nd-aktuell.de / 05.11.2025 / Kultur

Erichs Lampen und Wladimirs Kopf

Mit Kunst aus der DDR geht man für gewöhnlich so um: verstecken der wegschmeißen. Aber das schönste Kunstwerk existiert noch

Thomas Blum
Hurra, der Lenin-Kopf ist wieder da!
Hurra, der Lenin-Kopf ist wieder da!

Ein Freund, von Beruf Künstler, erzählte mir neulich auf einer Geburtstagsparty, wo sich mittlerweile die formschönen Lampen befinden, die beim Abriss des Palasts der Republik niemand haben wollte. Zahlreiche Leuchten aus dem sogenannten Stabwerkleuchtensystem in DDR-typischem Design blieben seinerzeit einfach liegen, weil man sie als Müll aus einer untergegangenen Ära betrachtete, als alten Kram, der im Ruch stand, aus einer falschen Gesellschaft und einer falschen Zeit zu stammen. Es war ein ungeschriebenes Gesetz: Alle Dinge aus DDR-Produktion mussten umgehend durch neuen, zeitgemäßen Müll aus kapitalistischer Produktion ersetzt werden.

So war das insgesamt in den ersten zehn bis 15 Jahren nach dem Ende der DDR: Alles musste raus. Aus den Augen, aus dem Sinn. Anfang der 90er Jahre, bevor die Händler auf den Trichter kamen, dass man außer Bruchstücken der Berliner Mauer auch anderes Zeug aus der DDR gewinnbringend verscherbeln konnte, war es kein seltener Anblick in Berlin, dass nagelneues DDR-Mobiliar, Geschirr, Haushaltswaren und die blauen Bände der Marx/Engels-Gesamtausgabe neben Honecker-Bildern und in Plaste- oder Kunstledermappen eingelegte Ehrenurkunden (»Urkunde für hervorragende Leistungen im nationalen Aufbauwerk«) in Sperrmüllhaufen auf den Gehwegen herumlagen.

Was früher achtlos weggeworfen wurde, weil es als minderwertiger sozialistischer Plunder betrachtet wurde, dessen schlechte Kopie gilt heutzutage als »exklusives Wohnaccessoire der ganz besonderen Art«.

Die »Mitropa«-Teller, die ich einst aus einem solchen Haufen klaubte und mit nach Hause nahm, habe ich nicht mehr: Einige sind bei Umzügen zerbrochen, andere habe ich verschenkt. Aber ich besitze aus dieser Zeit noch einen aus dem Hause VEB Tourist-Verlag stammenden entzückenden Berlin-Stadtplan, an dem ich mich bis heute nicht sattsehen kann: Auf dessen linker Seite ist zu sehen, wie das Gebiet »Westberlins« als gelb eingefärbte Fläche ohne weitere Kennzeichnung mitten hineinragt ins Stadtgebiet der »Hauptstadt der DDR«, deren Mittelpunkt offenbar der S-Bahnhof Grünau bildete, ohne dass dem unkundigen Betrachter erklärt worden wäre, worum es sich bei dem altrosa gefärbten Streifen handelt, der die gelbe »Westberlin«-Fläche umrahmte.

Die in den Trümmern des Palasts der Republik liegengebliebenen Lampen, die keiner haben wollte, hat damals ein Freund des eingangs genannten Künstlers mitgenommen und sie irgendwo eingelagert, weil er dem Zerstörungswerk nicht länger zusehen wollte. Ihr Verbleib ist ungeklärt. Klar ist nur, dass auf einer bekannten Internet-Versteigerungsplattform eine »originale Palast-der-Republik-Lampe/Sputnik-Systemleuchte/DDR-Design« angeboten wird. Der Preis beläuft sich gegenwärtig auf 12 500 Euro (»oder Preisvorschlag«), Abholung in Kleinmachnow.

Was für ein grundkaputtes und perverses System der Kapitalismus ist, kann man unter anderem an folgender Tatsache ablesen: Im »Shop« des sogenannten Humboldt-Forums im beängstigend hässlichen, wiederaufgebauten »Berliner Stadtschloss«, das sich an jener Stelle befindet, an der früher der Palast der Republik stand, werden heutzutage Imitate der oben genannten DDR-Deckenleuchten für 3895 Euro pro Stück an Touristen verkauft: »Die hochwertig verarbeitete, nach historischem Vorbild entworfene Deckenlampe ist ein Wohnaccessoire der ganz besonderen Art. Das exklusive Design orientiert sich an den Leuchten, die einst im Palast der Republik hingen, und ist in jedem Raum der Hingucker. Die Deckenleuchte mit zwölf Kugeln ist in stark limitierter Auflage produziert worden und exklusiv hier erhältlich.« Was früher achtlos weggeworfen wurde, weil es als minderwertiger sozialistischer Plunder betrachtet wurde, dessen schlechte Kopie gilt mittlerweile als »exklusives Wohnaccessoire der ganz besonderen Art«. The Times They Are A-Changin’.

Eine andere, damit vergleichbare Berliner Provinzposse ist das erbärmliche Hickhack um das Ostberliner Lenin-Denkmal[1], das einst auf dem Leninplatz, der logischerweise seit 1992 nicht mehr Leninplatz heißt, seinen Standort hatte. Weil man es damals, wie ausnahmslos alles, was an die DDR erinnerte, möglichst rückstandslos verschwinden lassen wollte – Stichwort: Müll aus einer untergegangenen Ära –, man aber selbst in der extrem hartgesottenen Berliner Diepgen-CDU ahnte, dass es keinen allzu guten Eindruck macht, wenn man Kunstwerke der Einfachheit halber zertrümmert und die Brocken dann der Abfallwirtschaft zur Entsorgung übergibt, hat man das Denkmal im Jahr 1991 in 129 Einzelteile zerlegt und – so machten es früher manchmal Kinder mit Dingen, die sie vor den Augen der Eltern verbergen wollten – in einer Sandgrube verscharrt, und zwar möglichst weit weg, am Berliner Stadtrand. Ich würde dieses Tun nicht als vernünftiges Verhalten erwachsener, zurechnungsfähiger Personen bezeichnen.

Knapp 25 Jahre später hat man – weil sich an die DDR, die zwar mausetot war, auf deren Kadaver man aber dennoch weiter fleißig einschlug (der »Historiker« Ilko Sascha-Kowalczuk verdient bis heute damit seinen Lebensunterhalt), außer ein paar Boomern kaum noch jemand erinnerte – den Denkmalkopf, den man lustigerweise eine Zeit lang nicht mehr wiedergefunden hat, wieder ausgegraben, um ihn als Exponat in einer Ausstellung herzuzeigen.

Wegschmeißen oder Verstecken, das scheinen nicht nur die beiden Hauptstrategien der Bundesrepublik im Umgang mit Kunstgegenständen der DDR zu sein, sondern auch die beiden gebräuchlichsten Praktiken im Umgang mit der deutschen Geschichte.

Ich bin mir nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft über diese beiden Verfahrensweisen nicht noch einmal nachgedacht werden sollte. Sicher ist jedenfalls: Das unbestritten größte Pop-Art-Kunstwerk der DDR konnte gerettet werden. Es befindet sich derzeit im Deutschen Historischen Museum: das aus Kunststoffen, Stahlblech und Leuchtstoffröhren bestehende, knapp elf Meter hohe und über fünf Meter breite Leuchtreklameschild des Kombinats VEB Chemische Werke Buna, das 1978 an der Elbbrücke bei Coswig errichtet worden war und für das Chemiekombinat warb. Immer wenn ich früher auf der Transitstrecke zwischen Westdeutschland und Westberlin unterwegs war, bestaunte ich den auf der Reklameskulptur hell erstrahlenden Schriftzug in den Farben Gelb-Orange-Rot und Weiß, dessen überwältigende Schönheit mir fast den Atem raubte: »Plaste und Elaste aus Schkopau«.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1010146.eines-tages-steht-er-wieder.html?sstr=lenin|denkmal|köpenick