Offenbar entgegen der Haushaltsordnung und damit unrechtmäßig soll Berlins ehemaliger Kultursenator Joe Chialo (CDU)[1] mehrere Millionen Euro zur Förderung von Projekten gegen Antisemitismus[2] freigegeben haben. Der Umstand ist bereits seit dem Sommer bekannt, der »Tagesspiegel« berichtete nun aber über weitere Details, die auf eine jetzt erfolgte Akteineinsichtnahme der Grünen-Fraktion zurückgehen. Sie sei bereits im Juni beantragt worden. Demnach soll die Auswahl der begünstigten Projekte von Chialos Parteikollegen im Abgeordnetenhaus, Dirk Stettner und Christian Goiny, getroffen worden sein.
Von insgesamt 3,4 Millionen Euro, die im Haushalt für »Projekte von besonderer politischer Bedeutung« vorgesehen wurden, seien bis Mitte September 2,65 Millionen Euro freigegeben worden. 14 der 18 Projekte der verwaltungsintern sogenannten Stettner/Goiny-Liste wurden dabei berücksichtigt, ohne dass wie sonst üblich Förderkriterien aufgestellt und die Fachreferate in eine inhaltliche Bewertung der Projekte ausreichend eingebunden wurden.
Chialo soll entgegen rechtlicher Bedenken aus seinem Haus dann selbst die Gelder freigegeben haben. Einige der Projekte hatten gar keinen Antrag gestellt. Den zuständigen Staatssekretär soll Chialo von der Sache abgezogen haben, nachdem die Bewilligung zu lange gedauert hatte.
Unter den Projekten finden sich »The Nova Exhibition« eine Ausstellung, die an das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 erinnert, und die Beziehungspflege des Regierenden Bürgermeisters zur Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg. Darüber hinaus sollen dem Zera Institute von Maral Salmassi 390 000 Euro bewilligt worden sein, um einen »Kultur-Think-Tank gegen Antisemitismus« einzurichten. Salmassi sitzt gemeinsam mit Goiny im Vorstand des CDU-Ortsverbands Lichterfelde.
»Alles deutet auf ein beispielloses System, bei dem öffentliche Mittel verschoben und unter rein parteipolitischen Gesichtspunkten verausgabt werden.«
Bettina Jarasch und Werner Graf Grüne
»Alles deutet auf ein beispielloses System zwischen der Leitung der Kulturverwaltung und der CDU-Fraktion hin, bei dem öffentliche Mittel verschoben und unter rein parteipolitischen Gesichtspunkten verausgabt werden«, heißt es in einer Erklärung der Grünen-Fraktionsspitzen Bettina Jarasch und Werner Graf.
In einer ersten Stellungnahme sprach Dirk Stettner von »Mutmaßungen, Unterstellungen und Vorwürfen«, die jeder Grundlage entbehrten. Er verwies darauf, dass die Koalition bei den Haushaltsverhandlungen einen klaren Schwerpunkt auf den Kampf gegen Antisemitismus gesetzt habe. Für die Jahre 2024 und 2025 waren insgesamt jeweils zehn Millionen Euro vorgesehen. 2024 wurden nur sieben Millionen Euro ausgegeben, obwohl deutlich mehr Projekte Bedarf angemeldet hatten.
Vor dem Hintergrund sei die nun erfolgte Quasi-Direktvergabe ein »Bärendienst« im Kampf gegen Antisemitismus, heißt es von den Grünen. Die Kulturverwaltung sprach von einem üblichen Verfahren, in dessen Rahmen Gespräche zwischen Hausleitung und Regierungsfraktionen stattgefunden hätten. Anordnungen einzelner Abgeordneter seien nicht bekannt.
Die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus hält die Förderung von Projekten gegen Antisemitismus durch das Land mit zusätzlichen Millionen nach wie vor für richtig. Nach dem 7. Oktober 2023 »brauchte es genau dieses Signal, um zu zeigen, dass ›Nie wieder ist jetzt!‹ auch seine Entsprechung in politischem Handeln findet«, erklärte die kulturpolitische Sprecherin Manuela Schmidt. Das Vorgehen der Kulturverwaltung »Gelder nach Gusto der CDU« zu vergeben, widerspreche aber den Förderregeln und der notwendigen fachlichen Prüfung, die besonders bei »Projekten mit besonderer politischer Bedeutung« mit geboten seien, teilte Schmidt mit. Die Fraktionsvorsitzende Anne Helm forderte umgehende Aufklärung durch den Senat und die CDU-Fraktion und Konsequenzen, sollte sich die Mittelvergabe nach Parteiinteressen bewahrheiten.
Die mitregierende SPD-Fraktion ließ eine Anfrage bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.
Nach dem Rücktritt Chialos soll es unter seiner Nachfolgerin Sarah Wedl-Wilson weiter zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein. Auch sie soll Mittel eigenmächtig freigegeben und Träger von der Eigenbeteiligung befreit haben.