Die alte Frage nach den neuen Chancen

LINKE im Bundestag veranstaltete Anhörung zu Entwicklungsmöglichkeiten im Osten

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Aufstieg der LINKEN als Bundespartei beginnt an ihrem Ruf als Alleinvertreterin der Interessen des Ostens im Parteiensystem zu nagen. Mit einer Anhörung suchte die Bundestagsfraktion am Freitag in Berlin ihr altes Adressschild etwas zu polieren.

Gregor Gysi hat in letzter Zeit einiges an Kraft und Zeit investiert in die Bildung der neuen Partei mit bundespolitischem Anspruch. »Links von der SPD« gilt als Positionsbestimmung deutlich mehr als »östlich der Elbe«. Aber die Ost-Themen spult der Fraktionschef der LINKEN bei Bedarf immer noch ab wie an einer Angelschnur. Am Haken hatte er am Freitag im Bundestag ein weit gefächertes fachkundiges Publikum, das sich – anders als sonst im Plenum – überwiegend einig war, dass die Angleichung der Lebensverhältnisse im Osten noch ein starkes Stück Arbeit und Engagement auch des Staates kosten muss.

Gysi zumindest strotzt vor Optimismus. Während die Anträge der LINKEN zur Angleichung der Lebensverhältnisse früher mit Hohn und Spott bedacht wurden, werden sie heute wenigstens nicht mehr verlacht, bevor die Mehrheit des Hauses sie ablehnt. Und manches Thema findet sich in den Anträgen der Konkurrenz später wieder. Einen Fortschritt registriert er überdies auch in der eigenen Fraktion. Früher hätten die Westabgeordneten die Anträge zum Osten akzeptiert, »heute finden sie sie auch noch gut«.

Unverändert sind Partei und Fraktion mit sehr verschiedenen Erwartungen konfrontiert. Das Spektrum machten eingangs Gunnar Winkler (Volkssolidarität) und Siegfried Mechler (Ostdeutsches Kuratorium von Verbänden) deutlich, letzterer in Form einer breiten Anklage gegen das »BRD-System« – während Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle die strukturellen Schwächen und Fortschritte der ostdeutschen Wirtschaft beschrieb.

Die Anpassung der Lebensverhältnisse in benachteiligten Regionen, zu denen Gysi ausdrücklich auch strukturschwache Gebiete im Westen zählt, ist ein weites Feld. Und Roland Claus, Koordinator der Fraktion für die Belange Ost, müht sich redlich, das Thema Ost wach zu halten. Im März kommenden Jahres will die LINKE das Thema mit einer Konferenz zu neuem öffentlichen Leben erwecken, zuvor soll es Gesprächskreise mit Prominenten in Jena (hier am 21. November) und Merseburg geben.

Die Anhörung der LINKEN am Freitag hatte Claus unter den Titel »Die alten Fragen nach den neuen Chancen« gestellt, was ein wenig nach Desillusionierung klingt. Tatsächlich klingen die Analysen von Fachleuten wie Udo Ludwig ernüchternd, wenn man die Jubelrufe der Bundesregierung, nachzulesen etwa im jüngsten Bericht zum Stand der deutschen Einheit, über die Aufholjagd des Ostens im Ohr hat. Tatsächlich ist das Wachstum im Osten noch immer langsamer, und die wirtschaftskräftigen »Leuchttürme« bezögen einen Teil ihrer Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt aus der fehlenden Tarifbindung – sprich aus den unterdurchschnittlichen Löhnen der Beschäftigten. Und Gesine Lötzsch, Vizevorsitzende der Fraktion, verweist am Rande darauf, dass Arbeitslosengeld I-Empfänger, die soeben mit einer kleinen Verbesserung der Bezugszeiten bedacht wurden, vor allem im Westen zu Hause sind, während ALG II-Empfänger, deren Regelsätze bisher unverändert niedrig sind, überdurchschnittlich im Osten vertreten sind.

Immerhin gibt es Beispiele für Innovation, von denen eines Heinrich Bartelt vom Bundesverband Erneuerbare Energien vorstellte. Das von ihm geschilderte Beispiel pries er als Weg hin zu Arbeitsplatzzuwachs und regionaler Erneuerung. So könne das Harz-Örtchen Dardesheim inzwischen als Teil einer Modellregion gelten, ein Energiepark vom Feinsten, wovon selbst die städtische Blaskapelle zu profitieren scheint, die mehrfach deutscher Meister ihrer Klasse wurde – denn auch sie arbeitet mit Wind, so Bartelt augenzwinkernd.

Gleichwohl – selbst ein anspringender Aufschwung im Osten und der absehbare demografisch bedingte Arbeitskräftemangel wird am Sockel der Arbeitslosigkeit im Osten nichts ändern, wenn nichts Außergewöhnliches unternommen wird. Denn hier sind inzwischen 15 Jahrgänge irreparabel »liegen geblieben«, wie Rainer Land, Soziologe von der Initiative »Ostdeutschlandforschung« deutlich macht.

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