nd-aktuell.de / 31.10.2025 / Berlin

Berlin: »From the River to the Sea …« vor dem Landgericht

Verfahren in der erster gericht­lichen Instanz am Landgericht eröffnet

Jule Meier
Umstrittene Parole: Auch in abgewandelter Form halten manche sie für strafwürdig.
Umstrittene Parole: Auch in abgewandelter Form halten manche sie für strafwürdig.

Am Freitag startete vor dem Landgericht Berlin ein Verfahren mit besonderer Bedeutung in Bezug auf die Kriminalisierung der Palästina-Solidarität in Deutschland[1]. So wurde der Slogan »From the River to the Sea, Palestine will be free« (Vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer wird Palästina frei sein) vor dem Landgericht verhandelt.

Hintergrund dafür ist, dass dem Angeklagten R. neben dem Verwenden des Slogans auf einer Demonstration auch vorgeworfen wird, im Jahr 2024 mehrfach Bilder einer Organisation auf Instagram geteilt zu haben, die in Deutschland als verbotene Vereinigung eingestuft ist. Dabei handelt es sich um die der palästinensischen Partei Fatah nahestehenden Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden. Wegen der Einstufung als terroristische Organisation wird das Verfahren darum in erster Instanz am Landgericht verhandelt. In der Regel ist die erste Instanz das Amtsgericht.

Somit landet auch der Slogan »From the River to the Sea, Palestine will be free« vor dem Landgericht. Neben Verurteilungen[2] hatte es vor dem Amtsgericht Tiergarten in den vergangenen Monaten[3] auch mehrere Freisprüche[4] in Bezug auf den Slogan gegeben. Kern der Auseinandersetzung ist stets, ob die Losung ein Kennzeichen der Hamas darstellt oder nicht.

Das Bundesinnenministerium hatte die Hamas im November 2023 zu einer verbotenen Vereinigung und die Parole »From the River to the Sea« ohne den zweiten Teilsatz zum Symbol dieser erklärt. Ein vom Amtsgericht beauftragtes Gutachten des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) kam im Mai 2025 zu dem Schluss, dass es keine eindeutigen Belege für die regelmäßige Verwendung der Parole durch die Hamas gibt. Stattdessen sei die Wortfolge sowohl in der Vergangenheit von verschiedenen Stimmen verwendet worden, wie es auch derzeit der Fall ist. Auch internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch verweisen auf die mannigfaltige Verwendung des Slogans. Deutschland ist das einzige Land weltweit, das die Parole strafrechtlich verfolgt.

»Wir haben es hier mit einem scheinrechtsstaatlichen Verfahren zu tun, welches alleine dem Zweck dient, die absurde Berliner Praxis der Kriminalisierung bezüglich des Slogans ›From the River to the Sea, Palestine will be free‹ zu legitimieren.«

Anwält*innen des Angeklagten R.

Der Staatsanwalt und die Richterin im Verfahren von R. hatten in einem anderen Verfahren im November 2024 bereits eine Person wegen Verwendens des Slogans verurteilt. Für das Verfahren von R. hat die Vorsitzende Richterin Susann Wittley, die zugleich Vorsitzende der Staatsschutzkammer ist, ein zweites Gutachten in Auftrag gegeben, um den Slogan »From the River to the Sea, Palestine will be free« zu prüfen. Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik sei laut Gericht beauftragt worden.

Die verteidigenden Anwält*innen[5] von R. – Jessica Grimm, Alexander Gorski und Benjamin Düsberg – stellen zu Beginn des Verfahrens einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht. Hintergrund ist, dass sie den Zweitgutachter Steinberg als »mehr als fragwürdig« einschätzen und dass sie als Verteidigung zur Beauftragung des Gutachtens nicht angehört worden seien. Die Befangenheit unterstellen sie dem Gericht zudem, da Staatsanwaltschaft und Richterin bereits eine Person wegen der Parole verurteilt hatten.

»Die Vorsitzende ist befangen. Wir haben es hier mit einem scheinrechtsstaatlichen Verfahren zu tun, welches alleine dem Zweck dient, die absurde Berliner Praxis der Kriminalisierung bezüglich des Slogans ›From the River to the Sea, Palestine will be free‹ zu legitimieren«, sagen die drei Rechtsanwält*innen gegenüber »nd«.

Gegen die Kriminalisierung der Parole ziehen die Verteidiger*innen zudem politische Argumente heran. Dabei beziehen sie sich zum einen auf den israelischen Professor für Holocaust-Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem Amos Goldberg. »Die Bedeutung des Slogans ist offen und hängt vom konkreten und historischen Kontext ab, in dem er gesagt wird, und natürlich von der persönlichen Absicht derer, die ihn verwenden«, schreibt Goldberg in einem gemeinsamen Aufsatz mit dem Historiker Alon Confino. »Soweit wir wissen, ist es schwierig, einen Palästinenser oder einen Unterstützer der palästinensischen Sache zu finden, der sich nicht mit dem Befreiungsslogan ›From the River to the Sea, Palestine will be free‹ identifiziert, da er allgemein gehalten ist und keine konkrete Lösung andeutet.«

Wie R. den Slogan gemeint haben könnte, kann die Öffentlichkeit am Freitag nicht erfahren, da er von einem Schweigerecht Gebrauch machte. Die Richterin untersagt ihm, sein »Eingangs-Statement« zu verlesen. Für das Verfahren hat sie bis Ende November zehn Prozesstage angesetzt. Zu »nd« sagt R., dass ihn die Härte der staatlichen Repression belaste. »Seit einem Jahr bin ich deshalb nicht mehr demonstrieren gegangen.«

Die Verteidigung fordert eine Einstellung des Verfahrens. »Wenn das ein anderer Kontext wäre, würden wir hier nicht sitzen«, sagt Alexander Gorski während des Verfahrens und spielt damit auf die politische Dimension der Anklage an. Sein Kollege Benjamin Düsberg verweist darauf, dass wegen des Slogans in Berlin pausenlos Menschen festgenommen würden, dass Hausdurchsuchungen stattfinden, Demonstrationen untersagt würden und meistens unmittelbarer Zwang durch Polizeibeamte gegen Demonstrierende angewendet werde. Die Anwält*innen verweisen zudem auf die ökonomische Belastung der Justiz durch die strafrechtliche Verfolgung des Slogans.

Sollte R. vom Berliner Landgericht verurteilt werden, weil er »From the River to the Sea, Palestine will be free auf einer Demonstration skandiert hatte, gibt es rechtlich keine Möglichkeit der Berufung, sondern nur der Revision. Somit wäre der Bundesgerichtshof mit der Frage befasst, ob sich die Wortfolge eindeutig der Hamas zuordnen lässt.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194194.anti-repression-palestine-on-trial-bericht-zu-repression-gegen-aktivisten.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184315.from-the-river-to-the-sea-berliner-gericht-verhaengt-geldstrafe-fuer-umstrittenen-losung.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192053.palaestina-parole-from-the-river-to-the-sea-freispruch-in-berlin.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192973.gaza-krieg-berlinerin-yasemin-a-freispruch-fuer-from-the-river-to-the-sea.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193100.from-the-river-to-the-sea-anwaelte-gegen-palaestina-repression-in-berlin.html