Tyrannische Gesetze existieren in Italien bereits zur Genüge – angefangen von Bestimmungen, die die Grundrechte auf rassistische Weise verletzen (Abschaffung des Asylrechts) bis hin zu Strafgesetzen, die verschiedene Bevölkerungsgruppen ins Visier nehmen (Dissidenten, Arme und Migranten). Weitere Gesetze sind in Vorbereitung, beispielsweise solche, die unter dem Vorwand der Antisemitismusbekämpfung Schulen und Universitäten neue Regelungen auferlegen sollen. Doch der Regierung genügt das nicht: Sie will auch die restriktive Durchsetzung ihrer Vorgaben gewährleisten.
Offenbar zielt die nun auch durch das Parlament bestätigte Justizreform darauf ab, solche Richter zu installieren, die die »Sicherheit der Macht« in Rom garantieren statt den Schutz vor dieser Macht.
Beginnen wir mit den Grundlagen: Die Justiz ist eine Staatsgewalt, wenn auch eine diffuse. Sie ist damit selbst Macht, aber gleichzeitig auch Gegenmacht: Ersteres, weil sie Teil der Gewaltenteilung und des Machtgleichgewichts ist; Zweiteres, weil sie dazu bestimmt ist, das Recht vor Willkür, sowohl öffentlicher als auch privater, zu schützen. Und sie ist es, weil sie Einhaltung und Grenzen des Rechts kontrolliert und überwacht.
Ihre Unabhängigkeit ist daher von grundlegender Bedeutung. Die Reform, die übrigens einem von der Regierung dominierten Verfahren unter dem Motto »Glauben, gehorchen, zustimmen« folgte, untergräbt diese Unabhängigkeit.
Denn erstens wird die Justiz durch die Aufsplitterung der Organe und Zuständigkeiten – in den CSM (Oberster Richterrat Italiens, der über Personalentscheidungen an Gerichten bestimmt – d. Red.) und die Einrichtung des Obersten Disziplinargerichts – geschwächt. Zweitens ist es keine Fantasievorstellung, dass künftig Staatsanwälte in den Einflussbereich der Exekutive gezogen werden. Drittens drückt die beabsichtigte reine Auslosung bei der Wahl der Mitglieder des CSM einerseits Misstrauen aus und entwertet zugleich jeden Richter an sich, weil er als austauschbar angesehen wird. Damit wird die Vielfalt der (rechtlichen) Interpretationen und Sichtweisen, die die Justiz durchziehen, im CSM nicht abgebildet. Das beeinträchtigt somit die Repräsentativität des CSM.
Es handelt sich bei der Justizreform nicht um eine Revision der Verfassung, sondern um eine Revision gegen die Verfassung, ihre Grundsätze und die Demokratie. Sie ist ein Baustein für die Schaffung einer Macht, die frei von Fesseln ist, vor allem von denen der Verfassung. Und dies geschieht im Kontext einer Demokratie, die geprägt ist von einer zunehmenden Militarisierung wie dem Drang zum Krieg und der Verinnerlichung des Freund-Feind-Denkens; einer Demokratie, die durch Unterdrückung abweichender Meinungen marginalisiert und sterilisiert wird und deren »effektive Partizipation« durch das Prinzip der Autorität ersetzt wird.
Wenn die Revision das (für nächstes Frühjahr vorgesehene – d. Red.) Referendum übersteht, werden die autoritären Bestrebungen und Hegemonialansprüche eines ungebremsten Kapitalismus neue Instrumente erhalten. Dies wäre ein weiterer Schritt zur Umgestaltung der Verfassung und zum Aufbau eines autoritären Neoliberalismus: ein Richter, der bereit ist, die Schwachen zu verfolgen und die Starken zu verteidigen, ungleiches Recht durchzusetzen und Dissens zu unterdrücken.
Dieser Text ist am 4. November in unserem italienischen Partnermedium »Il Manifesto« erschienen[1]. Der Beitrag wurde nachbearbeitet und gekürzt.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195268.justizreform-in-italien-reform-gegen-die-verfassung.html