Begriffe wie Trumpismus, Autoritarismus, Oligarchie und Faschismus fallen, um die Entwicklungen in den USA zu beschreiben. Wo würden Sie das Regime einordnen?
An jedem dieser Begriffe ist etwas Wahres, aber keiner trifft für sich allein genommen exakt auf die USA zu. Der Punkt ist: Unser Faschismus ist kein bloßes Abziehbild des deutschen oder italienischen. Natürlich hinkt jede historische Analogie; Geschichte wiederholt sich nie exakt. Ich würde sagen, es ist ein Faschismus mit amerikanischen Merkmalen. Sein Ursprung liegt nicht in den 1930er Jahren, sondern 1876. Damals etablierte sich im Süden der USA ein offenes Terrorregime. Afroamerikaner*innen wurden entrechtet, systematisch ausgeschlossen und der Gewalt des Ku-Klux-Klan und der Polizei ausgesetzt. Organisationen wie die »Red Shirts« oder »White Shirts« waren dabei frühe paramilitärische Formationen – in gewisser Weise Vorläufer der deutschen und italienischen Braun- und Schwarzhemden.
War die Bewegung Vorbild für europäische Rechtsextreme?
Tatsächlich schickte Hitler einen seiner Juristen in die USA, um die Rassengesetze des Südens zu studieren, die sogenannten Black Codes. Deren Logik der Segregation und Entrechtung diente den Nazis als Vorbild für ihre Nürnberger Gesetze. Faschismus in den USA ist ein Erbe der Sklaverei, unseres »Ursündenfalls«. Seitdem tobt hier ein ständiger Kampf zwischen zwei entgegengesetzten politischen Prinzipien: die verfassungselitäre Republik der Besitzenden, die auf Eigentum und Ordnung beruht, und andererseits das, was der Philosoph W.E.B. Du Bois[1] Abolition Democracy nannte. Damit beschrieb er die Jahre nach dem Bürgerkrieg, als im Süden ein radikaldemokratisches Regierungsexperiment aus ehemaligen Versklavten und armen Weißen entstand – ein Experiment, das später mit Gewalt zerschlagen wurde.
Zehn Monate ist Trump erst im Amt. Doch es fällt schwer, den Überblick über die rapide Faschisierung – wenn man sie so nennen will – zu behalten. Was ist für Sie dabei das auffälligste, gefährlichste Element?
Das ist zurzeit die ICE (Immigration and Customs Enforcement, Anm. d. Red.)[2]. Diese Einwanderungs- und Zollbehörde ist eine vergleichsweise junge Institution, erst nach dem 11. September 2001 gegründet, als Teil des damals neuen Department of Homeland Security. Ursprünglich war sie eine relativ kleine Behörde. Trump hat sie zur größten Bundespolizeitruppe der Welt gemacht, mit enormen finanziellen Mitteln und aggressiven Rekrutierungsmethoden. Er lockt vor allem junge Männer mit Anreizen: Wer etwa Studienkredite hat, dem wird der Erlass der Schulden versprochen. Zugleich werden diese neuen Kräfte paramilitärisch geschult.
Was macht die Behörde so gefährlich?
Die ICE ist dem Heimatschutzministerium unterstellt. Sie unterliegt nicht denselben Beschränkungen wie die regulären Streitkräfte. Es gibt keine klare Kontrolle durch das Pentagon oder den Kongress. Faktisch ist die ICE dem Präsidenten verantwortlich und zu einer Art privater Polizeitruppe geworden. Sie handelt zunehmend ohne Rücksicht auf verfassungsrechtliche Grenzen. Sie führt Razzien durch, verhaftet – oder besser: verschleppt – Menschen, meist ohne rechtliche Grundlage. Manche wurden verletzt oder sind gestorben; niemand weiß genau, wie viele derzeit festgehalten werden.
Um auf die Washingtoner Regierung zurückzugehen, könnte man sagen, dass sich Faschismus im Oval Office und in Teilen des Kongresses breitmacht. Es ist aber nur der Anfang. Langfristig liegt die Gefahr in dem Versuch, diese Macht bis in die Einzelstaaten und Kommunen hinein zu verankern. Dieser Prozess ist langwierig – und genau dies müssen wir bekämpfen.
Der Druck von Trump und seinen Loyalisten auf die Institutionen ist enorm, auf Medien, Universitäten, den Nonprofit-Sektor, auf alles, was als Opposition angesehen wird. Für wie hoch schätzen Sie die Bereitschaft ein, sich dem Druck anzupassen, in der Hoffnung, man könnte vielleicht doch mehr herausholen, als wenn man sich dem Regime widersetzt?
Netzwerke wie Black Lives Matter und Indivisible sowie viele lokale Gruppen warnen mit dem Slogan »Complacency is complicity« (wer mitmacht, ist mitschuldig) davor, sich auf das Regime einzulassen. Die ersten, die sich anpassten, waren Großunternehmen. Das war zu erwarten. Und viele aus dem Mainstream und Liberale lassen sich einschüchtern von Trump, der mit seiner Omnipräsenz und seiner brachialen Rhetorik Macht und Stärke ausstrahlt. Dennoch ist er eher ein Papiertiger. Zwar richtet er bereits großen Schaden an, aber viele Drohungen sind heiße Luft.
Die Universitäten haben darauf sehr unterschiedlich reagiert. Zuerst waren sie völlig überrumpelt von der Dreistigkeit dessen, was Trump von ihnen verlangte. Das verstieß gegen nahezu alles, was man sich vorstellen kann: gegen fundamentale Bürgerrechte, die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, die Rechte von Lehrenden und Studierenden, gegen Wissenschafts- und Lehrfreiheit. Einige zeigten schließlich Haltung und beschlossen, sich zu widersetzen – Harvard zum Beispiel hat den Kopf wieder klarbekommen, und viele andere haben sich verweigert, selbst als Trump drohte, ihnen staatliche Mittel zu entziehen. Sie sagten: »Dann finden wir eben einen anderen Weg.« Und tatsächlich zog sich Trump daraufhin zurück. Die New Yorker Columbia University ist dagegen eingeknickt, ebenso die University of Virginia.
Können Sie die derzeitige Repression unter Trump vergleichen mit früheren Phasen in der US-Geschichte? Etwa in der Zeit, als Joseph McCarthy in den 1950er Jahren für seine antikommunistische Kampagne berüchtigt war, oder als es Cointelpro[3] gab, das geheime Programm der Bundespolizei FBI, das von 1956 bis 1971 eine systematische Überwachung und Störung von politisch aktiven Organisationen und Privatpersonen anstrebte, die das FBI als subversiv bewertete.
Ich bin alt genug, um sie alle miterlebt zu haben, die McCarthy-Zeit[4] als Kind und Cointelpro als Erwachsener. Ich erinnere mich genau, wie ich als Achtjähriger die McCarthy-Anhörungen im Fernsehen sah, besonders an jenen Moment, als jemand McCarthy fragte: »Have you no shame?« (»Haben Sie denn überhaupt keinen Anstand?«) Das machte großen Eindruck auf uns. Und ich erinnere mich, dass Bekannte und Freunde der Familie, die in Gewerkschaften aktiv waren, ihre Jobs verloren. Damals wurden Kommunisten aus der Gewerkschaftsführung regelrecht hinausgesäubert.
Ich würde sagen, es gibt drei große Unterschiede zwischen diesen Phasen. In der McCarthy-Ära bestand die Hauptform der Repression darin, Menschen ihre Arbeit und damit ihren Unterhalt wegzunehmen. Leute verloren ihren Job, kamen auf schwarze Listen – die »Hollywood Ten« sind nur das bekannteste Beispiel. Wer als Kommunist galt oder verdächtigt wurde, konnte kaum irgendwo mehr arbeiten. Manche mussten sich eine neue Identität zulegen, andere flogen mehrmals im Jahr aus verschiedenen Jobs. Die Bestrafung bestand darin, aus dem Arbeitsleben verbannt zu werden.
Wie wirkte das Programm des FBI?
Cointelpro erreichte eine ganz andere Dimension: Man wurde nicht nur aus der Arbeit, sondern aus dem Leben selbst getilgt. Fred Hampton, den Chef der Black Panther Party in Chicago – ein Freund von mir – erschossen die Cops 1969 im Schlaf. Unser SDS-Büro lag nur acht Häuserblocks vom Hauptquartier der Panthers entfernt. Nach Hamptons Ermordung folgten weitere Attentate: auf Martin Luther King, auf andere junge schwarze revolutionäre Führer – eine ganze Welle politischer Gewalt. Cointelpro hatte sogar eine »Neutralisierungsliste« von etwa 100 Personen. Der FBI-Chef J. Edgar Hoover[5] nannte das so. Ich selbst stand darauf. Aber ich habe überlebt. Dieses Maß an physischer Gewalt hat die Trump-Regierung bisher nicht erreicht. Noch nicht. Einige Menschen wurden durch ICE-Aktionen getötet, aber nicht in der Größenordnung jener Zeit. Cointelpro richtete sich vor allem gegen Schwarze, sekundär gegen die Linke. Die ICE agiert dramatischer – sie kontrolliert die Einwanderung und betreibt eine regelrechte Säuberungspolitik. Menschen werden willkürlich verhaftet, abgeschoben, kriminalisiert. Oft reicht schon ein spanischer Akzent, um verdächtigt zu werden.
Die ICE geht aber längst nicht mehr nur gegen Migrant*innen vor.
Man darf nicht vergessen: Der Westen der USA war einst der Norden Mexikos. Dort leben Chicanas und Chicanos, deren Familien seit Jahrhunderten dort sind. Doch für die ICE sind sie kaum zu unterscheiden von Menschen, die gerade die Grenze überquert haben. Und die Grenzüberschreitung ohne gültige Papiere ist keine Straftat nach dem US-Strafrecht, sondern eine Ordnungswidrigkeit und vergleichbar mit einem Strafzettel. Die Geldstrafe für ein erstmaliges »illegales« Überschreiten liegt zwischen fünf und 900 Dollar. Aber Trump und die ICE versuchen, aus einem Verwaltungsdelikt eine moralische und politische Straftat zu machen.
Haben Sie ein paar Tipps für gewaltfreien Selbstschutz in repressiven Zeiten?
Sorge für dich und pflege viele echte Freundschaften, nicht nur virtuelle Kontakte auf Facebook oder über Instagram-Herzchen. Baue ein solides Netzwerk von Vertrauten in deinem Lebensumfeld auf, erweitere es. Zweitens: Halte einen nennenswerten Bargeldbestand zu Hause, damit du im Notfall nicht auf Kreditkarten angewiesen bist. Und drittens: Besorge dir eine Faraday-Tasche für Laptop und Handy. Leg die Geräte hinein, wenn du deine Kommunikation vor Überwachung schützen willst.