Als »gewissenlos« kritisierte UN-Generalsekretär António Guterres zum Beginn des Weltsozialgipfels[1] die derzeitige Ungleichheit: Nahezu 700 Millionen Menschen leben global in extremer Armut, während das reichste eine Prozent fast die Hälfte des weltweiten Vermögens besitzt. Vier Milliarden Menschen hätten keinen sozialen Schutz. Guterres rief zum Kampf gegen diese Schieflage auf.
Der UN-Weltsozialgipfel findet diesen Dienstag bis Donnerstag in der katarischen Hauptstadt Doha statt. Die knapp 14 000 Teilnehmer*innen aus Politik, Wirtschaft und Hilfsorganisationen beraten über Maßnahmen, die Armut reduzieren sollen. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) vertritt die deutsche Bundesregierung. Auch die frühere deutsche Außenministerin und derzeitige Präsidentin der UN-Vollversammlung, Annalena Baerbock, reist an.
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Auf dem Gipfel wollen die Teilnehmer*innen eine gemeinsame Erklärung verabschieden. Auch sollen sie der Agenda 2030 neue Impulse geben. 2015 beschlossen die Vereinten Nationen jenen globalen Aktionsplan mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs), die sowohl die soziale und wirtschaftliche als auch die ökologische Dimension umfassen. Doch die UN gestanden bereits ein, dass viele Ziele bis zum Ende des Jahrzehnts kaum erreichbar sind. Eigentlich wollten die Länder den Hunger bis dahin global abschaffen.
Anders als beim ersten Weltsozialgipfel durften nichtstaatliche Akteure nicht über die Gipfelerklärung mitberaten. Die meisten UN-Mitgliedstaaten stimmten dem Rohentwurf im Vorhinein grundsätzlich zu. Laut Jens Martens, Geschäftsführer des Think Tanks Global Policy Forums Europe (GPF Europe) könnte dies daran liegen, »dass der Wortlaut sehr allgemein gehalten ist« und »konkrete Verpflichtungen weitgehend vermeidet«. Er sieht es angesichts der geopolitischen Spannungen als unwahrscheinlich an, dass ein Papier mit deutlich mehr Handlungsvereinbarungen zustande kommt.
Zivilgesellschaftliche Organisationen stellten bereits vor den Verhandlungen umfassendere Forderungen auf: »Unter anderem müssen globale Steuerhinterziehung und -vermeidung bekämpft, eine wirksame Mindestbesteuerung von Unternehmen eingeführt und die globale Schuldenpolitik reformiert werden«, meint Sonja Grigat, Referentin des Verbands humanitärer Nichtregierungsorganisationen Venro. Wenn das globale Wirtschafts- und Finanzsystem nicht reformiert würde, könnten Grigat zufolge nationale Regierungen soziale Rechte nicht gewährleisten.
Anne Schrader, politische Referentin der Christoffel-Blindenmission, sieht es als besonders kritisch an, »dass mehrfach diskriminierte Gruppen gar nicht berücksichtigt werden. Das betrifft zum Beispiel Frauen mit Behinderungen, die Diskriminierung aufgrund ihrer Behinderung und ihres Geschlechts erfahren. Damit Inklusion gelingt, muss sie ganzheitlich und intersektional gedacht werden.« Denn auf dem Gipfel geht es auch um die Förderung sozialen Zusammenhalts.
Der Weltsozialgipfel in Doha ist erst der zweite. Der erste, an dem noch Fidel Castro teilnahm, fand 1995 statt. Die Teilnehmer*innen verabschiedeten damals die Kopenhagener Erklärung, »um die Bedeutung sozialer Entwicklung und des Wohlergehens aller Menschen anzuerkennen und diesen Zielen jetzt und bis ins 21. Jahrhundert hinein höchste Priorität zu geben«. Die Erklärung enthielt zehn – weiterhin aktuelle – Verpflichtungen, mit denen die Länder bekundeten, dass sie die Armut »ausrotten«, Vollbeschäftigung erreichen und soziale Integration vorantreiben wollten.
Doch der Gipfel tagte in einer Zeit, in der neoliberale Strukturanpassungen viele Länder des Globalen Südens überzogen. Diese Politik hatte verheerende Auswirkungen wie ansteigende Arbeitslosigkeit, die im Gegensatz zu den Zielen des Treffens stehen. Und obwohl der Gipfel wohlfahrtsstaatlich geprägt war, wirkten dort neoliberale Konzepte der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. Das Problem bleibt aktuell. Für den zweiten Gipfel kommt erschwerend hinzu, dass viele westliche Länder Hilfsgelder erheblich kürzen.
Laut Martens (GPF Europe) ist entscheidend, »ob es mit dem zweiten Weltsozialgipfel gelingt, die ›soziale Frage‹ dauerhaft höher auf der internationalen Agenda zu verankern«. Dazu brauche es einen Folgeprozess des Gipfels und eine Nachprüfung in fünf Jahren. Zugleich sieht er auch zivilgesellschaftliche Kräfte als relevant an. So gründeten sich nach dem ersten Weltsozialgipfel in vielen Ländern zivilgesellschaftliche Verbände, die weltweit das Netzwerk Social Watch bildeten. Sie überprüften gemeinsam, ob ihre Regierungen die Kopenhagener Verpflichtungen einhielten. Martens meint: »Wenn der zweite Weltsozialgipfel eine ähnlich mobilisierende Wirkung hätte, wäre er tatsächlich ein Meilenstein im Ringen um globale soziale Rechte.«