Die täglichen Nachrichten und Meinungsumfragen sagen uns, dass die Rechte immer weiteren Aufwind hat[1] und von Erfolg zu Erfolg schreitet. Die herrschende Politik tut nichts dagegen, sondern befeuert diesen Eindruck. Mit der verlogenen Behauptung, die radikale Rechte aufzuhalten oder sogar zu minimieren, forciert sie eigene rechte Positionen. Das jüngste Beispiel ist natürlich die Äußerung des neuerdings immer gut gelaunten Kanzlers Friedrich Merz zum »Stadtbild«[2].
An sich hätte das eine gute Intervention sein können. Denn, ja, über das Stadtbild könnte man eine demokratische Diskussion eröffnen und Entscheidungen herbeiführen: miserable Stadtentwicklung ohne ökologische Perspektive, hässliche Architektur, lauter und stinkiger Verkehr, Rücksichtslosigkeit gegenüber Fahrradfahrer*innen, verspätete Busse und Züge, Fußgängerzonen mit zahlreichem Leerstand, die die Kommunen mit viel Geld etwas zu beleben versuchen. Merz beobachtet die Misere in den Bahnen und U-Bahnen. Und man denkt, der Mann muss zu jenen Kalifen gehören, von denen in den Geschichten aus 1001 Nacht berichtet wird, die sich verkleiden und unter die Bevölkerung mischen. Er weiß darum, dass die U-Bahnen und Vorortzüge überfüllt sind – gerade solche, die in die Außenbezirke fahren.
Sie wenden sich gegen Korruption, den Mangel an Demokratie, soziale Ungerechtigkeit, zukunftszerstörerische Rentenreformpläne
Stattdessen wird gezielt ein tendenziöses Bild gezeichnet. Die, die das Stadtbild mit ihren Autos und Staus fluten, sind die unerwähnte Richterinstanz. Die anderen, denen nichts übrigbleibt, als die U-Bahn oder den Bus zu nutzen, werden rassistisch zum »Stadtbild« verdichtet. An jeder Ecke werden die Menschen von der herrschenden Politik und den Medien in Brutalität eingeübt: Es sollen die Migranten schuld sein.
Den Konservativen sitzt der Schreck darüber in den Knochen, dass die deutsche Bevölkerung in der großen Mehrheit 2015 die Geflüchteten willkommen hieß und unterstützte. Jetzt werden »Return Hubs« außerhalb der EU-Grenzen geplant. Dort, im Niemandsland, sollen Migrant*innen ohne Rechte auf Monate und Jahre eingesperrt werden. Lager, wohin man schaut. Längst schon stellt sich die Frage, was in der Folge wohl in jenen Ländern passieren wird, aus denen die Migrant*innen und Flüchtlinge kommen und denen die Rücküberweisungen der Arbeitsmigrant*innen fehlen.
Zu den Exerzitien in Brutalität und Kälte, die von den deutschen Politikern regelmäßig wiederholt werden, gehören Angriffe auf die Gesundheitsversorgung, die Arbeitslosen und die Rentenversicherung. Es geht um die Lohnnebenkosten. Es geht darum, Druck auf die Lohnabhängigen auszuüben, sodass sie für niedrige Löhne diszipliniert arbeiten und Leistung erbringen. Denn eigentlich könnte die Lebensarbeitszeit angesichts der Produktivitätsfortschritte, des Reichtums drastisch verringert werden, alle könnten gut und auskömmlich leben. Doch der erwirtschaftete Reichtum, der seit Jahrzehnten ja immer weiter wächst, wird von wenigen angeeignet. Die Krankenhausversorgung wird verschlechtert, die Leistungen der Krankenkassen, die Pflege verteuert. Gute Lösungen werden nicht entwickelt. Im Gegenteil werden Gegensätze geschürt.
Dazu gehört im Bereich der Rente der Gegensatz zwischen Jung und Alt. Die Boomer, die die Wirtschaftserfolge der vergangenen Jahrzehnte getragen haben, werden angegriffen. Man könnte sagen: Es geschieht ihnen recht. Es war immer schon das falsche Wirtschaftsmodell: Wachstum, Standortwettbewerb, Zerstörung von Natur, Ausbeutung des globalen Südens. Als Rentner sind sie jetzt dran, sie werden nicht mehr gebraucht, sie können sich nicht wehren. Es wird so geredet, als seien sie nur ein Kostenfaktor, als würden sie nicht die Kinder und Enkelkinder unterstützen.
Aber der Angriff auf die Älteren ist ein Angriff auf die Jüngeren. Denn ihnen wird die Möglichkeit der Rente genommen. Hat die sozialstaatliche Rentenversicherung die Menschen schon individualisiert und in Konkurrenz gegeneinander gebracht, so wird dies mit einer kapitalgedeckten Rente und der marktmäßigen Unterscheidung von guten und schlechten Risiken erst recht geschehen. Die Rente wird von der Einzahlungsfähigkeit, von der Jobsicherheit, von den Entwicklungen an den Finanzmärkten abhängen. Die Unsicherheit der Rente, der Ruin der Versicherungen ist programmiert, teure öffentliche Unterstützung unvermeidlich. Es braucht deswegen ein Umlageverfahren in der Rentenversicherung, an dem alle beteiligt sind. Die Jungen sollten sich nicht abspeisen lassen. Nicht resignieren, indem sie gar mehr mit einer Rente rechnen. Nicht gegen die Alten ausspielen lassen. Auch das wäre Antifaschismus.
Wahr ist aber auch: Die Rechte stößt in vielen Ländern auf Widerstand. Unter dem Slogan »Gen Z« finden in aller Welt Proteste[3] von Menschen statt: in Peru, Nepal, Marokko, Madagaskar, auf den Philippinen, in Russland, Israel, den USA, Frankreich. Sie wenden sich gegen die Korruption, den Mangel an Demokratie, die soziale Ungerechtigkeit, die zukunftszerstörerischen Rentenreformpläne. Die Medien sind verblüfft von diesen neuen Protesten, die Regierungen zwingen abzutreten oder reaktionäre Pläne fallen zu lassen.
Ja, neu und nicht neu: Es gab die Gelbwesten-Bewegung, die endlosen Proteste gegen das Projekt von Macron, eine Renten»reform« durchzudrücken; es gab Fridays for Future und Letzte Generation, die von der offiziellen Politik beschimpft und denunziert wurden. Anstatt sich der Rechten zu widersetzen, den Ausbau der Demokratie zu fördern, hat herrschende Politik die demokratischen, ökologischen, antirassistischen Bewegungen bekämpft.
Wieviel Korruption gibt es in Deutschland: mehrere hundert Millionen Euro veruntreut durch Andreas Scheuer, mehrere Milliarden verschwendet durch Jens Spahn, Milliarden verloren durch von oben aus den Finanzbehörden gedeckte Steuertricks mittels Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften, durch legale Steuervermeidung und weniger legale Steuerhinterziehung. Längst schon müsste die Gen Z auch in Deutschland auf die Straßen gehen, sich mit den weltweiten Protesten verbinden und für die Zukunft eintreten.