Noch kann der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Oberst a. D. Rüdiger Lucassen, es nachvollziehen, wenn jungen Männern die Motivation fehlt, für Deutschland zu kämpfen – zumindest, wenn sie rechts sind und ihnen die Republik noch zu »linksgrün« ist. In einer Rede zum neuen Wehrdienstmodell am 16. Oktober attestierte er allen Bundesregierungen der letzten Jahre, einschließlich der aktuellen, eine »linksgrüne Agenda«.
Zugleich stellte Lucassen klar: »Als rechte Partei wollen wir eine Bundeswehr, die bis an die Zähne bewaffnet ist. Und dafür brauchen wir Soldaten, die wissen, wofür sie kämpfen und sterben sollen.«
Was dies für Werte sein könnten, lässt sich zum Beispiel an einem Facebook-Beitrag Lucassens ablesen, in dem er die Leistungen seines Vaters und dessen Kameraden in Hitlers Fallschirmjägerregiment 1 auf Kreta würdigte. »Nach zwölf Tagen verlustreicher Kämpfe gegen einen materiell und personell überlegenen Gegner war die Mittelmeerinsel genommen«, schrieb der Ex-Bundeswehr-Oberst am 20. Mai dieses Jahres.
Vor diesem Hintergrund darf bezweifelt werden, dass es ihm nur um die »Verteidigung des Vaterlandes« geht, wenn er zum Beispiel eigene Atomwaffen für Deutschland fordert, wie im März dieses Jahres gegenüber dem Nachrichtenportal t-online. Er sage nicht, dass Putin Deutschland angreifen wolle, dies sei aber »eine Option«. Seine damalige Wehrpflicht-Forderung relativierte Lucassen inzwischen und nannte dies am 16. Oktober eine »schwere Entscheidung«.
AfD-Chefin Alice Weidel will zumindest fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Aufrüstung Deutschlands im Rahmen der Nato ausgeben – da ist sie sich mit Außenminister Johann Wadephul (CDU) einig. Da ist die »Landesverräter-« und »Kreml-Partei«, wie die AfD von Politikern der »Mitte« gerne genannt wird, dann doch nicht die einzig wahre Opposition, als die sie sich darstellt. In einer Insa-Umfrage am Wochenende wurde sie mit 27 Prozent stärkste Kraft.
Ihr scheinbar russlandfreundlicher Kurs irritiert auf den ersten Blick, weil er nicht zur offenen NS-Nostalgie einiger Funktionäre und Mandatsträger passen will. Im Wahlprogramm der AfD zur Bundestagswahl 2025 heißt es jedoch, sie verfolge »ein interessengeleitetes Verhältnis zu den großen Mächten der Welt, zu China und den USA, genauso wie zu der Russischen Föderation«. Bis zum »Aufbau eines unabhängigen und handlungsfähigen europäischen Militärbündnisses« bleiben demnach »die Mitgliedschaft in der Nato sowie eine aktive Rolle Deutschlands in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zentrale Elemente unserer Sicherheitsstrategie«.
Als der AfD-Rechtsaußen-Politiker Björn Höcke 2016 eine Debatte über den Nato-Austritt Deutschlands auslösen wollte, betonte er gegenüber der Springer-Zeitung »Die Welt«, in seiner Partei formuliere man deutsche Interessen »unbefangen und tabulos auch für die Außenpolitik«[1]. An der Nato störte ihn demnach nur, dass Deutschland dort nicht die erste Geige spielt. Schließlich beklagte er kurz darauf die »nach 1945 begonnene systematische Umerziehung«[2] der Deutschen.
Der aktuelle AfD-Kurs gegenüber dem Kreml ist demnach nur pragmatisch: Sie erinnert sich sehr wohl an die schmerzliche Niederlage und will zumindest keinen weiteren Krieg mit Russland riskieren, solange Deutschland nicht »kriegstüchtig« ist.
Mit einer Friedenstaube als Plakatmotiv versuchte sie im vergangenen Europawahlkampf, vor allem in Ostdeutschland von der Angst vor einem Dritten Weltkrieg zu profitieren.
Auch gibt es ideologische Gemeinsamkeiten zwischen der AfD und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie dessen Partei, was die binäre Geschlechterordnung, das traditionelle Familienbild und die Aversion gegen »Wokeness« betrifft. Ewige Freundschaft ergibt sich daraus aber nicht – und allgemeine Friedenspolitik noch weniger. Auch im AfD-Grundsatzprogramm wird die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht für junge deutsche Männer gefordert. Vielen in der Partei missfällt nur der Gedanke, dass sie für »fremde Interessen« fallen könnten.
Dass die AfD den aktuellen Aufrüstungskurs der Bundesregierung voll mitträgt, kann nur an ihrer Zuversicht liegen, dass sie in absehbarer Zeit entweder selbst auf der Regierungsbank sitzt oder die Unionsparteien so erfolgreich vor sich hertreiben kann, dass ihre Agenda auch ohne Regierungsbeteiligung weitgehend Wirklichkeit wird – formelle »Brandmauer« hin oder her.
Da die AfD auf Wachstum im fossilen Kapitalismus setzt, muss sie zukünftige Rohstoffkriege einkalkulieren.
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Da die AfD eine Energie- und Verkehrswende vehement ablehnt und auf Wachstum im fossilen Kapitalismus ohne jede Deadline setzt, muss sie zukünftige Rohstoffkriege einkalkulieren, um Deutschland den Zugang zu knapper werdenden Öl- und Gasvorräten zu sichern. Denn dass diese Rohstoffe endlich sind, weiß auch die AfD – egal ob sie die Klimakrise für real hält oder nicht.
Auch ist der AfD-Kurs gegenüber Russland innerparteilich umstritten. Vor allem westdeutsche AfD-Mitglieder sehen in der Russischen Föderation immer noch das Erbe der verhassten Sowjetunion, deren Soldaten aus ihrer Sicht 1945 mehr oder weniger grundlos in Deutschland eingefallen sind. Das wurde in einem geleakten AfD-Gruppenchat deutlich, nachdem Ko-Parteichef Tino Chrupalla am Jahrestag des Kriegsendes 2023 in der russischen Botschaft zu Gast war. Die Rotarmisten waren nach Meinung eines Abgeordneten »keine Soldaten, das waren barbarische Mongolenstürme«.
Ein bayerisches AfD-Mitglied schrieb damals laut einem ZDF-Bericht: »Diese Verharmlosung der millionenfachen systematischen schweren Kriegsverbrechen (Mord, Vergewaltigung, Vertreibung) der Sowjets kann man Patrioten nicht erklären.« Die Unterstützung Russlands sei für 85 Prozent der Westdeutschen inakzeptabel.
Manche in der AfD wollen demnach eben doch noch Rache für Stalingrad. Momentan scheint aber der Russland-Kurs die einzige grundlegende inhaltliche Differenz mit den Unionsparteien zu sein.
Der CDU-Chef und Bundeskanzler Friedrich Merz hat zwar nach einer Parteiklausur die Abgrenzung der Union von der AfD bekräftigt. Eine Zusammenarbeit mit der AfD werde es nicht geben. »Jedenfalls nicht unter mir als Parteivorsitzendem«, erklärte Merz am Montag in Berlin. »Es trennen uns nicht nur Details, es trennen uns von der AfD grundsätzliche Fragen und grundsätzliche politische Überzeugungen.«
Die Migrationspolitik kann damit nicht gemeint sein – das hat Merz verdeutlicht, als er seine Aussage über Migration als »Problem« im »Stadtbild« verteidigte und mehr »Rückführungen« versprach.