nd-aktuell.de / 27.10.2025 / Politik

SPD fordert »Stadtbild«-Gipfel

Sozialdemokraten legen Acht-Punkte-Plan vor und setzten Union unter Zugzwang

Patrick Lempges
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetovic steckt hinter dem Acht-Punkte-Plan.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetovic steckt hinter dem Acht-Punkte-Plan.

Mit einem Acht-Punkte-Plan[1] und der Forderung nach einem Spitzentreffen im Kanzleramt versucht die SPD, die Deutungshoheit in der sogenannten Stadtbild-Debatte zu übernehmen. Der Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetovic[2], der das Papier gemeinsam mit neun weiteren SPD-Abgeordneten verfasst hat, forderte gegenüber der »Bild«-Zeitung einen »Stadtbild-Gipfel« nach dem Vorbild der Stahl- oder Automobilgipfel. An dem Treffen sollten Vertreter von Großstädten, kommunalen Verbänden und den Bundestagsfraktionen teilnehmen.

Die Initiative ist eine direkte Reaktion auf die anhaltende Kontroverse um Äußerungen von Bundeskanzler Friedrich Merz[3] (CDU). Dieser hatte am 14. Oktober erklärt, man habe »natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem«, und den Zusammenhang mit Migration hergestellt. Auf Nachfrage hatte Merz hinzugefügt: »Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte.« Die Äußerungen lösten bundesweit Proteste aus. Die Grünen Castrop-Rauxel und Die Linke Essen erstatteten Anzeige wegen Volksverhetzung gegen den Kanzler.

In ihrem Plan »für ein soziales, sicheres und solidarisches Stadtbild« formulieren die SPD-Abgeordneten einen bewussten Gegenentwurf zur Fokussierung der Union auf Migration und Abschiebung. »Schwierigkeiten im Stadtbild haben vielfältige Ursachen: soziale Missstände, Wohnungsnot, Verwahrlosung öffentlicher Räume, fehlende soziale Infrastruktur und unzureichende Prävention«, heißt es in dem Papier. Wer die Debatte auf Asyl, Flucht und Migration verenge, verhindere Lösungen. Getragen hat die SPD die Abschiebungen bislang dennoch.

Die SPD versucht sich verstärkt innerhalb der Koalition zu profilieren.

Das Konzept umfasst acht Handlungsfelder: von einem erweiterten Sicherheitsbegriff, der auf Prävention und Sozialarbeit setzt, über bezahlbaren Wohnraum und die Bekämpfung von Obdachlosigkeit bis hin zu ökologischer Stadtgestaltung, Kulturförderung und besserer Kommunalfinanzierung. Die Autoren fordern etwa mehr aufsuchende Sozialarbeit, Drogenkonsumräume, ein Bundesprogramm »Fünf Millionen Stadtbäume für Deutschland« und ein modernes Gewerbemietrecht gegen Leerstand.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Dirk Wiese unterstützte das Anliegen. Der Acht-Punkte-Plan habe das Ziel, die Diskussion »zu versachlichen und nicht auf das Thema Migration zu verengen. Diese Ziel teile ich ausdrücklich«, sagte Wiese der »Bild«. »Dafür bedarf es in der Tat eines schlüssigen Konzepts. Daran sollten wir arbeiten.«

Die Union lehnt das Format eines Stadtbild-Gipfels ab. »Der Bundeskanzler hat die Problemlage klar benannt, eine weitere Erörterung ist nicht nötig«, erklärte Fraktionsgeschäftsführer Steffen Bilger (CDU) gegenüber der »Bild«. Die breite Mehrheit der Bevölkerung sowie viele SPD-Ministerpräsidenten, Landräte und Bürgermeister teilten bereits ein sehr gutes Verständnis dessen, wovon der Bundeskanzler gesprochen habe, so Bilger. Gesprächsbereitschaft signalisierte er ausschließlich »über eine noch konsequentere Innenpolitik«.

Die unterschiedlichen Problemdefinitionen belasten zunehmend die schwarz-rote Koalition. Verschärft wird der Konflikt durch die Teilnahme von SPD-Fraktionsvize Wiebke Esdar an einer Demonstration gegen die Merz-Äußerungen in Bielefeld am vergangenen Freitag. Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) kritisierte dies scharf: »Opposition in der Regierung – das hat noch nie funktioniert.« Bilger ergänzte im »Tagesspiegel«: »Wer als SPD-Führungskraft gegen den Bundeskanzler der gemeinsamen Koalition demonstriert, trägt leichtfertig dazu bei, dass die Menschen uns weniger zutrauen, gut zu regieren.« SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wiese wies Kritik zurück: »Man sollte auch nicht zu viel hineininterpretieren.«

Unionsfraktionschef Spahn nahm Merz unterdessen weiter in Schutz. »Der Bundeskanzler spricht aus, was die große Mehrheit der Deutschen denkt«, sagte er in der ARD-Sendung »Bericht aus Berlin«. Den Protest gegen Merz bezeichnete er als »linken Empörungszirkus«, der »an der Realität der Menschen« vorbeigehe.

Die Initiative der SPD-Abgeordneten fügt sich in eine Phase, in der die Sozialdemokraten verstärkt versuchen, sich innerhalb der Koalition zu profilieren. Parallel zur Stadtbild-Debatte drängen sowohl die Jusos als auch der konservative Seeheimer Kreis flügelübergreifend auf eine Reform der Erbschaftsteuer und höhere Besteuerung von Reichen. Dies wird als soziale Ausgleichsmaßnahme zu den kürzlich beschlossenen Bürgergeld-Verschärfungen gefordert, die auf Druck der Union zustande kamen. Dieses Thema als Eisbrecher gegen die Austeritätspolitik der eigenen Regierung zu setzen, ist clever, da letzten Monat bereits eine Mehrheit in der Bevölkerung sich für eine solche Reform ausgesprochen hatte.

Die Koalition soll sich nach Vorstellung der Autoren bis Jahresende auf ein gemeinsames Verständnis des »Stadtbilds« verständigen – »ob im Koalitionsausschuss oder einer Arbeitsgruppe«. Ob dieser Vorstoß eine strategische Wende der SPD nach links in der Koalition darstellt – in deren Koalitionsvertrag solche Punkte fehlen – und die Koalitionsspannungen verschärft, bleibt abzuwarten. Mit Agenturen

Links:

  1. https://adis-ahmetovic.de/uploads/adisAhmetovic/Debattenbeitrag_SPD_soziales_Stadtbild_251023_154808.pdf
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192853.staatsraeson-wachsender-unmut-ueber-deutsche-israel-politik.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194873.rassismus-und-migration-merz-legt-bei-rassistischer-stadtbild-aussage-nach.html