Wie gefährlich ist die Rigaer Straße? Berliner Polizei und Senat stufen die Friedrichshainer Fahrradstraße, die nördlich parallel zur Frankfurter Allee verläuft, als »kriminalitätsbelasteten Ort« (kbO) ein. Als solche werden in der Hauptstadt Bereiche eingestuft, in denen Straftaten »von erheblicher Bedeutung« verübt oder vorbereitet werden – also Straftaten, die bedeutsame Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen haben können. Darunter fallen etwa Raubtaten, Brandstiftungen oder gefährliche Körperverletzungen.
Das Konzept der kbO steht wegen der damit verbundenen anlasslosen Polizeikontrollen ohnehin in der Kritik, die Einstufung der »Rigaer Straße« im Speziellen ebenfalls. Denn im kbO Rigaer Straße werden immer weniger Straftaten begangen, wie aus der Antwort des Senats auf eine schriftliche Anfrage des Linke-Abgeordneten Niklas Schrader hervorgeht. Nahm die Polizei 2020 noch 1120 Delikte auf, waren es 2024 nur noch 668. Ein Trend, der sich fortsetzt: Im ersten Halbjahr 2025 wurden 329 Delikte festgestellt.
Kein Vergleich mit anderen Orten, die als kriminalitätsbelastet gelten. Insgesamt gibt es sieben solcher Gefahrengebiete in der Hauptstadt. Statistischer Spitzenreiter ist der Alexanderplatz. Dort wurden 2024 mit 6882 zehnmal so viele Straftaten festgestellt wie in der Rigaer Straße. Auch bezüglich der für die Einstufung maßgeblichen Straftaten »von erheblicher Bedeutung« liegt die Rigaer Straße weit abgeschlagen. Am Alexanderplatz waren es 2024 etwa 471, in der Rigaer Straße lediglich 18.
»Dass die Rigaer Straße immer noch als kbO eingestuft wird, ist einigermaßen absurd«, sagt Niklas Schrader im Gespräch mit »nd«. Diese Einstufung ist nicht nur deklaratorisch, sie hat konkrete Folgen. Die Polizei hat dort wesentlich größere Befugnisse. Sie darf verdachtsunabhängige Personenkontrollen vornehmen und auch Personen durchsuchen. »Die erweiterten Befugnisse, die die Polizei hat, werden mit einer erhöhten Kriminalität gerechtfertigt – und die gibt es in der Rigaer Straße nicht«, so Schrader.
Der Senat will trotz der sinkenden Zahl von Straftaten am kbO Rigaer Straße festhalten. Zuletzt sei eine Fortführung Ende 2024 festgelegt worden, heißt es in der Antwort des Senats auf die Anfrage von Schrader. Dabei geht es vor allem um das teilbesetzte Haus »Rigaer 94«. »Der kbO Rigaer Straße ist grundsätzlich geprägt von der besonderen Phänomenlage linksextremistischer Straftaten und nach wie vor Rückzugsort der linken Szene mit überregionaler Bedeutung«, so der Senat. Die Mitglieder der »Rigaer 94« würden »anarchistische Werte vertreten« [1]und »offen eine feindliche Haltung gegenüber staatlichen Institutionen« zeigen. Die Örtlichkeit mit ihrer ansässigen Klientel berge ein dauerhaftes Gefahrenpotenzial.
»Der Ort ist symbolisch aufgeladen, hat aber auch in der linken Szene an Bedeutung verloren«, sagt dazu Linke-Politiker Schrader. Bei den wenigen festgestellten Straftaten von schwerer Bedeutung in der Rigaer Straße wisse man nicht einmal, ob es sich um politisch motivierte Taten handele, so Schrader. »Das Festhalten an der Einstufung ergibt keinen Sinn.« Damit betreibe der Senat Symbolpolitik. »Das ist dem Senat ja nicht fremd, wie man auch beim Zaun um den Görlitzer Park sieht.«
Schrader spricht sich grundsätzlich gegen das Instrument kbO aus. »Die kbOs bringen aus kriminologischer Sicht wenig[2], und die anlasslosen Kontrollen sind ein Einfallstor für Racial Profiling[3] und Willkür«, so der Linke-Politiker. Wenn es den Verdacht einer Straftat gebe, könne die Polizei sowieso Kontrollen durchführen, das wolle niemand in Zweifel ziehen. »Das Mindeste wäre, dass die kbO evaluiert werden und ernsthaft die Frage gestellt wird, ob sie ihr Ziel erfüllen«, fordert Schrader.
In Zukunft sollen die polizeilichen Befugnisse in kbOs sogar noch ausgeweitet werden[4]. Nach dem Willen der schwarz-roten Berliner Regierung sollen sie dauerhaft videoüberwacht werden. Die Aufnahmen sollen zusätzlich mit künstlicher Intelligenz (KI) ausgewertet werden. Die KI soll erkennen, was aufgenommene Menschen gerade machen. Stellt sie »verdächtiges« Verhalten fest, liefert sie einen Hinweis. Beamt*innen werden auf die Aufnahmen aufmerksam gemacht. Bislang liefert die Software allerdings oft Fehlalarme. Datenschützer*innen kritisieren das Vorhaben vehement.