert. Doch für Mucú und ihre Mitstreiter ist es ein wichtiges Instrument, um zumindest kleine Veränderungen zu bewirken, wie zum Beispiel Natur-Aceites das Nachhaltigkeitssiegel des Runden Tischs für nachhaltiges Palmöl (RSPO) abzuerkennen. Diesen Erfolg haben sie im Januar 2025 nach jahrelangem Kampf errungen.
Mucú ist nicht allein in diesem Widerstand. Überall in Guatemala wehren sich Menschen gegen die Palmölindustrie – oft unter ähnlich gefährlichen Bedingungen. In dem Gemeindebezirk Ixcán, nahe der Grenze zu Mexiko, liegt Sonora – rund 150 Kilometer von Gladis Mucús Heimat entfernt. Auch hier hat das Palmölunternehmen Natur-Aceites Flüsse umgeleitet und damit zentrale Wasserquellen ausgetrocknet. Die Flüsse spielten eine besondere Rolle im Alltag der Frauen, erzählt die Bäuerin Marta Cooy Caal. Wie viele andere hat sie sich angesichts der gewaltsamen Methoden der Unternehmen zur Verteidigerin ihres Territoriums entschlossen. »Das Zusammenleben bestand darin, dass wir Frauen uns trafen, über unser Leben sprachen, darüber, wie wir uns fühlten, wie es uns ging«, erinnert sie sich in einem Telefoninterview aus ihrer Heimat.
In dieser Region führt der Palmölanbau sogar zu Konflikten innerhalb von Familien. Marta Cooy berichtet, dass ihr Schwager Cristobal Choc – früher selbst Menschenrechtsaktivist – heute die Interessen des Palmölunternehmens verteidigt und sie sogar mit einer Pistole bedroht habe. Gleichzeitig ist er am Programm zur »nachhaltigen Produktion« des RSPO beteiligt – einer Initiative, die eigentlich Umwelt- und Sozialstandards garantieren soll. Doch gerade wegen solcher Widersprüche betrachten viele Anwohner das Programm als Greenwashing – also als Versuch, umwelt- oder sozialschädliches Handeln als nachhaltig erscheinen zu lassen.
Die allgegenwärtige Gewalt und die systematische Landnahme in Guatemala sind nicht nur ein Problem heutiger globaler Lieferketten. Sie stehen in direkter Kontinuität zu einer jahrhundertealten kolonialen Geschichte – eine Geschichte, die auch durch deutsche und schweizerische Auswanderer mitgeprägt wurde. Im 19. Jahrhundert ließen sich viele von ihnen in Guatemala nieder. Einige eigneten sich durch Landraub und Ausbeutung große Ländereien an und stiegen zu einflussreichen Plantagenbesitzern auf – zunächst im Bananenhandel, später auch in der Kaffeeproduktion und Viehzucht.
Heute ist Palmöl das neue Trendprodukt in den Händen der Großgrundbesitzer. Die mächtigsten Unternehmen der Branche gehören den Nachfahren kolonialer Siedler – darunter auch Natur-Aceites, das im Besitz der Familie Maegli Müller ist. Guatemaltekische Untersuchungen belegen, dass die Familie in der Vergangenheit Militärregierungen wie die von Efraín Ríos Montt finanziell unterstützte. Ríos Montt wurde wegen Völkermords an der indigenen Bevölkerung der Maya-Ixil während des Bürgerkriegs (1960–1996)[2] verurteilt – ein Krieg, in dem rund 200 000 Menschen ermordet worden waren.
Trotz Bedrohungen und tätlicher Angriffe geben Verteidigerinnen wie Marta Cooy und Gladis Mucú nicht auf. Sie setzen sich weiterhin dafür ein, die Kultur und das Land ihrer Vorfahren zu schützen und lebendig zu halten. Die jüngsten rechtlichen Schritte des Bündnisses Qana’ Ch’och’ zur Verteidigung indigener Territorien sind Teil einer umfassenden politischen Strategie. Diese reicht von gemeinschaftsstärkenden Kampagnen gegen die Übergriffe der Palmölindustrie über symbolische Protestaktionen – wie das Einsammeln von Müll aus dem Atitlán-See, der anschließend zurück zur Industrie- und Handelskammer Guatemalas gebracht wird – bis hin zu Gerichtsverfahren wegen der Verletzung indigener Rechte. Letztere bringen die Aktivisten und Aktivistinnen notfalls bis vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Die Beharrlichkeit der Aktivistinnen und Aktivisten entspringt einem tiefen Gefühl der Verbindung mit anderen Menschen und mit traditionellen Formen des Anbaus, der Ernte und der Gemeinschaft. »Wir gehen nicht einfach an irgendeinem Tag zum Säen, sondern planen es etwa einen Monat im Voraus, um die Bauern zu informieren, damit sie sich daran beteiligen können«, erklärt Gladis Mucú. »Wir organisieren eine Maya-Zeremonie, bei der Copal verbrannt wird, um Mutter Erde um Erlaubnis zu bitten und ihr mitzuteilen, dass wir den Ort tagelang säubern werden, um Mais anzubauen und das menschliche Leben zu nähren.«
Diese Verbundenheit mit der Erde[3] ist es, was den beiden Frauen die notwendige Stärke gibt, ihr Land und ihr Leben weiter zu verteidigen. Auch Marta Cooy bleibt standhaft. »Ich sage meinen Gemeinden, dass wir nicht aufhören dürfen, für unser Land zu kämpfen – denn es ist das, was uns ernährt. Mutter Erde gibt uns alles.« Auch wenn uns manchmal die Armut zu besiegen scheine, sagt sie ihnen, dass sie uns nicht besiegen könne – »denn wer Mais und Bohnen hat, wird nicht sterben, auch wenn man kein Geld hat. Aber was uns wirklich töten kann, ist das Geld aus der Palmölindustrie.«
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194943.guatemala-palmoel-raubt-die-heilige-erde.html