»Communist! Communist!« – solch einen wütenden Schrei quer über die Straße hört man auf der noblen Upper East Side von Manhattan selten. »Communist!«, wiederholt die ältere Dame, sichtlich erzürnt, inzwischen fast heiser. Dort, wo sie hinruft und hindeutet, macht sich gerade ein jüngerer, bärtiger Mann in Anzug und Krawatte ein Leihfahrrad zurecht, das er aus der Verankerung genommen hat. Es ist der neue linke Star Zohran Mamdani[1]. Er blickt in ihre Richtung und erwidert: »I’m a cyclist« (»Ich bin ein Radfahrer«) – als wär’s ein Reim auf ihren Anwurf –, schwingt sich aufs hellblaue »Citi Bike« und radelt davon. Ein jüngerer Mann hat die Szene beobachtet. »Er ist ein demokratischer Sozialist, kein Kommunist, das sollten Sie wissen«, versucht er, die Frau zu beschwichtigen. Doch sie hat sich bereits umgedreht und läuft wild gestikulierend davon. »Er ist ein Kommunist«, ist sie ein letztes Mal zu hören.
In den vergangenen Wochen gab es nur wenige ähnliche Szenen. Auf einer Busfahrt, bei der Mamdani erneut sein Programm für Gratisfahrten vorstellte, schrie ihn jemand ebenfalls »Kommunist!« an. Einige New Yorker spuckten vor ihm aus. Aber das sind Ausnahmen. Fast immer bitten Passanten ihn um Selfies, er wird freudig begrüßt, Menschen schütten ihm ihr Herz aus. Er streichelt Hunde, schüttelt Hände und stellt sich bereitwillig für Fotos mit ins Bild. Noch wichtiger: Bei aller Omnipräsenz hört der 33-Jährige zu. Er predigt nicht – das gestehen ihm selbst Gegner zu. Mamdani sei »einnehmend, hochintelligent und vor allem authentisch«, gaben etliche Spitzen von New Yorker Unternehmen und Banken der »New York Times« zu Protokoll.
In den jüngsten Wahlumfragen liegt der demokratische Sozialist deutlich vor seinen Konkurrenten. Laut Erhebungen der Quinnipiac University und des Siena College Research Institute erreicht er stabil rund 45 Prozent. Ex-Gouverneur Andrew Cuomo ist zwar Demokrat, tritt aber als Unabhängiger an, weil er in den Vorwahlen klar gegen Zohran Mamdani unterlegen war. So versucht er, sich vom linken Parteiflügel zu distanzieren und gleichzeitig Wählerinnen und Wähler jenseits des traditionellen demokratischen Lagers – also Republikaner – zu gewinnen. Umfragen geben Cuomo rund 25 Prozent. Der Republikaner Curtis Sliwa ist dagegen weit abgeschlagen.
Stabil für Mamdani heißt: Wie schon im Vorwahlkampf der Demokraten schneidet er bei jüngeren und nichtweißen Wählerinnen und Wählern besonders stark ab. Cuomo punktet dagegen bei älteren und »moderateren« Menschen. Falls Mamdani keine gravierende Panne widerfährt – wovon angesichts der letzten Wochen und dank seines professionellen Wahlkampfteams auszugehen ist –, dürfte der 33-Jährige am 4. November zum Bürgermeister der größten Stadt der USA und kapitalistischen Weltmetropole gewählt werden.
Doch welches »politische Kapital« bringt er mit? Sind seine Reformvorschläge, die sich auf affordability (Erschwinglichkeit) beziehen, umsetzbar? Mamdani nennt die Summe von zehn Milliarden Dollar zur Finanzierung seiner Pläne, darunter kostenlose Kinderbetreuung und kostenlosen Busverkehr. Finanzieren möchte er das mit höheren Steuern für Unternehmen und wohlhabende New Yorker. Das dritte prioritäre Reformvorhaben betrifft die Mieten: Die von rund einer Million mietpreisgebundener Wohnungen sollen eingefroren werden.
»Wir werden diese Einschüchterung nicht akzeptieren.«
Zohran Mamdani über die verbalen Angriffe von US-Präsident Donald Trump
Konservative malen schon jetzt den Teufel an die Wand. Steuererhöhungen könnten die Betroffenen in die Flucht treiben, warnen sie, und würden damit die Steuerbasis der Stadt aushöhlen. Immobilienunternehmer argumentieren, Hausbesitzer wären nicht mehr in der Lage, ihre Gebäude instandzuhalten. Mamdani und sein Beraterteam, das sich dem Vernehmen nach bereits auf die Amtsübernahme vorbereitet, schotten sich mittlerweile vor der Presse und weiteren Neugierigen ab.
Gleichwohl ist das Interesse der globalen Linken an Mamdanis Vorhaben riesig. So war beispielsweise die Ko-Vorsitzende der Partei Die Linke, Ines Schwerdtner, im Oktober in New York. Auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung begutachtete sie zusammen mit dem Vorsitzenden der Berliner Linken, Max Schirmer, den Wahlkampf. Auffällig waren für Schwerdtner die Parallelen zu Berlin. Gegenüber dem »nd« hob sie die Beteiligung von Tausenden Freiwilligen hervor, die seit Monaten einen Haustürwahlkampf betreiben – »so wie wir es auch im Bundestagswahlkampf gesehen haben«.
In beiden Städten habe das progressive Lager stark mobilisiert. Wie in Berlin gebe es auch in New York »eine starke Graswurzelbewegung, die sich um die Alltagssorgen der Menschen kümmere – um klassische Brot-und-Butter-Themen wie Mieten, Nahverkehr und Kinderbetreuung«. Die Kampagne von Mamdani, der den New Yorker Democratic Socialists of America (DSA) angehört und von ihnen unterstützt wird, wolle auf »mindestens 50 Prozent der Stimmen« bauen, um dessen Mandat zu festigen, so Schwerdtner. »Dieser Rückhalt wird auch notwendig sein, um das ambitionierte Programm umzusetzen«, schätzt sie.
Ob Mamdani auf 50 Prozent kommt, ist allerdings fraglich – nicht zuletzt wegen der Stimmung in den New Yorker Gewerkschaften. Ihre Apparate fremdeln zum Teil mit der Bewegung. Zohran Mamdani wird von basisnahen, reformorientierten Verbänden wie Teilen der Automobilgewerkschaft UAW, der Bildungsgewerkschaft United Federation of Teachers und der Dienstleistungsgewerkschaft SEIU unterstützt, die bis zu 300 000 Beschäftigte vertreten und für eine linke Erneuerung mit Fokus auf Klassenpolitik, Mietenkampf und Klimafragen stehen.
Mamdanis Konkurrent Cuomo kann sich dagegen auf etablierte gewerkschaftliche Machtzentren stützen, die bis zu 600 000 Mitglieder vertreten und tief im politischen Apparat der Demokratischen Partei verwurzelt sind. Die Transportgewerkschaft TWU, die New York 2005 mit einem wilden Streik lahmlegte, hat über 160 000 Mitglieder und ist keinem der beiden Lager klar zuzuordnen.
Grace Mausser[2], Ko-Vorsitzende der New Yorker DSA, die mittlerweile 17 000 Mitglieder zählt, sagt, das Thema »Erschwinglichkeit« sei ein Schlüssel zum Erfolg bei den Vorwahlen gewesen. Schon vor einem Jahr, als Mamdanis Kandidatur noch belächelt wurde, habe sie persönlich darauf gedrängt, dieses Thema in den Mittelpunkt zu stellen. »Von Anfang an gingen wir davon aus, dass Mamdani sich auf drei Säulen stützen konnte: auf die aktivistische Linke, angeführt von der DSA; auf die Mieterinnen und Mieter mit Mietpreisbindung, die einen großen Teil der New Yorker Bevölkerung ausmachen; und auf die muslimischen Wählerinnen und Wähler – eine Gruppe, von der Zohran schon zu Beginn des Wahlkampfs betonte, sie sei von der Politik lange vernachlässigt worden«, so Mausser.
Als politischer Widersacher von Mamdani gilt auch US-Präsident Donald Trump, der eine konfrontative Agenda gegenüber New York verfolgt – der Stadt, in der er aufgewachsen ist und sein Immobilienimperium aufgebaut hat. Auch Trump bezeichnete Mamdani als Kommunisten und warnte ihn davor, im Falle seiner Wahl zum Bürgermeister im November wie angekündigt gegen die Festnahme illegaler Einwanderer in der Millionenmetropole vorzugehen. »Nun, dann müssen wir ihn verhaften«, sagte Trump. Zudem griff er Gerüchte auf, Mamdani halte sich illegal in den USA auf. Mamdani konterte auf der Plattform X: »Wir werden diese Einschüchterung nicht akzeptieren.« Dennoch wären seine Handlungsspielräume als Bürgermeister gegenüber der Bundesregierung in Washington auf vielen Politikfeldern stark begrenzt.
Das Washingtoner Magazin »Politico« analysierte, Trump sei rechtlich und kraft seines Amtes in der Lage, New York seinen Willen aufzuzwingen[3] – »sei es durch eine Ausweitung der Einwanderungskontrollen, das Einfrieren von Milliarden an Infrastrukturmitteln oder gar durch den Einsatz föderaler Truppen auf den Straßen der Stadt«. Der neue, »unerfahrene Bürgermeister« werde gezwungen sein, sich Trump entgegenzustellen, um seine Wahlversprechen einzulösen.