In seiner Rede auf der Festveranstaltung zum 75. Gründungsjubiläum [1]des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sprach dessen Präsident Sinan Selen[2] von einer »Transformation« seiner Behörde zum »Abwehrdienst«. Es gehe »vor allem um hybride Bedrohungen, Sabotage, Spionage, Cyberangriffe und Einflussoperationen insbesondere durch Russland[3]«. Dazu zählten auch Drohnenüberflüge, Desinformations- und Diskreditierungskampagnen und Aktionen »bis hin zu Tötungsoperationen gegen erklärte Gegner«.
Seine Behörde habe nicht mit einem künftigen Spannungs- und Verteidigungsfall zu tun, sondern mit Bedrohungen, »die hier und jetzt auf uns einwirken«, betonte Selen. »Insbesondere Sicherheit ist wieder ein äußerst knappes Gut, das aktiv von unseren Gegnern und systemischen Rivalen verknappt wird. Es gilt daher, die Sicherheitsarchitektur zu härten – technisch, physisch und mental.«
Der BfV-Verfassungsschutzpräsident forderte eine Stärkung seiner Behörde und eine erneute Ausweitung ihrer Befugnisse. Ihr Auftrag, die Demokratie zu schützen, sei im Vergleich zu früheren Jahrzehnten schwieriger geworden: »In unserer praktischen Abwehrarbeit und Vorfeldaufklärung hat sich der Einsatzraum, seine Komplexität, die Anzahl der Gegner, ihre Fähigkeiten und die Geschwindigkeit drastisch erhöht.«
Derzeit hat das BfV 4500 Mitarbeiter. Das sind noch einmal 500 mehr als vor zwei Jahren. In den 20 Jahren bis 2023 hatte sich die Personalstärke der Bundesbehörde bereits auf fast 4000 verdoppelt, das jährliche Budget auf fast 500 Millionen Euro verdreifacht. Zu den Beschäftigten des BfV kommen die Mitarbeitenden der 16 Landesämter für Verfassungsschutz.
Selens Auftritt bei dem Festakt war zugleich seine Antrittsrede als Präsident des Geheimdienstes. Er wurde von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt am 8. Oktober zum offiziell ernannt. Zuvor hatte er das BfV als Vizepräsident bereits seit November 2024 kommissarisch geleitet, weil sein Amtsvorgänger Thomas Haldenwang zurückgetreten war. Dobrindt lobte Selen am Montag als »sensiblen und integren Wachmann«, dem er seine »volle Unterstützung« zusichere.
Im ZDF- »Morgenmagazin« hatte Selen von »multipolaren und multiplen Bedrohungen« gesprochen, denen es zu begegnen gelte. Außerdem bestehe die Bedrohung durch internationalen Terrorismus und durch »Extremisten« fort, sagte er. Der Politik sei die Bedeutung des Nachrichtendienstes bewusst. Zeichen ihrer »großen Wertschätzung« sei unter anderem die Tatsache, dass der Verfassungsschutz »aus der Schuldenbremse herausgezogen« sei.
Den Vorwurf, seine Behörde werde politisch instrumentalisiert, wies Selen zurück. Das BfV sei dafür da, »eine Situation zu beschreiben« und zu warnen, wenn »rote Linien« hinsichtlich der freiheitlich-demokratischen Grundordnung überschritten würden. Was die Politik aus den Informationen mache, sei nicht Sache der Behörde.
Selen wurde 1972 in Istanbul geboren und kam im Alter von vier Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland. Seine Karriere begann im Jahr 2000 in der Abteilung Staatsschutz des Bundeskriminalamts. Ende 2006 wurde er Referatsleiter Ausländerterrorismus und -extremismus im Stab Terrorismusbekämpfung des Bundesinnenministeriums (BMI). 2009 wechselte er ins Bundespolizeipräsidium, 2012 ging Selen zurück ins BMI, wo er unter anderem für die Zusammenarbeit mit der Türkei bei der Terrorismusbekämpfung zuständig war. Von 2016 bis zu seiner Ernennung zum BfV-Vizepräsidenten am 21. Januar 2019 arbeitete er für den Tourismuskonzern Tui, wo er für Cybersicherheit und Krisenmanagement zuständig war. Mit Agenturen