Howdy aus Texas, liebe Leser*innen,
Amerika-Bashing steigt ja derzeit auf ein historisches Hoch, was ich, wo ich nun selbst US-amerikanische Staatsbürgerin geworden bin, mit gemischten Gefühlen aufnehme. Ich stimme mit vielem Gesagten überein, bin dann aber trotzdem beleidigt. So beschweren sich beispielsweise im Internet viele Nationen darüber, dass US-Amerikaner, wenn sie auf Reisen gefragt werden, woher sie stammen, nur ihren Bundesstaat statt ihres Herkunftslandes angeben würden. Ich erinnere mich an einen Vorfall am Pariser Flughafen, wo ein US-Amerikaner vor einem Japaner prahlte, sein Sohn sei ins »Varsity«-Team aufgenommen worden, als wäre es für Japaner selbstverständlich zu wissen, was das ist, ganz so, als ob die Amis mit der japanischen Gakuran-Schuluniform vertraut seien (das wäre mir neu).
US-Amerikaner sagen zu ihrer Verteidigung, es sei nicht ihre Schuld, dass sich alle so gut mit ihrem Land auskennen. Da haben sie recht: Wir Europäer sind eben weltgewandt! Außerdem wird vorgebracht, dass die US-Bundesstaaten so groß seien wie anderswo Länder. Auch wahr. »Kanada ist noch größer als die USA, aber wenn ich euch sage, dass ich aus New Brunswick komme, wisst ihr nicht, wo das liegt«, beschwert sich ein Nutzer und nördlicher Nachbar auf Reddit. Das ist ebenfalls wahr und trifft wohl nicht nur auf US-Amerikaner zu (vielleicht sind wir doch nicht ganz so weltgewandt).
Was wissen wir tatsächlich über Kanada? Von dort kommen Ahornsirup, ein wie Wurst aussehender Bacon und Canada Dry. Außerdem gibt es dort einen Ex-Premier, der so attraktiv ist, dass Katy Perry für ihn Orlando Bloom verließ, sowie sehr seltsam klingendes Französisch. Ansonsten ist das Nachbarland etwas langweilig, kalt und leer, wenn Sie mich fragen.
Unser neuer alter Präsident sieht das anders. Seit er wieder im Amt ist, forderte er zunächst, dass Kanada der 51. US-Bundesstaat werden solle, dann erhob er Zölle. Der Nachbar zeigte sich brüskiert, denn ein König ist bekanntlich mehr als genug, und reagierte mit einem Gegenboykott, der jedoch in gewohnt kanadischer Manier mild und höflich verläuft.
Stimmt, das wissen wir auch über Kanada: die kanadische Kindness, das ständige Entschuldigen und Nettsein. Kein schlechter Zug für eine Nation. Und noch eine Sache ist überaus positiv: die Schönheit der kanadischen Natur. Ich würde gern mal im Banff-See baden oder die Nordlichter bewundern. Aber diesen Oktober ging es erst einmal an die Niagarafälle. Die sind auf kanadischer Seite in Ontario schöner als auf der von New York State, wurde uns erzählt – und das stimmte auch, das sage ich nicht aus Kindness.
Für mich ist Niagara Glamour und Mysterium, ein romantischer und gefährlicher Ort, an dem Flitterwochen verbracht und magische Tricks von in Leder gezwängten und toupierten Illusionisten vollführt werden. Ich wollte ursprünglich eine Aufnahme aus Marilyn Monroes Niagara-Film an den Wasserfällen rekreieren, aber in meinem zugeknöpften Kapuzen-Look erinnerte ich vielmehr an Gandalf. Ich musste mich schließlich mit einem Touri-Foto begnügen, auf dem wir in ein Fass gephotoshopped wurden, das in die Schlucht fällt – ganz wie die 63-jährige amerikanische Lehrerin Annie Edson Taylor, die 1901 als Erste in einem Holzfass die Niagarafälle bezwang und überlebte.
Im berühmten Drehrestaurant vom Skylon-Aussichtsturm schmeckte es scheußlich und überteuert, aber die Aussicht war spektakulär. Auch auf der US-amerikanischen Seite waren die Fälle ein unvergessliches Erlebnis, und die Nähe zu Kanada war mit Flaggen, Ahornsirupfläschchen und dem Gericht Poutine repräsentiert, das sich genauso wie der russische Schreckenstyp auf Französisch schreibt, aber besser schmeckt als alles im Drehrestaurant.
Apropos Russland: Dass mich mein Geburtsland auf dem Weg aus Kanada in die USA verfolgt, überraschte mich. Es war das erste Mal, dass ich meinen neuen US-Pass benutzte: Mit Schrecken stellte ich kurz vor dem Checkpoint fest, dass er nicht unterschrieben und damit ungültig war (Anfängerfehler!). Der streng wirkende Zollbeamte besah ewig lange die Dokumente, bis er sich mit einem starken russischen Akzent an meine Tochter wandte: Ob sie denn Englisch, Deutsch und Russisch spreche? Sie antwortete »Da« (also Ja, mehr kann sie gar nicht). Der von der kanadischen Kindness durchdrungene Russe lachte und winkte uns durch.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194960.talke-talks-kana-da.html