nd-aktuell.de / 27.10.2025 / Kultur

Über die Schwierigkeit, Nein zu sagen

Der Punk war nie tot, er ist hochaktuell geblieben

Michael Girke
Die britische Punkband Sex Pistols in den 70er Jahren in der Originalbesetzung mit Sänger John Lydon
Die britische Punkband Sex Pistols in den 70er Jahren in der Originalbesetzung mit Sänger John Lydon

»Public Image«, die erste im Jahr 1979 erschienene Single der Band Public Image Limited faszinierte mich wie nur wenige andere Songs. Das hatte natürlich auch damit zu tun, dass der Sänger von Public Image Limited zuvor derjenige der von mir bewunderten Sex Pistols gewesen ist. Diese Punk-Pioniere machten eine Musik des entflammten Zorns, deren Wirkung, als sie neu war, man heute kaum mehr nachvollziehen kann. Allein das Intro von »Anarchy in the UK«, diese Mischung aus Trotz und Spott, die Sänger Johnny Rotten der Welt entgegenschleudert – worauf dann lauter unerhörte Zeilen wie »I am an Anti-Christ, I am an Anarchist, don’t know what I want, but I know how to get it« folgen. Das lag weit außerhalb der Raster, mit denen man die Popmusik der 70er Jahre gewöhnlich wahrnahm.

Viele damals junge Musikinfizierte haben in Rückblicken auf jene Zeit beschrieben, wie sie die Auftritte der Sex Pistols empfunden haben. Worte wie »intensiv«, »herausfordernd«, »verändernd« sind da oft zu lesen; dass man von derlei Auftritten inspiriert mutiger ans Musikmachen herangegangen sei (selbst bei ausgeprägtem handwerklichen Dilettantismus) – und inhaltlich sehr viel entschiedener, kritischer. So nahm die Punkwelle in Großbritannien ihren Anfang.

Wie macht man als Musiker weiter, wenn man Nein sagt zu den Verhältnissen im Musikgeschäft, wenn man sie verändern will?

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Ein Manager namens Malcolm McLaren sah indes all die Provokationen der Band in erster Linie als wirksame Werbemethode an und schickte sie zwecks Steigerung des Profits unaufhörlich auf Tourneen. Beides widerte Johnny Rotten an, weil es ihn zwang, seine künstlerische Integrität zugunsten des Geschäfts hintanzustellen, ja, sich gewissermaßen selbst zu verstümmeln. Nach nur einem Album verließ er die Sex Pistols.

Kurz darauf folgte die Gründung von Public Image Limited. Der nunmehr unter seinem Geburtsnamen John Lydon firmierende Sänger verkündete in zahlreichen Interviews, diese Band wolle dazu beitragen, das Rockmusikbusiness zu überwinden, sie mache »Anti-Rock«. Ihre eingangs erwähnte erste Single »Public Image« beginnt mit den Zeilen: »You never listened to a word that I said/ you only see me from the clothes that I wear/ or did the interest go so much deeper/ it must have been to the colour of my hair.«

Dieser Song ist in der Tat eine Form des Protests. Allerdings richtet er sich nicht an kunstfeindliche Manager oder Plattenfirmenmenschen, sondern an jene, die den Musikbetrieb am Laufen halten: das Publikum. Inhalte interessieren euch doch gar nicht, sagt der Song, stattdessen regieren Fixierung aufs Aussehen, Lust auf nichts als Kicks, Oberflächlichkeit.   

Ganz ähnlich das Vorgehen der Punkband The Jam in ihrer ein Jahr nach »Public Image« veröffentlichten Single »Start«. In deren erster Strophe heißt es: »It doesn’t matter for you to know my name/ nor I do not know yours/ if we communicate for two minutes only/ it would be enough.« Auch hier eine direkte Ansprache ans Publikum. Im Gegensatz zu Public Image Limited halten The Jam dem Publikum aber nicht seine niederen Beweggründe vor Augen; die Band steigt gleichsam von ihrem Starsockel herab, begibt sich auf eine Ebene mit den Hörer*innen, will mit ihnen ins Gespräch kommen. Eine solche Begegnung kann, auch wenn sie nicht länger als ein Zweiminutensong dauert, womöglich den Blick verändern, neue Einsichten hervorbringen.

»Public Image« und »Start« – beide waren sie, so empfand ich es damals, eine neue Art von Song. Gesungene Medienkritik, gesungene Publikumskritik. Songs, die einen anhielten, die – eigene – Praxis des Musikkonsums in den Blick zu nehmen, zu fragen, was man denn selbst dazu beiträgt, die Welt zu einer verkehrten zu machen.

Wie macht man als Musiker weiter, wenn man Nein sagt zu den Verhältnissen im Musikgeschäft, wenn man sie verändern will? Public Image Limited praktizierten ihre Absage an den Rock auf der ästhetisch-künstlerischen Ebene. Sie experimentierten mit der Form, integrierten Dub, Funk, reine Geräusche und Dissonanzen in ihren Sound, sprengten das dominierende Songformat, veröffentlichten etliche sich weit mehr als zehn Minuten hinstreckende Meditationen über die Nachtseiten des menschlichen Miteinanders. Späterhin wurde ihre Musik sehr viel glatter, wodurch ihnen, etwa mit »This is not a Love Song« oder »Rise«, Riesenhits gelangen.

Paul Weller, Songschreiber von The Jam, gründete nach deren Ende die Band The Style Council, engagierte sich in und außerhalb von Songs politisch, etwa gegen die neoliberale Politik der Regierung Margaret Thatcher – und macht seit den frühen 90er Jahren eine Solokarriere. Er gilt als ein »britisches Phänomen«, als ein Künstler also, dem lokal ein großes, international ein eher überschaubares Publikum zugeneigt ist.

Bis heute üben sowohl John Lydon als auch Paul Weller in ihren Songs Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen. Aber widerspenstige Reflexionen über das Entertainment-Gewerbe selbst – und das heißt ja immer auch: über das eigene Tun – sind aus ihrem Œuvre gänzlich verschwunden. Vielleicht, weil man auch als Kritiker des Musikbetriebs eng an diesen Betrieb gebunden bleibt. Doch sind Erfolgsanbeterei, Profitgier, Dummheit, Sexismus, Promi-Geilheit, Konformismus und Oberflächlichkeit mitnichten ausgestorben – im Gegenteil, all dies bestimmt den gegenwärtigen Kulturbetrieb in einem erschreckenden Ausmaß. Sprich: Es fehlt dem einst von den Songs »Public Image« und »Start« losgetretenen Infragestellen ebendieses Kulturbetriebs und seines Publikums nicht an guten Gründen. Punk war nie tot, er ist hochaktuell geblieben.