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Groner Landstraße in Göttingen: Wohnung als Strafe

Göttingen: Alleinerziehende Mutter klagt wegen katastrophalen Zustands ihrer Wohnung gegen Vermieter, Hausverwalter und Stadt

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Jahren auch überregional in den Schlagzeilen: die Zustände im Göttinger Wohnkomplex an der Groner Landstraße
Seit Jahren auch überregional in den Schlagzeilen: die Zustände im Göttinger Wohnkomplex an der Groner Landstraße

Ratten- und Schädlingsbefall, kaputte Wohnungstüren und Aufzüge: Wegen unhaltbarer Zustände schaffen es die drei Göttinger Wohnblocks mit der Adresse Groner Landstraße 9a-c immer wieder auch in die überregionalen Schlagzeilen. Jetzt wurde den geschätzt 300 bis 400 Bewohnern wegen angeblicher Mietschulden die Heizung abgestellt.

Die Besitzverhältnisse in dem Komplex, in dem viele Mieter auf Sozialleistungen angewiesen sind, gelten als verschachtelt und sind nur schwer zu durchschauen. Die Mehrheit der insgesamt rund 430 Wohnungen, ein großer Teil davon unbewohnbar, gehört der Gänseliesel Wohn GmbH und der Winteks GmbH, beide Immobilienfirmen sind insolvent. Verwaltet werden diese Appartments durch ein drittes Unternehmen, die Coeles GmbH. 145 Mietparteien haben nach Angaben von Coeles-Geschäftsführer Dominik Fricke Mietschulden.

Wegen des Abstellens der Heizung und des katastrophalen Zustands ihrer Wohnung geht jetzt eine Mieterin gerichtlich gegen die Wohnungseigentümerin, die Wohnungsverwaltung und die Stadt Göttingen vor. Die alleinerziehende Mutter bewohnt mit ihren vier Kindern im Alter von vier bis 15 Jahren zwei Zimmer. Die Wohnung ist 28 Quadratmeter klein und liegt im fünften Stock eines der drei Wohntürme.

»Das Geschäftsmodell, sich Spitzenpreise durch das Jobcenter finanzieren zu lassen, während das Haus verfällt, muss beendet werden.«

Nils Spörkel Rechtsanwalt

Die Heizung des Gebäudes im gesamten Gebäude sei bereits mit dem Ende der letzten Heizperiode im März ausgeschaltet und seitdem nicht wieder in Betrieb genommen worden, sagt der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der die 36-Jährige in den anstehenden Verfahren vertritt. Dadurch habe sich der ohnehin schon miserable Zustand der Wohnung in den vergangenen Wochen noch einmal erheblich verschlechtert.

»Beide Zimmer sind umfassend von Schimmel befallen«, beschreibt Adam die Lage nach einer Begehung der Wohnung am Mittwoch. »Eines der Fenster kann nicht mehr geöffnet werden. In diesem Zimmer ist auch der Strom ausgefallen. Die Toilettenspülung der Wohnung ist defekt und fließt ständig. Dazu kommt eine im Gebäude bestehende Ratten- und Mäuseplage sowie ein Kakerlakenbefall konkret auch in der Wohnung der Familie. Der Aufzug ist weiterhin seit zwei Jahren ausgefallen.«

Aufgrund dieser »unhaltbaren und gesundheitsgefährdenden« Zustände haben Adam und sein Anwaltskollege Nils Spörkel gegenüber dem Vermieter – in diesem Fall die Gänseliesel Wohn GmbH – eine Mietminderung in Höhe von 100 Prozent erklärt und gerichtlich die Unterbringung der Familie in einer angemessenen bewohnbaren Wohnung auf Kosten des Vermieters geltend gemacht. Gleichzeitig beantragte Adam beim örtlichen Amtsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber der Hausverwaltung auf sofortige Inbetriebnahme oder Reparatur der Heizungsanlage.

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Eine zweite einstweilige Anordnung, dieses Mal gegen die Stadt Göttingen, beantragten die Anwälte beim Göttinger Verwaltungsgericht. Ziel sei es, eine sogenannte Unbewohnbarkeitserklärung für die Wohnung nach dem Niedersächsischen Wohnraumschutzgesetz zu erwirken sowie die sofortige Notunterbringung der Familie in einer angemessenen anderen Wohnung.

»Wir haben bei beiden Gerichten eine Ortsbegehung angeregt, um sich auch von Seiten der Justiz ein Bild von der Situation der Familie mit kleinen Kindern in dem Wohnkomplex zu machen«, sagte Adam. Die Stadt dürfe das Problem nicht weiter aussitzen. »Mindestens die Familien mit Kindern müssen da schnell raus, und der Komplex sollte unter eine Zwangsverwaltung durch die Stadt gestellt werden.«

Anwalt Nils Spörkel verwies auch darauf, dass die Quadratmeterpreise in dem Komplex trotz der prekären Lage der Mieter zu den höchsten in Göttingen gehören. »Das Geschäftsmodell, sich Spitzenpreise durch das Jobcenter finanzieren zu lassen, während das Haus verfällt, muss beendet werden«, fordert er.

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