Alles fängt mit etwas Prächtigem an«, sagt die Erzählerstimme. Und wir sehen in der ersten Szene dieses Films in nuce die Schönheit unserer Welt in Großaufnahme: Blumen im Sonnenschein, von Bienen umschwirrt. Ein Sinnbild für die Intaktheit der Erde. Bienen schaffen im Gegensatz zum selbstsüchtig veranlagten Menschen funktionierende Gesellschaften, die nahezu perfekt organisiert sind. Und sie sind für die Nahrungsmittelproduktion, die Artenvielfalt und die gesamte Natur von entscheidender Bedeutung.
Aber Bienen sind, wie die Menschen, auch leicht auszubeuten. Teddy (Jesse Plemons) weiß das. Er züchtet Bienen in seiner Freizeit. Den Vorgang des Bestäubens erklärt er so: »Das ist wie Sex, nur sauberer. Niemand wird dabei verletzt.« Teddy wohnt irgendwo in der US-amerikanischen Provinz gemeinsam mit seinem Cousin Don (Aidan Delbis), der allem Anschein nach extrem einfältig ist. Beide leben im einigermaßen heruntergekommenen Haus von Teddys Eltern. Der Vater ist tot, die Mutter liegt schon lange schwerkrank im Koma im Krankenhaus.
Teddy, der zu den Working Poor gehört, hat sehr wenig Zeit für die Körperpflege, was man ihm ansieht: fettige Haare, unreine Haut, schmutzige Klamotten. Denn Teddy hat Wichtigeres zu tun. Er ist einer großen Sache auf der Spur, die sich, grob umrissen, so darstellt: Außerirdische von der Andromeda-Galaxis haben sich unerkannt unter die Menschheit gemischt, geben insgeheim den Ton an und verursachen schleichend den ökologischen Kollaps. Pestizide, Erderwärmung, verunreinigte Nahrung. Leider wissen das nur wenige. Teddy hat intensiv recherchiert, jahrelang in seiner Freizeit Nachforschungen in den Tiefen des Internets angestellt, und ihm ist sonnenklar, was passiert: Das sogenannte Bienensterben war erst der Anfang. Die tückischen Aliens, die äußerlich von den Menschen kaum zu unterscheiden sind, führen einen heimlichen Krieg gegen die Menschheit und wollen sie vernichten.
Doch Teddy, der in einem Kellerabteil seines Hauses fleißig Beweise sammelt für die Existenz der Außerirdischen, will sich wehren, arbeitet fieberhaft an einer Lösung des Problems. Und er hat auch bereits einen Plan: Er wird, gemeinsam mit dem willfährigen Don, einen der Ober-Aliens kidnappen, nämlich Michelle Fuller (Emma Stone), die kaltschnäuzige Chefin eines großen Pharma- und Chemiekonzerns, der seinen Profit mit Opioid-Medikamenten macht. Und sie werden sie – nach der mehr schlecht als recht ins Werk gesetzten Entführung – im Keller von Teddys baufälligem Haus einkerkern und dazu nötigen, mit ihrem Alien-Mutterschiff Kontakt aufzunehmen, sodass Teddy, rechtzeitig zur nahenden Mondfinsternis, ein ernstes Wörtchen mit den Außerirdischen reden kann. So ist es jedenfalls vorgesehen.
Das filmische Werk von Yorgos Lanthimos[1], der als Regisseur seinen Weg gemacht hat von der bizarren kleinen Indie-Filmgroteske, die kaum jemand sehen wollte (»Dogtooth«, »Alps«), zur bizarren großen Filmgroteske, der großer Erfolg beschert war (»Poor Things[2]«), ist nicht jedermanns Sache. Es bedient sich beim Märchenhaften, aber auch großzügig beim Absurden. Die Filme seien verstörend, verkopft, Unbehagen auslösend, hätten einen unguten Drall ins Abseitige, so lauten häufig die Urteile derer, die Lanthimos’ Werk nichts abgewinnen können. Und dann auch noch dieser böse Humor und diese Ästhetisierung von Gewalt! Puh. Nicht ausgeschlossen, dass der Mann – neben dem vor Kurzem verstorbenen David Lynch (»Eraserhead«, »Mulholland Drive«) und dem bitter-schwarzhumorigen Charlie Kaufman (»Synecdoche, New York«, »I’m Thinking of Ending Things«) – die schönsten Mindfuck-Filme der Gegenwart dreht.
Der größte Feind des Menschen ist immer noch der Mensch selbst.
Seine neueste Produktion, »Bugonia«, ist psychologisches Kammerspiel, schwarze Komödie und satirische Groteske zugleich. Der Film erzählt vom Wahnsinn der Gegenwart, in der wir leben müssen und in der an Verschwörungsspinnern wie Teddy kein Mangel herrscht: vereinsamte Menschen, die ihre Zeit in Hobbykellern vor ihrem Rechner verbringen, um die vermeintlich große Lüge aufzudecken, mit der wir Schlafschafe täglich gefüttert werden. Und die zu vielem bereit sind, um die Schuldigen zu finden, die für die Misere unserer Welt verantwortlich sind: die Reptiloiden, die Impf-Mafia, Bill Gates, die Juden.
Wer schon einmal den Versuch unternommen hat, mit einem Verschwörungsgläubigen zu debattieren, wird rasch feststellen, dass jede Wissenschaft, jede Tatsache abperlt am Gegenüber. Und dass alles, was man an Argumenten vorbringt, zum Schluss nur das Weltbild des Verschwörungsspinners bestätigen wird. Wer Teddy erklären will, dass es keine Aliens gibt, gesteht mit solchen Aussagen nur ein, dass er Teil jener Verschwörung ist, die permanent die Existenz von Aliens vertuscht: Regierung, Geheimdienste, Mainstream-Medien. Wer sagt, dass eine solche Vertuschung nicht existiert, will damit nur vertuschen, dass etwas vertuscht wird. Am Ende ist alles ein Beweis dafür, dass der Geheimplan der Andromedaner zur Ausradierung des Menschengeschlechts existiert.
»Jeder leugnet am Anfang. Und dann geben sie es irgendwann zu«, sagt Teddy daher lächelnd zu seiner Geisel Michelle Fuller, die er und sein Cousin an ein schmutziges Feldbett geschnallt und am Fußboden festgekettet haben. Selbstverständlich haben sie ihr zuvor die Kopfhaare abrasiert, damit sie keine Hilferufe an ihre außerirdischen Freunde richten kann und damit diese wiederum sie nicht orten können. Und natürlich haben die beiden Amateur-Kidnapper zur Sicherheit alle Fenster sorgsam mit Alufolie zugeklebt.
Als nervöser, jähzorniger Psychopath und naiv-infantiler Fanatiker, der die Menschheit vorm drohenden Untergang erretten will und diese Mission sehr ernst nimmt, macht der Ausnahmeschauspieler Jesse Plemons hier, wie immer, eine extrem gute Figur: Wie er wissend lächelt, traurig und hilflos aus der Wäsche guckt, sardonisch grinst, rasend wütet, sein Opfer geduldig belehrt, es aber im nächsten Augenblick auch mit bedauerndem Blick foltert, wenn es sein muss – das ist schon große Schauspielkunst.
Teddy und Don, beide Charaktere, die weder intelligent noch besonders liebenswert sind, stehen in gewisser Weise für die Menschheit und deren hilflosen Umgang mit dem ökologischen Kollaps, der begleitet wird von der Austilgung der Reste demokratischer Strukturen. Gleichzeitig repräsentieren sie jene Klasse, die derzeit in den USA weniger zu lachen hat denn je: jene ursprünglich zum Kleinbürgertum aufgestiegenen und heute von Bildung und Wohlstand mehr und mehr ausgeschlossenen Armen, die zu Hungerlöhnen schuften und deren letzter Besitz von der Inflation aufgefressen wird, die keine Zukunft haben und die sich mit der Wahl Trumps noch tiefer in die Scheiße geritten haben, ohne es zu schnallen.
Natürlich ist die ganze Geschichte eine Art Remake beziehungsweise gut geklaut von einem (natürlich) asiatischen Film („Save The Green Planet!“, Korea 2003, Regie: Jang Joon-hwan). Doch Lanthimos wäre nicht Lanthimos, der Meister des surreal-skurrilen Humors und der langsamen Eskalation, wenn es ihm nicht gelänge, etwas ganz und gar Lanthimoseskes daraus zu machen, das vor allem eine Botschaft für uns bereithält: Der größte Feind des Menschen ist immer noch der Mensch selbst. Gekrönt wird die Filmkomödie, der ein erfreulich misanthropischer Blick auf unsere Welt attestiert werden kann, von einem ganz und gar bezaubernden Schluss: Bienen, Blumen und leises Vogelgezwitscher. Und das Geräusch von Wind und Regen.
»Bugonia«: USA, Südkorea, Irland 2025. Regie: Yorgos Lanthimos. Buch: Will Tracy. Mit: Emma Stone, Jesse Plemons, Aidan Delbis. 120 Min. Kinostart: 30. Oktober.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195034.kino-bugonia-bienen-blumen-boese-menschen.html