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Dem Hass zum Trotz: Die Pride Saison 2025
Es fanden deutlich mehr CSD-Veranstaltungen statt als im Vorjahr – doch die Zahl der Angriffe stieg noch stärker
Wenige Tage vor dem letzten größeren Christopher Street Day (CSD) der diesjährigen Pride Saison in Cottbus brannte der Müllcontainer eines dort ansässigen queeren Zentrums. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich um einen gezielten Angriff handelte – ein Einschüchterungsversuch gegen die LGBTQ+-Community.
Die Ereignisse rund um die Pride Parade in Cottbus finden im Sicherheitsreport der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) zu rechtsextremen Angriffen auf CSDs noch keine Erwähnung; der nun erschienene Bericht bezieht sich auf den Zeitraum von Juli bis September 2025. Trotzdem schaffen die Autorinnen damit einen umfassenden Überblick über eine besondere Pride Saison – denn im Vorjahr wurde deutlich, dass im Protest gegen queeres Leben eine neue Neonazi-Generation heranwächst. Sie nennt sich Deutsche Jugend Voran (DJV), Elblandrevolte oder Jung & Stark. Wie wirkte sich diese wachsende Queerfeindlichkeit auf die CSDs im Jahr 2025 aus?
Störungen bei fast jedem zweite CSD
Dem AAS-Report zufolge kam es 2025 bei fast jeder zweiten Pride Parade zu einem Zwischenfall: Von den geplanten 245 CSDs wurden mindestens 110 gestört, die Hälfte der Vorfälle konnte dabei rechtsextremen Täter*innen zugeordnet werden. Mit 55 erfassten Störungen bei 180 CSDs war es 2024 noch jeder dritte.
Besonders oft werden laut den Autorinnen queere Veranstaltungen in Ostdeutschland gestört: Bei zwei von drei CSDs kam es dabei zu Zwischenfällen, in Westdeutschland hingegen nur bei jedem dritten.
Allerdings konnten die queerfeindlichen Mobilisierungen an vielen Orten nicht mehr an die Zahlen aus dem Vorjahr anknüpfen. Während sich 2024 etwa in Bautzen fast 700 Menschen aus dem rechtsextremen Spektrum versammelt hatten, waren es in diesem Jahr noch 450.
Weniger Nazis, mehr Koordination
Diese Entwicklung zeichnete sich bereits zu Beginn der Pride Saison ab. Das Autor*innenkollektiv Feministische Intervention kommentierte im August: Auch wenn aufseiten der Nazis die Teilnehmendenzahlen sinken, habe sich etwas Grundlegendes verändert: »CSDs erscheinen nicht mehr selbstverständlich.«
Bedrohungen und Angriffe gegen Organisator*innen und Teilnehmende, Pöbeleien am Rand, Störungen bei An- und Abreise: All das ist inzwischen nicht mehr die Ausnahme – sondern eine neue Normalität.
Hinzu kommt: Die rechtsextremen Gegenmobilisierungen waren 2025 besser koordiniert als im Vorjahr. »So wurden zum Beispiel bei mehreren rechtsextremen Gegendemonstrationen nicht nur die gleichen Slogans, sondern auch einheitliche Share Pics für die Mobilisierung genutzt«, heißt es im Bericht der AAS. Rechtsextremismusforscher Joe Düker vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) führt das unter anderem auf »eine zunehmende Verflechtung der traditionellen rechtsextremen Szene und der jungen Generation Neonazis in Deutschland« zurück. Wie die AAS berichtet, war ein großer Teil der Störfälle auf Ortsgruppen rechtsextremer Parteien wie der Dritte Weg oder Die Heimat zurückzuführen.
Viele Verletzte nach Angriffen
Es blieb nicht bei zerstörten Regenbogenfahnen, Beleidigungen, Hitlergrüßen oder Drohungen im Netz.
In Göttingen wirft eine Person einen Feuerwerkskörper auf CSD-Teilnehmende: fünf Verletzte. In Soest werden drei Demonstrierende körperlich angegangen. Ein Angriff in Emden endet mit zwei Verletzten.
Mit einer Softair-Pistole schießt ein Anwohner in Esslingen in die Menge. In Berlin kann die Polizei zwar einen Angriff auf CSD-Teilnehmende verhindern. Nicht aber, dass Nazis nach dem CSD in Bautzen zwei Journalisten am Berliner Ostkreuz mit Schlägen und Tritten attackieren. Bereits auf dem Rückweg nach Berlin hatten Personen einen Hilferuf abgesendet, da sie im Zug von mehreren Dutzend offenbar gewaltbereiten und alkoholisierten Neonazis bedroht wurden.
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Nach dem CSD in Bremen wird ein junger Mann mit einem Messer bedroht. Weitere Waffen und Munition findet die Polizei bei einem Verdächtigen in Wernigerode. Die Pride Parade in Gelsenkirchen muss wegen einer »abstrakten Bedrohungslage« ganz abgesagt werden.
Solche Vorfälle haben eine abschreckende Wirkung, weit über die direkt Betroffenen hinaus. Das bestätigt eine Umfrage, die die Agentur für Aufklärung und Demokratie während Pride-Events in Sachsen durchführte: Rund jede*r dritte Befragte gab an, mindestens eine Person zu kennen, die aus Sicherheitsgründen nicht (mehr) an CSD-Veranstaltungen teilnimmt, zitiert die AAS aus den bislang noch unveröffentlichten Daten.
Schutz durch Soli-Fonds und gemeinsame Anreisen
Ein weiteres Ergebnis der Umfrage: Vor allem das Verhalten von Sicherheitsbehörden wirkt sich auf das Sicherheitsgefühl der Teilnehmenden aus. Gemeinsam mit der Kampagnenorganisation Campact rief die AAS 2025 den Regenbogenschutzfonds ins Leben, damit Organisator*innen von Pride Paraden Sicherheitsleute oder Awareness-Teams finanzieren konnten. Nach Angaben der Initiatoren wurden auf diese Weise 49 CSDs mit insgesamt 100 000 Euro unterstützt. In kleineren Orten wurden aus dem Regenbogenschutzfonds auch Moderator*innen oder DJs bezahlt. Die Logik: Der beste Schutz vor Übergriffen ist eine große Zahl an Teilnehmenden.
Mit demselben Gedanken organisieren Gruppen wie Pride Soli Ride oder das Solidarische Bündnis gegen Rechts aus Berlin bereits seit vergangenem Jahr gemeinsame Fahrten zu CSDs. Einen Schritt weiter wollte die Initiative CSD Verteidigen gehen, die zu Jahresbeginn entstand. CSD Verteidigen organisierte eigenen Angaben zufolge nicht nur mehrere Dutzend gemeinsame Anreisen zu Pride Paraden, sondern gab auch an, während der Veranstaltungen für Sicherheit zu sorgen. Dazu hielt die Gruppe etwa Aktionstrainings in mehreren Städten ab.
Das Phänomen »CSD Verteidigen«
Allerdings stieß CSD Verteidigen auch auf heftige Kritik: Grund dafür waren unter anderem die engen Verbindungen der Initiative zu Young Struggle (YS). Dieser internationalistischen Jugendorganisation wird eine autoritäre Ausrichtung, die Organisation in Kaderstrukturen und Antisemitismus vorgeworfen. Außerdem soll es der Gruppe CSD Verteidigen ihren Kritiker*innen zufolge mehr darum gehen, für die eigenen Reihen zu werben als tatsächlich CSD-Teilnehmende vor Übergriffen zu schützen.
Inwiefern gerade letztere Vorwürfe berechtigt sind, bleibt unklar. Gegenüber dem »nd« äußerten sich mehrere CSD-Organisator*innen grundsätzlich positiv zur Zusammenarbeit mit CSD Verteidigen. Allerdings gibt es auch anders lautende Berichte. Laut »Jungle World« beschwerte sich etwa der Verein CSD Sachsen-Anhalt über eine mangelnde Gesprächsbereitschaft und symbolische Machtdemonstrationen der Initiative.
So viele Pride Paraden wie noch nie
Was indes zum Ende der Pride Saison 2025 feststeht: Weder Regenbogenschutzfonds, selbstorganisierter Schutz noch Polizei konnten dafür sorgen, dass die Störungen von CSDs im Vergleich zum Vorjahr abnehmen. Ein Scheitern? Für das Autor*innenkollektiv Feministische Intervention ist das zu kurz gedacht. Schließlich gab es auch in dieser Saison wieder deutlich mehr Pride Paraden als 2024. Viele Mottos seien politischer gewesen, viele Reden betont antifaschistisch.
Trotz oder gerade wegen der rechten Angriffe erfuhren CSDs im ganzen Land ein ungeahntes Ausmaß an Solidarität. Das war auch in Cottbus zu beobachten: Nach der vermeintlichen Brandstiftung wurde der größte Cottbuser CSD aller Zeiten gefeiert – zweier angemeldeter Gegendemos zum Trotz.
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