Keine Einheit beim Tarif

GDL bestreitet Tarifeinheit bei der Bahn / DGB kritisiert Sonderweg

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Aufsichtsrat der Bahn AG fordert die Konzernspitze auf, nicht auf die Forderung der Lokführer nach »Auflösung der Tarifeinheit« einzugehen. Aber gibt es die noch bei der Bahn?

Claus Weselsky ist nicht der Typ, der sich leicht überraschen lässt. Von Nachrichten wie der über die Empfehlung des Aufsichtsrates der Bahn AG an die Konzernspitze, im Tarifkonflikt betonhart zu bleiben, schon gar nicht. »Die Position überrascht uns nicht«, so der GDL-Vize. »Wenn man sich ansieht, wer Mitglied des Aufsichtsrats des DB-Konzerns ist, war dieses Meinungsbild fast zu erwarten.«

Weselsky meint nicht die Vertreter von Industrie und Politik im Gremium – sondern die anderen beiden Bahngewerkschaften. Nach »lieben Kollegen« klingt es nicht, wenn der GDL-Mann über Transnet und GDBA spricht. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sind Mitglied einer dieser Organisationen. Ihren mit der Bahn geschlossenen Tarifvertrag stellt der GDL-Streik politisch in Frage.

Ob auch rechtlich, dazu gibt es verschiedene Auffassungen. Der Grundsatz der Tarifeinheit – ein Betrieb, ein Tarifvertrag – soll verhindern, dass in einem Unternehmen viele Tarifverträge von verschiedenen Gewerkschaften miteinander konkurrieren. Eine entsprechende Passage im Tarifvertragsgesetz sucht man vergebens. Die Regel ist durch Richterrecht entstanden, also durch die Rechtsprechung der Gerichte. Und sie ist längst eine mit vielen Ausnahmen.

Unzufriedene Spezialisten, die ihre Interessen von den raumgreifenderen Tarifabschlüssen großer Gewerkschaften nicht mehr vertreten sahen, sind schon mehrfach ausgeschert: 2001 erstritten die Piloten (Cockpit) einen eigenen Tarifvertrag, später die Flugbegleiter (UFO), die Fluglotsen (GdF) und 2005 die Krankenhausärzte (Marburger Bund). Bei einem in der Regel hohen, weil meist leichter zu erreichenden Organisationsgrad können den Unternehmen Einzelinteressen besonderer Berufsgruppen abgetrotzt werden.

Der DGB ist über die oft überdurchschnittlichen Abschlüsse keineswegs erfreut. Verbandschef Michael Sommer spricht von einem »gefährlichen Irrweg« der GDL. »Wer die Axt anlegt an die Tarif-einheit im Unternehmen, der legt die Axt an den sozialen Frieden.« Einheitliche Flächen- und Haustarife müssten erhalten werden.

Claus Weselsky sieht das anders. »Bei der Deutschen Bahn gibt es schon lange keine Tarifeinheit mehr«, sagt der GDL-Vize. So gebe es gesonderte Tarifverträge mit der Usedomer Bäderbahn, der DB Zug Bus Regionalverkehr Alb-Bodensee und der DB-Zeitarbeit. Hier würden »für die gleiche Tätigkeit unterschiedliche Einkommen« gezahlt. Man werde sich nicht davon abbringen lassen, auf einen eigenständigen Vertrag zu drängen.

Die GDL hat durchaus Chancen, denn ohne Lokführer fährt keine Bahn. Bei anderen Berufsgruppen, die nicht »am längeren Hebel« sitzen, sieht das wohl anders aus. In erfolgreichen Streiks von Spartengewerkschaften sehen viele Kollegen denn auch ein großes Problem: Damit werde der Durchlöcherung von Flächentarifen Vorschub geleistet und das Prinzip der Einheitsgewerkschaft in Frage gestellt.

Bei aller Sympathie für die Forderung der GDL nach einem höheren Gehalt wird deshalb auch in der Linkspartei das Ziel eines eigenständigen Lokführer-Tarifvertrags von einigen skeptisch gesehen. Andere wiederum fordern uneingeschränkte Solidarität mit dem Lokführer-Ausstand.

Linksfraktionsvize Bodo Ramelow hat sogar das »dumpfe Gefühl, dass die Lokführer missbraucht werden für eine Strategie, die letztendlich zu einem Standestarifvertrag« führt. Dabei sei die Potenz des GDL-Streiks »weit mehr als das, was Marburger Bund und Cockpit bisher vermocht haben«, vielleicht sogar das Ende der Einheitsgewerkschaft. Er aber, so Ramelow, werde sich nicht von einem Ziel verabschieden, »für das ich mein Leben lang gekämpft habe«.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal