Wenn es um die SPD geht, sind wir, so kommt’s mir vor, seit Jahren in einer grotesken Wiederholungsschleife gefangen: Sie macht in Koalitionen mit der Union alles mit[1], dann heißt es, sie wollte ja anders, allein sie konnte nicht, die ewig Verhinderte. Ist sie nicht verhindert, gibt es andere Gründe, warum Sozialreformen ausbleiben: die FDP, die Weltlage, »die Wirtschaft«, irgendwas ist immer. Nichtsdestotrotz hält sich bis hinein in die Mitgliedschaft der (das ist nicht despektierlich gemeint) heute viel eher sozialdemokratischen Partei, der Linken, hartnäckig das Gerücht, dass sich irgendwo in der SPD etwas verstecke, mit dem sich linke Reformpolitik machen ließe.
Sie liefert nie, und doch umweht sie weiter eine (wenngleich verblassende) Aura des Möglichen. Aus historischen Gründen und wegen ihrer nach wie vor engen Verbindungen mit den Gewerkschaften wohl; vielleicht auch aus Fantasielosigkeit. So viel Vertrauensvorschuss, da kann jede Bürgergeldbezieherin nur staunen. Es gilt schließlich Mitwirkungspflicht. Aber offenbar nicht für jene, die das Prädikat »sozialdemokratisch« für sich beanspruchen – das gibt’s leistungslos.
Dabei ist gerade die jüngste Episode des Regierungshandelns der »Genossen« mal wieder sprechend. Zu einer einzigen ein bisschen guten sozialpolitischen Maßnahme konnte sich die Ampel unter Scholz durchringen: die Umbenennung von Hartz IV in Bürgergeld [2]und die Lockerung einiger mit dem Bezug verbundener Schikanen. Diese eine Sache hat die SPD nun mit der erneuten Umbenennung des Bürgergeldes in Grundsicherung und der Rücknahme der Lockerungen abgeräumt – noch nicht einmal mit Bauchschmerzen. Denn »zu viel« für Bürgergeldbeziehende getan zu haben, das war ja allen Ernstes die Analyse der SPD nach ihrer letzten Wahlniederlage.
Dass so etwas immer wieder passiert, ist kein Versagen einzelner. Der belgisch-britische Soziologe Ralph Miliband analysierte in den 80er Jahren, Europas sozialdemokratische Parteien hätten sich nach 1945 weit von ihrem einstigen revolutionären Reformismus entfernt; für sie stehe der Erhalt des Kapitalismus im Vordergrund. Das mache jede echte Sozialreform zugunsten der Lohnabhängigen, die immer eine gewisse Konfliktbereitschaft erfordert, mit der Sozialdemokratie unwahrscheinlich. In solchen Parteien kämen nur jene nach oben, denen der Kompromiss mit dem politischen Gegner näher ist als der Einsatz für die, die man zu vertreten behauptet. Gestalten wie Lars Klingbeil sind die Regel; seltene Ausnahmen wie Andrea Ypsilanti oder Jeremy Corbyn im UK werden aus dem Weg geräumt oder passen sich, siehe Andreas Babler in Österreich, doch an.
Die einzigen Stempel, die die SPD seit Milibands Analsye vor 40 Jahren im Sozialstaat und auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen hat, sind da zu erkennen, wo es zulasten der Lohnabhängigen ging – ob in Arbeit oder erwerbslos. Wem an tatsächlicher sozialdemokratischer Politik gelegen ist, etwa mit Blick auf die Landtagswahlen 2026, der sollte sich also dringend damit beschäftigen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssten, damit eine solche mit der SPD überhaupt möglich ist. Aus eigenem Antrieb wird sie sie nicht machen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194966.spd-sozialdemokratische-mitwirkungspflicht.html