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Leif Randt: Zum Onkelsein geboren

Von Springfeld nach Berlin-Schöneberg: »Let’s Talk About Feelings« von Leif Randt

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Tag für Tag die verdammte Grundsatzfrage: Was sollen wir bloß anziehen und wie machen es die anderen?
Tag für Tag die verdammte Grundsatzfrage: Was sollen wir bloß anziehen und wie machen es die anderen?

Marians Mutter Carolina, einst ein sehr bekanntes Model, ist tot. Der 41-jährige, momentan die Linken wählende (eindringliche Randbotschaft an Michel Houellebecq) Besitzer des Kenting-Beach-Stores in Berlin-Schöneberg, einer proaktiv geführten Modeboutique, spürt einen tiefen Bruch in seinem bislang sorglos verlaufenem Leben. Er hat ein paar Beziehungen hinter sich, die sich immer, wenn es brenzlig wurde (Kinder ja oder nein, heiraten ja oder nein, Haustier ja oder nein), wie von Zauberhand erledigten. Daneben genießt er es partiell, seinen jüngeren Halbbruder in dessen FDP- Familien-Oase gelegentlich zu bespaßen, wenn diesem Bügelfalten-Buben das Fell juckt und er einer Parteikollegin heimlich das hohe ABC des Arschkriechens erklärt.

Kaum hat Marian Flanders die Asche seiner Mutter im Rahmen einer stylischen Trauerfeier illegal im Wannsee versenkt, erwartet er nicht mehr viel von der Welt. Zu innig war das Verhältnis zur sarkastischen Mutti, mit der er immerhin 40-mal Weihnachten feiern durfte, wie uns Strippenzieher Leif Randt vorrechnet. Carolina gab ihrem Sohn kurz vorm Ableben noch einen wunderschönen Satz mit auf den Weg: »Du bist zum Onkelsein geboren, ich habe das früh geahnt, und dein neues Hemd bestätigt mich in dieser Annahme.« Eklektizismus in Reinform, so wahr wie der Aphorismus, dass man aus den Fischen eines Aquariums zwar Fischsuppe machen kann, jedoch nie aus der Fischsuppe wieder Aquarienfische.

Aber Marian hört doch auf den Nachnamen Flanders? Allen popliterarisch deformierten Lesenden springt jetzt Ned Flanders aus der amerikanischen Zeichentrickserie »The Simpsons« aus dem Kleinhirn. Genau diesem treudoofen Christen aus Spingfield ähnelt die Hauptfigur Marian in ihrem gefühligen Lifestyle. Sympathisch und scheintief. Ihn interessieren die 1000 kleinen Dinge, die Modevergehen und -verbrechen am Stoff. Und wisset: Auch eine Küchenrolle kann zwingend ein Lächeln in sein Face zaubern.

Randts große Kunst ist sein perfektes Timing, den handelnden Figuren wohltemperierte Sätze in den Mund zu legen, die eine ausnehmend prophetische Wucht entfalten: »Marians Anspruch war es, sich selbstironisch und nahbar zu geben, idealerweise für ein paar Lacher zu sorgen und immer ehrlich zu bleiben.« Dreifaches Wow, das schafft nur the holy spirit Leif, unser versiertester Tellerrandtänzer und Neuentdecker liebenswerter Tagediebe. Niemand fängt besser die Banalität menschlichen Seins ein als L. R. Er ist der Seismograf der gegenwärtigen BRD, keine und keiner resümiert besser als er unsere gepuderte Gegenwart.

Randt ist nicht Random, sondern born to be alive!

Es sind diese umwerfenden Details, die uns an das Gute im Buch glauben lassen. Randt ist nicht Random, sondern born to be alive! Bevor es in den Gärten der Welt in Berlin-Marzahn zum großen Finale kommt, begleiten wir Randts Menschen ohne Eigenschaften unter anderem nach Japan und Indien. Nach Indien geht es, weil sich Flanders in eine Regisseurin verliebt …

Nein, es sei nicht alles verraten. Lesen Sie selbst, oder lassen Sie sich dieses Buch von der KI vorlesen, wenn Ihnen Selberlesen zu lost ist, denn: »Wenn dir häufig Gäste sagen: ›Putz mal die Fenster‹, bedeutet das nicht, dass sich die Fenster bald von alleine putzen«, wie Leif Randt im »Zeitmagazin« verriet – in der Rubrik »Was ich gern früher gewusst hätte«.

Er schert sich auch sonst den Teufel um sein cooles Lebenswerk und fabuliert regelmäßig für das »Red Bull Bulletin«. Wenn das nicht wahre Kapitalismuskritik ist. Randt ist rebellischer und resistenter als Christian Kracht, so lässt sich auch »Let’s Talk About Feelings« final eintüten. Schon sehr bald wird uns zudem ein deutscher Spielfilm überfallartig den Randt-Kosmos en détail erklären.

Randts Bestseller »Allegro Pastell« wurde verfilmt und wartet auf uns! Der Meister war für das Drehbuch zuständig. »Die Dinge, die du suchst, sind zu 95 Prozent eben doch exakt dort, wo du sie zuerst vermutest. Du musst nur länger schauen«, schrieb er im »Zeit-Magazin« und traf damit die Lage der Nation wie den Nagel auf den Kopf – zu 95 Prozent.

Leif Randt: Let’s Talk About Feelings. Kiepenheuer & Witsch, 320 S., geb., 24 €.

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