Was braucht man für eine »verfassungswidrige, menschenverachtende Grundeinstellung«? Wenn es nach der Staatsanwaltschaft Freiburg geht, gehört dazu Protest gegen die Rekrutierungspraxis der Bundeswehr an Schulen.
Ja, ich weiß, das hier ist eine Kolumne. Leider ist das keine Satire.
Im Februar sollte ein Jugendoffizier an das Angell Gymnasium in Freiburg kommen, um dort für den Wehrdienst zu werben. Das fanden die Schüler*innen ... geht so. Einer von ihnen, lasst ihn uns Bentik nennen, weil er sich selbst so nennt, postete nach dem Besuch ein Meme auf Instagram, auf dem ein Bundeswehrsoldat vor einer Schulklasse steht und sie fragt: »Also Kinder, wer von Euch würde gerne an der Ostfront sterben?«[1]
Anstatt ins Grübeln zu kommen, ob es ethisch sei, Jugendliche zu verführen, sich einer Armee anzuschließen, die aktiv Kriege führt, erstattete der Offizier lieber Anzeige. Und anstatt ihn zu fragen, ob er meine, dass sie nichts Besseres zu tun hätten, erhebt die Staatsanwaltschaft tatsächlich lieber Anklage wegen siehe oben.
Unterstützt wenigstens die Schule ihren Schüler? Ja, sie unterstützt ... allerdings den Bundeswehrsoldaten. Bereits als in der Schülerzeitung im Vorfeld des Besuchs zu Protest aufgerufen worden war, petzte die Schulleitung bei der Bundeswehr. Dann kam das Meme, eine Lehrerin holte Bentik aus dem Unterricht, drohte ihm mit Verweisen und der Schuldirektor wird gegen seinen eigenen Schüler vor Gericht aussagen.[2] Das ist doch mal ein wirklich gut investiertes Pädagogikstudium für zwei wirklich gute ...
Ach, bleiben wir bei der Bundeswehr. Dort wurde die Information über den Protest als »mögliche Störaktion« an die Abteilung Militärische Sicherheit weitergeleitet. Was ist aus dem Werbespruch »Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst« geworden[3], mit dem Bum-Bum-Boris Pistorius seine Rede vor der Münchener Sicherheitskonferenz, ebenfalls im Februar, begonnen hatte? Gute Frage. Nächste Frage.
Neben Verfassungswidrigkeit wird Bentik noch vorgeworden, dem Rekrutierungsoffizier »persönliche Verbindungen zur nationalsozialistischen Organisation SS« zu unterstellen[4], wahrscheinlich wegen dem Begriff »Ostfront« in dem Meme: »Kinder, wer von Euch würde gerne an der Ostfront sterben?« Dabei ist die Frage berechtigt. Sollte die Bundeswehr sich mit Menschen – und nicht wie bisher nur mit Waffenlieferungen – an dem Ukrainiekrieg beteiligen, würde die Lebenserwartung eines Frontsoldaten bei vier Stunden liegen. Das erklärte der US-Marine Troy Offenbecker[5], der in Bachmut gekämpft hat. Vier Stunden! Nein meine Kinder geb’ ich nicht!
Warte mal! Ist das (nahezu) gleichnamige Anti-Kriegs-Lied von Reinhard Mey »Nein, meine Söhne geb’ ich nicht« nicht gerade von der Vorschlagsliste für die SWR-Hitparade genommen worden? Der SWR dementiert, dass das etwas mit Zensur zu tun habe: »Das Lied wurde entfernt, weil wir Manipulationsversuche festgestellt haben.«[6] Weil zu viele Menschen innerhalb zu kurzer Zeit für den Song gestimmt haben. Woran mag das nur liegen?