Emissionen aus dem Agrarbereich sind ein großes Klimaproblem, doch viele Akteure in Brasilien wollen bei der anstehenden Weltklimakonferenz COP 30 in Belém vom Gegenteil überzeugen: »Die brasilianische Landwirtschaft arbeitet sozial-ökologisch verantwortungsvoll«, beteuert Pedro Lupion, Vorsitzender der Parlamentarischen Agrarfront (FPA). Die Agrarindustrie trage auch zum Naturschutz im Land bei, so der Politiker der Mitte-Rechts-Partei Progressistas. Ähnlich äußert sich Landwirtschaftsminister Carlos Fávaro: »Brasilien zeigt der Welt, dass es möglich ist, zu produzieren, zu konservieren und zu integrieren. Die brasilianische Landwirtschaft wird ein wesentlicher Bestandteil der globalen Lösung für Klimaprobleme sein.«
Wie dies genau aussehen kann, können Besucherinnen und Besucher zeitgleich zur Klimakonferenz in Belém ab dem 10. November in der zwei Kilometer entfernten »Agrizone« erfahren. Organisiert wird diese mit mehr als 400 Events von der brasilianischen Agrarforschungsgesellschaft Embrapa. Die Finanzierung kommt unter anderen von Konzernen wie Bayer oder Nestlé sowie von Interessensverbänden. In der »Agrizone« sollen Best Cases, also Lösungsansätze für eine »kohlenstoffarme« Landwirtschaft gezeigt werden. Außerdem werben die Veranstalter damit, dass sie die Klimakrise und Ernährungsunsicherheit gleichzeitig bekämpfen wollen. Beispielsweise mit Agroforstansätzen, bei denen Kühe statt auf freien Feldern in Wäldern grasen. Tropische Landwirtschaft im Einklang mit dem Regenwald – das klingt erst mal gut.
In Wirklichkeit aber ist die Landwirtschaft einer der größten Treiber der Klimakrise. In Brasilien kommt anders als in vielen anderen Regionen der Welt sogar der größte Teil der Emissionen aus Landnutzungsänderungen – weil Regenwald abgeholzt wird, beispielsweise für Sojaanbau oder Tierhaltung. Am »Bogen der Abholzung«, der sich quer durch das riesige Land zieht, mussten viele Wälder bereits riesigen Sojaplantagen weichen.
Weltweit sieht es nicht viel besser aus: Rund ein Drittel aller Emissionen kommt aus Ernährungssystemen. Und etwa zwei Drittel davon stammen aus der Produktion von tierischen Lebensmitteln, obwohl die nur für 19 Prozent aller weltweit produzierten Kalorien und für 41 Prozent der Proteine verantwortlich sind. Das liegt vor allem daran, dass Rinder für einen großen Teil der Methanemissionen verantwortlich sind. Der einfachste Ansatz, um den Ausstoß dieses Sektors zu senken, ist deshalb klar: mehr pflanzenbasierte Ernährung, weniger Fleisch- und Milchprodukte. Diese Fakten sind nicht neu – trotzdem wird Landwirtschaft bei Diskussionen um die Klimakrise nur selten genannt.
Das könnte daran liegen, dass Fleisch- und Milchproduktion ein riesiges Geschäft sind. In Brasilien selbst werden mehr als 38 Kilogramm Rindfleisch pro Jahr und Person verzehrt. Und etwa ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts hängt damit zusammen. Auch politisch spielt die Agrarindustrie eine große Rolle – 303 Bundesabgeordnete und 50 Senatoren gehören der FPA an.
Wenn weniger Fleisch konsumiert wird, bedeutet das auch große Verluste für die Agrarindustrie. Deshalb mischt die Lobby der Branche schon länger bei den Klimakonferenzen mit – in den vergangenen Jahren waren jeweils mehrere 100 Vertreter und Vertreterinnen angereist. Das ist Teil einer groß anlegten Kampagne, mit der die Lobby davon ablenken will, wie groß ihr Beitrag zur Klimakrise ist. Dieses Vorgehen gleicht den jahrzehntelangen Kampagnen der fossilen Industrie.
Eingesetzt werden nicht selten Halbwahrheiten und gar Desinformation. In Brasilien wirbt die Agrarindustrie zum Beispiel für einen neuen Standard der Treibhausgasbilanzierung, der die Eigenschaften von Methan besser abbilden soll. Kritiker allerdings warnen vor einem »Rechentrick«, der die Rolle von Viehhaltung im Klimawandel herunterspielt. Auch der Weltklimarat IPCC nutzt diesen Standard nicht. Einige Lobbyisten gehen sogar noch weiter: Gilberto Tomazoni, Geschäftsführer des weltgrößten Fleischkonzerns JBS, behauptet, die Methoden zur Treibhausgasbilanzierung seien »falsch«, weil sie nicht einbezögen, dass während der Fleischproduktion auch Gase aufgefangen würden.
All dies wird voraussichtlich auch bei der Klimakonferenz vorgetragen werden: Die Agrar-Lobby ist auch in den offiziellen Verhandlungsräumen der »Blue Zone« in Belém vertreten. Ursprünglich hatte die brasilianische Agrarindustrie sogar eine Art Gegengipfel, eine »Cop do Agro«, organisieren wollen. Allerdings sprach sich die Regierung des Bundesstaates dagegen aus, sodass dieses Event schlussendlich abgesagt wurde.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195251.cop-belem-die-klimaluegen-der-agrarlobby.html