nd-aktuell.de / 02.11.2025 / Politik

Pokrowsk: »Die Situation ist beschissen«

Für die ukrainische Armee wird die Lage in Pokrowsk immer aussichtsloser

Daniel Säwert
Von Pokrowsk werden bald kaum noch mehr als Trümmer übrig sein.
Von Pokrowsk werden bald kaum noch mehr als Trümmer übrig sein.

Der Kampf um die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk im Donbass scheint nach über einem Jahr in die Endphase zu gehen. Russlands Präsident Wladimir Putin gibt sich siegessicher und hat bereits ausländische Journalisten in die Stadt eingeladen. Dafür sollen die Waffen für fünf bis sechs Stunden schweigen.

In Wahrheit brauche Putin die Pause, um neue Einheiten heranzuziehen, da er sich in ein Abenteuer verrannt habe, versucht die ukrainische Propaganda Putins Worte umzudeuten. Auch Staatschef Wolodymyr Selenskyj stimmt ein, spricht von einer »kontrollierbaren Situation[1]« und davon, dass die Russen nicht davor seien, Pokrowsk zu umzingeln.

Situation in Pokrowsk katastrophal für die Ukraine

Die Wahrheit scheint hingegen anders auszusehen. Beim Fernsehsender Hromadske berichten ukrainische Militärs, Pokrowsk sei bereits zu 60 Prozent in russischer Hand. Die Situation sei »beschissen«, redet ein hochrangiger Offizier Klartext, »Kurz gesagt, Pokrowsk und Myrnohrad sind im Arsch«, zitiert Hromadske weiter. Die Stadt verwandle sich mit jedem Tag mehr in ein neues Bachmut[2].

Die russische Armee habe sich nicht nur in Prokrowsk, sondern auch in Vororten festgesetzt und die ukrainische Logistik lahmgelegt. Die Lage sei »schlimmer als bei Wuhledar«, berichten Soldaten: Drohnen kreisen tagelang über den Stellungen, Leichen bleiben liegen, die Flanken können nicht gehalten werden, die Versorgung ist unterbrochen. »Wenn Pokrowsk fällt, gibt es Myrnohrad nicht mehr. Wenn Myrnohrad fällt, gibt es Pokrowsk nicht mehr«, räumt ein Soldat der 38. Marineinfanteriebrigade ein.

Spezialeinheit soll die Armee retten

Um die Situation noch irgendwie zu retten, hat der Chef des Militärgeheimdienstes HUR, Kyrylo Budanow, Fallschirmjäger zu einer »Sonderoperation« in das Gebiet entsandt. Die Eliteeinheit soll die Logistik wiederaufbauen. Am Sonnabend meldete das russische Verteidigungsministerium, die Fallschirmjäger getötet zu haben, was Kiew umgehend dementierte. Stattdessen lancierte der HUR Meldungen in ukrainischen Medien, die Einheit habe den russischen Vormarsch aufgehalten. Überprüfen lassen sich die Aussagen nicht.

Neben den heroischen Schlagzeilen gibt es auch Kritik an Budanows Manöver. Das Absetzen der Spezialeinheit sei eine »unüberlegte taktische Entscheidung«, schreibt der Journalist und ehemalige Berater des Verteidigungsministeriums, Jurij Butusow, der aktuell in der Nationalgarde dient.

Das Absetzen von Soldaten in einer »Kill Zone«, in der sie schutzlos Drohnen ausgeliefert seien, widerspreche der modernen Kriegsführung, so Butusow. Zudem könne eine kleine Einheit keinen Einfluss auf einen Kampf nehmen, an dem viele tausend Soldaten beteiligt sind. Die ukrainische Führung schaffe erneut einen Präzedenzfall, bei dem statt objektiver Bewertung der Situation vor allem ein Heldenmythos geschaffen werden solle. Die Verluste und die wahren Ergebnisse werden anschließend als Geheimnis behandelt, kritisiert Butusow.

Präsident will keine schlechten Nachrichten

Butusows Kritik bekommt durch das Verhalten Kiews neue Nahrung. Obwohl Powkrowsk faktisch umzingelt ist, vermeidet der Generalstab das Wort. Gleichzeitig verlangt das Präsidentenbüro weiterhin, dass »nur gute Nachrichten« gemeldet werden. Offiziere an der Front berichten, dass Berichte über die tatsächliche Lage blockiert werden. Jedes Eingeständnis der Umzingelung wäre eine politische Niederlage. Soldaten beschweren sich, dass Bitten um Versetzungen oder Rückzug von Einheiten ignoriert werden. Das könne tausenden Soldaten das Leben kosten.

Selenskyjs »kontrollierbare Situation« erweist sich immer mehr als Falschaussage. Die Befehle, Pokrowsk um jeden Preis zu halten, widersprechen jeglicher militärischer Logik. Ein Rückzug auf wirklich kontrollierbare Stellungen, den Kommandeure seit Monaten fordern, kommt für Selenskyj einem Gesichtsverlust gleich, er müsste dann eingestehen, die Welt angelogen zu haben. Das Leben vieler Männer zu retten, kommt Selenskyj jedoch nicht in den Sinn. Dabei wird es immer schwerer, noch jemanden zu finden, der kämpfen kann. Nachdem 18- bis 22-Jährigen die Ausreise erlaubt wurde, haben innerhalb von zwei Monaten 100 000 junge Männer die Ukraine verlassen. Laut Armeeangaben sollen zudem 20 000 Soldaten jeden Monat desertieren. Schon jetzt sollen der ukrainischen Armee mindestens 200 000 Soldaten fehlen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181474.ukraine-krieg-weiteres-morden-in-der-ukraine-ist-nicht-die-loesung.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1177500.ukraine-krieg-ukraine-krieg-bachmut-war-die-hoelle-auf-erden.html