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Tram in Berlin: Betriebshof-Modernisierung auf Eis gelegt
Weißensee sollte der Standort der neuen 50-Meter-Züge werden – die müssen nun woanders unterkommen
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben bei einem ihrer vielen Endlosprojekte die Notbremse gezogen. Diesmal geht es um den unweit der Kreuzung von Berliner Allee und Rennbahnstraße gelegenen Straßenbahn-Betriebshof in Weißensee.
Jahrelang wurde der Plan verfolgt, diesen Betriebshof zu modernisieren und für die Stationierung der neuen Fahrzeuggeneration der Tram umzubauen. Die »Urbanliner« getauften Züge sind mit fast 51 Metern deutlich länger als die bis zu 40 Meter langen Flexity-Züge. Dementsprechend müssen diverse Werkstatteinrichtungen an die neue Länge angepasst werden.
Der zuständige Lenkungskreis habe sich beim Betriebshof Weißensee »für die Neubauvariante und gegen den Umbau bei laufendem Betrieb« entschieden, erfuhren die BVG-Beschäftigten am Donnerstag im Intranet. Der Entscheidung vorausgegangen seien »eine Chancen- und Risikoanalyse, Gutachten, Machbarkeitsstudie, Kostenkalkulationen sowie Planungsleistungen für zwei Varianten: die Grundinstandsetzung der Werkstatthallen oder der Neubau der Hallen mit neuer Anordnung auf dem Hof für eine bestmögliche Flächennutzung«, heißt es weiter in dem kurzen Text.
Der Betriebshof Weißensee ist schon länger ein Problemfall für die BVG. Vor allem Beschwerden direkter Anwohner wegen Schienenlärms zwangen den Straßenbahnbetreiber schon vor Jahren zu Umbauten an der Anlage. Unter anderem wurde die Fahrtrichtung der Züge im schleifenartig aufgebauten Hof geändert. Ein wenig ist das Problem auch hausgemacht, denn es eskalierte erst, nachdem die einst BVG-eigenen Wohnungen im Privatisierungswahn verkauft worden waren und auch Betriebsfremde dort einzogen.
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Wann Abriss und Neubau des Betriebshofs starten können, ist derzeit noch unklar. »Weißensee kann erst umgebaut werden, wenn ausreichend neue Betriebshofkapazitäten für die Straßenbahn vorhanden sind«, heißt es im BVG-Intranet. Aktuell würden die nötigen Gutachten für das Planfeststellungsverfahren beauftragt. »Wenn alles klappt, bekommen wir den Beschluss bis 2030«, so die Hoffnung.
Im Jahr 2030 soll nach aktuellen Plänen der neue Betriebshof Adlershof eröffnen, der 60 Flexity-Bahnen fassen soll, was ungefähr auch der Kapazität des Hofs Weißensee entspricht. Ob das aus Sicht der BVG ausreichend Zusatzkapazität böte oder zumindest auch noch der geplante neue Betriebshof an der Neubaustrecke nach Blankenburg in Betrieb sein müsste, ist offen.
Für die Linie M4 bedeutet das ab Einsatzbeginn der neuen Urbanliner-Züge deutlich längere Betriebsfahrten. Bisher wird die Linie vor allem vom Betriebshof Weißensee bestückt, der nur 500 Meter vom regulären Linienweg entfernt liegt. Die Urbanliner sollen laut aktuellen Planungen zunächst in den Betriebshöfen Lichtenberg und Marzahn abgestellt werden, was allerdings knapp fünf beziehungsweise 8,5 Kilometer Betriebsfahrt erfordert.
Wann die ersten Urbanliner tatsächlich in den Fahrgasteinsatz kommen werden, scheint noch offen zu sein. Die BVG zeigte sich Mitte Oktober noch zuversichtlich, dass dies bis Ende dieses Jahres der Fall sein könnte. Doch laut einem Bericht der »Berliner Zeitung« soll es Probleme wegen des hohen Fahrzeuggewichts geben. Die Last könnte demnach zu schwer für marode Brücken oder Unterführungen sein.
Insider bestätigen gegenüber »nd«, dass solche Probleme thematisiert worden seien. Hier geht es um Achslasten, die über zehn Tonnen liegen könnten, wenn das Fahrzeug mit der höchsten zulässigen Zuladung unterwegs wäre. Tatsächlich handelt es sich dabei in der Regel um einen theoretischen Wert, der in der Praxis gar nicht erreicht wird.
»Weißensee kann erst umgebaut werden, wenn ausreichend neue Betriebshofkapazitäten für die Straßenbahn vorhanden sind.«
BVG
Auch die S-Bahn Berlin hatte nach der Modernisierung von Zügen durch zusätzlich eingebaute Technik so ein Problem. Es wurde gelöst, indem zwei Sitzreihen weiter in die Gangmitte gerückt wurden, sodass es dort weniger Stehplätze gab und sich die theoretisch mögliche Zuladung reduzierte. Dass sich das keineswegs für leichtfertigen Umgang mit Sicherheitsfragen bekannte Eisenbahn-Bundesamt darauf einließ, könnte zumindest ein Fingerzeig sein, dass auch die für die BVG zuständige Technische Aufsichtsbehörde (TAB) so eine Lösung akzeptieren sollte. Allerdings ist das Verhältnis zwischen den Verkehrsbetrieben und der Landesbehörde nicht unbedingt von Vertrauen geprägt.
Für Unruhe unter BVG-Beschäftigten sorgt derzeit auch die angekündigte interne Umstrukturierung. Zum Jahreswechsel sollen die Zuständigkeiten ordentlich durchgeschüttelt werden. Entsprechende Informationsveranstaltungen laufen. Bei der Straßenbahn soll laut Insidern beispielsweise die für die Planung von Neubaustrecken zuständige Abteilung aufgelöst werden und die Beschäftigten in der Instandhaltung der Bestandsinfrastruktur unterkommen. Seit Langem herrscht dort Personalmangel, der sich in viel zu geringen Sanierungsraten niederschlägt.
Straßenbahn-Neubaustrecken sollen demnach künftig vom Tochterunternehmen BVG Projekt GmbH geplant werden, das bereits seit vielen Jahren für den U-Bahn-Bau zuständig ist. Angesichts der Ausrichtung der CDU in der Verkehrspolitik, die bereits mehrere Tram-Neubauprojekte gestoppt hat, fragen sich einige Beschäftigte, ob das der Anfang vom Ende des Straßenbahnausbaus in Berlin ist. Andere halten eine Neuaufstellung der Neubauplanung für nötig, um schneller als bisher zu Ergebnissen zu kommen.
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