Es gehört inzwischen eine ziemlich große Portion Nostalgie dazu, die Partie Alba Berlin gegen den FC Bayern noch als den »Klassiker« des deutschen Basketballs zu bezeichnen. Zwar standen sich beide Klubs zwischen 2018 und 2024[1] fünfmal im Finale der Meisterschafts-Playoffs gegenüber. Doch spätestens seit der vergangenen Saison schlagen die beiden Klubs komplett verschiedene Wege[2] ein.
Um zu verstehen, wie groß die Lücke zwischen dem amtierenden Meister[3] aus München und den Albatrossen mittlerweile geworden ist, reichte am Sonntag der Blick auf die eingesetzten Spieler. Trotz Verletzungssorgen und einer bitteren Euroleague-Niederlage gegen Olympiakos Piräus zwei Tage zuvor konnten die Bayern mit Andreas Obst, Oscar da Silva und Justus Hollatz sowie Wenyen Gabriel immer noch drei Europameister[4] und einen Profi mit 150 Spielen NBA-Erfahrung aufs Parkett schicken. Berlin verfügt in dieser Saison dagegen weder über aktuelle deutsche Nationalspieler noch über Akteure mit Spielerfahrung in der besten Basketballliga der Welt.
Im Gegenteil: Nach der Entscheidung, in dieser Saison nicht mehr per Wildcard in der Euroleague, Europas Basketball-Königsklasse, anzutreten, musste Alba seinen Spieler-Etat von etwa acht Millionen Euro in der vergangenen Saison für diese Spielzeit so gut wie halbieren. Die Folge war ein XXL-Umbruch im Sommer mit elf Ab- und acht Zugängen und ein entsprechend holpriger Saisonstart mit nur einem Sieg aus den ersten vier Spielen.
Danach gelang den Berlinern gegen Ulm[5] zwar überraschend der Einzug ins Pokal-Viertelfinale. Aber auch die nächste schlechte Nachricht ließ nicht lange auf sich warten: Am vergangenen Mittwoch wurde bekannt, dass Boogie Ellis, Berlins bester Neuzugang und bisheriger Topscorer, nach nur sechs Partien für Alba nach Dubai wechselt. Das ist die Realität des früheren Serienmeisters im Herbst 2025. Die Berliner müssen bei einem lukrativen Angebot ihre besten Spieler ziehen lassen. Auch deswegen lag die Favoritenrolle im 75. Duell zwischen Berlin und Bayern so deutlich bei den Münchnern wie schon lange nicht mehr.
Und tatsächlich sah am Sonntagabend zuerst alles nach einem ziemlich unspektakulären Bayern-Sieg aus. Bis zur Halbzeitpause konnten sich weder die müde wirkenden Münchner noch die offensiv ideenlosen Berliner absetzen. Dabei trafen beide Teams vor allem von der Dreierlinie kaum ihre Würfe. Einziger Lichtblick aus Alba-Sicht war der 18-jährige Nevio Bennefeld. Der schlaksige, 2,11 Meter große Center überzeugte in der ersten Halbzeit mit sieben Punkten. Im dritten Viertel konnte aber auch der Berliner Youngster nicht verhindern, dass die Bayern ohne große Mühe bis auf neun Punkte wegzogen. Vor dem Schlussviertel hatten sich auch die 12 981 immer ruhiger werdenden Zuschauer*innen in der Uber Arena bereits mit der Pleite gegen die Münchner abgefunden.
Doch das Team von Weltmeistertrainer Gordon Herbert[6] verpasste es, früh im vierten Viertel für die Entscheidung zu sorgen. Stattdessen blieben die engagiert verteidigenden Berliner dran, holten die Fans wieder zurück ins Spiel und zeigten ganz am Ende, dass immer noch etwas Strahlkraft in der Partie Berlin gegen Bayern stecken kann. Erst sorgte Alba-Routinier Martin Hermannsson mit zwei erfolgreichen Korblegern Mitte des vierten Viertels für den nicht mehr für möglich gehaltenen Führungswechsel. Bevor ein weiteres Berliner Talent den Schlusspunkt setzte.
Jack Kayil, 19 Jahre alt und seit dem Sommer Vizeweltmeister mit der deutschen U19, brachte Alba 51 Sekunden vor dem Ende mit einem Dreipunktewurf mit 61:58 in Führung. Danach sicherte der gebürtige Berliner seinem Team noch einen Rebound, leitete den vorentscheidenden Schnellangriff ein und verwandelte dann nervenstark zwei Freiwürfe, die den 67:61-Erfolg endgültig besiegelten.
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss, hier mit 18, 19 Jahren vor 12 000 Menschen gegen den Titelverteidiger zu spielen. Die haben wahrscheinlich die ganze Nacht gezittert und nicht geschlafen«, lobte Martin Hermannsson die mutige Leistung von Kayil und Bennefeld. Auch Alba-Trainer Pedro Calles zeigte sich nach dem Spiel »überrascht« von seinem Team. »Wir hatten heute nicht die Werkzeuge, um ein schönes Spiel zu spielen, aber wir haben Charakter gezeigt«, freute sich der Spanier. Es sind die zarten Ansätze eines neuen Erfolgsrezeptes für die Berliner Basketballer – mit viel jugendlicher Energie und Unbekümmertheit gepaart mit dem Kampfgeist und der Erfahrung der verbliebenen gestandenen Profis.
Ganz ohne Wermutstropfen können die Berliner den Sieg über den Dauerrivalen aus dem Süden aber auch nicht genießen. Denn Matchwinner Jack Kayil hat bereits angekündigt, dass er nach dieser Spielzeit in die USA ans College wechseln wird, um dort seinen Traum von der NBA weiterzuverfolgen. Auch im kommenden Jahr braucht Alba also einen neuen Helden für »das Klassikerchen« gegen die Bayern.