nd-aktuell.de / 07.11.2025 / Kultur

Sauerland-Sisyphos Friedich Merz

Es geht bei der CDU nicht nur ums Geld: Drei »Titanic«-Redakteure legen die »endgültige Autobiografie von Friedrich Merz« vor

Andreas Meinzer
Lungenzüge lernt Merz bei den Strauß-Studien, Zahlen-Meditation im Kohlismus und Buddhismus.
Lungenzüge lernt Merz bei den Strauß-Studien, Zahlen-Meditation im Kohlismus und Buddhismus.

Büchern zu Fragen und Personen des Zeitgeschehens, die besonders aktuell zu sein beanspruchen, haftet zwangsläufig der Makel an, mit der sprichwörtlichen heißen Nadel gestrickt worden zu sein. Das geht zu Lasten von Lesbarkeit, Gehalt und Qualität. Je kürzer sich die zeitliche Spanne zwischen Anlass und Ausfertigung des Werkes ausnimmt, desto mauer ist auch allzu oft das Resultat zwischen den zwei Buchdeckeln.

Auf die von den »Titanic-Redakteuren« Fabian Lichter, Sebastian Maschuw und Leonard Riegel veröffentlichte »endgültige Autobiografie von Friedrich Merz« trifft das nicht zu, obwohl das Bändchen nur knapp die 100-Seiten-Marke überschreitet. Der Umfang verhält sich passenderweise äquivalent zu Friedrich Merzens langweiligem Leben, das so banal und dröge ist, dass es im Grunde nicht der Erzählung lohnte, wäre er nicht doch noch letztlich – durch Egomanie, Selbstüberschätzung, Amnesie der Wähler und Penetranz – Kanzler geworden.

Von der Kindheit im sauerländischen Brilon während der Adenauer-Jahre, als es die »Schachtel Roth-Händle beim Kiosk um die Ecke gratis zum Karl-May-Heftchen mit dazu« gab und im Sportunterricht »noch Lungenzüge« gelernt wurden, über Merz’ wilde Studentenzeit in Franz-Josef-Strauß-Lesekreisen[1], in der er sich »intellektuell an die Bierzeltschule der CSU-Granden anzuschließen« bemühte, schildern die Autoren in autofiktionaler Form seinen Aufstieg in der Bonner Republik – als designierter Erbe des Überkanzlers Helmut Kohl.

Doch der Aufstieg gerät ins Stocken. Zuerst durch den »Siegeszug der Achtundsechziger mit Rot-Grün« 1998, der sein seit Grundschultagen verinnerlichtes »Verständnis von gelungener Sozialpolitik« – »Nimm was weg und es wird weniger« – an seiner statt in die Tat umsetzte: »Man kann es auch retrospektiv nur unanständig nennen, wie rücksichtslos sie mit der Agenda 2010 den Sozialstaat zu Klump geschlagen haben. Sie wussten schließlich ganz genau, dass ich das gerne getan hätte.« Und dann ist da natürlich noch Erzfeindin Angela Merkel, die 2002 bekanntlich zwar selbst erst von Edmund Stoiber[2] in Wolfratshausen in der K-Frage »weggefrühstückt« wurde, dafür jedoch Friedrich Merz den Vorsitz der Bundestagsfraktion wegschnappen durfte.

Dieser, tief narzisstisch gekränkt, kehrt der Politik daraufhin den Rücken, desillusioniert und orientierungslos. Wie es schließlich dazu kam, dass Merz im internationalen Finanzbusiness seine zeitweilige neue Bestimmung fand, erzählt diese Autobiografie exklusiv – durch eine spirituelle Erfahrung. Der politisch heimatlos Gewordene fliegt mit seinem Privatjet nach Thailand, zieht sich zwecks Sinnsuche in ein Buddhistenkloster zurück und meditiert, zumindest tut er so. »Dann traf mich der göttliche Funke. Ich hörte, wie der Obermönch zusammen mit seinen Spezis über den Rechnungsbüchern hing. Sozialdemokratenrot strahlten mich die Ziffern an, die sie da in die Spalten kalligrafierten. Ich nahm mich der Sache an und versuchte umzusetzen, was ich unter Kanzler Kohl gelernt hatte. Man kann ›Fälschen von Umsätzen‹ schließlich nicht ohne ZEN schreiben.« Gegen »eine kleine Provision«, versteht sich, frisiert Merz für die Klosterbrüder deren Bilanzen und gibt ihnen Tipps, wie sie ihr Vermögen in »todsicheren Aktien« einer Holding anlegen können.

Da geht ihm plötzlich ein Licht auf, was seine Bestimmung nach der Demission aus der Politik ist. Es bedarf nur noch eines Anrufes bei einem guten Freund und Merz kann seine Berufung bei einem großen globalen Vermögensverwalter ausleben – bei BlackRock. Sein Credo: »Wir haben die Welt von unseren Kindern nur geborgt! Treuhänderisch verwaltet wird sie von BlackRock.«

Er führt ein Leben wie Leonardo Di Caprio in »The Wolf of Wallstreet«. Doch selbst 20 Jahre später sitzt sein Grimm auf Angela Merkel[3] noch so tief, dass er Hilferufen aus der CDU folgt, Partei und Vaterland von der Herrschaft der »Topfschnittpomeranze« aus dem Osten zu befreien.

Die »Autobiografie« ist voll von Hasstiraden gegen seine Erzfeindin. Er bezeichnet sie als »Manifestation der Schranzigkeit«, sie rieche »nach Bratkartoffeln und Wandschimmel« und sei eine »Schwarze Witwe«, die ihre Gegner »schluckte wie eine ostdeutsche Ms. Pac-Man«. Merz fragt sich: »Wer sollte dieser am Boden liegenden Partei je wieder ein neues Gesicht geben? Die Lösung lag auf der Hand: ein altes Gesicht.« Zwar ist sein Comeback auf der bundespolitischen Bühne von Rückschlägen geprägt, als er zweimal bei der Wahl zum Parteivorsitz scheitert, doch das ficht Merz nicht an, wird er doch in seiner Partei der »Sauerland-Sisyphos« gennannt.

Merz macht keinen Hehl daraus, dass sein letztendlicher Aufstieg zum Kanzler zumindest finanziell gesehen einen Abstieg darstellt. Aber im Leben drehe es sich »nun mal nicht immer alles ums Geld. Manchmal geht es auch einfach um das Ego.« Seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern empfiehlt er allerdings das Gegenteil, Verzicht auf individuelles Streben nach Glück zum Wohle des Standortes Deutschland: »Fragen Sie nicht immer nach sich. Es geht hier um eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung. Kurz gesagt: There ist no ›I‹ in Wachstum.« Seinen Wahlsieg sieht Merz als späten aber endgültigen Triumph über die 68er-Generation und ihre Kinder im Geiste. Die Ära der Habecks und Co. war vorbei. »Von den Hasch-WGs in Frankfurt und Berlin in den bewaffneten Kampf gezogen, nur um uns heute zu zwingen, eine Wärmepumpe im Vorgarten zu installieren. Natürlich eine komplett irre Idee, die niemals klappen konnte.«

Neben der Hetze zu mehr Arbeit bildet diejenige gegen Ausländer eine der Säulen Merz’scher Politik. Indem er den Scharfmacher beim Thema Migration gibt, so suggeriert er seinen Lesern, verhindere er in den Umfragen und Wahlen immerhin die Vervierfachung der AfD, die er einst zu halbieren versprach. Er glaubt, »wenn wir alle mehr arbeiten würden, hätte auch der Rechtsradikalismus gar keine Zeit, sich wieder zu etablieren. Ja, ich gehe so weit zu sagen: Die Freizeit ist die Keimzelle des Faschismus.«

Kürzlich teilte der Satyr-Verlag mit, ein »Wirtschaftsmagazin« habe eine Doppelseite mit einem Vorabdruck aus dem Buch kurzfristig zurückgezogen und dies mit der »aktuellen politischen Lage, die sich immer mehr hochschaukelt« begründet. Nach eigenen Angaben wolle man die »politische Neutralität wahren«. Unverständige aber in der hiesigen Medienlandschaft leider mittlerweile gar nicht mal allzu überraschende Reaktionen wie diese zeigen, wie wichtig Werke wie dieses sind.

Fabian Lichter, Sebastian Maschuw: Endlich Kanzler! Die endgültige Autobiografie von Friedrich Merz. Illustriert von Leonard Riegel. Satyr-Verlag, 112 S., geb. 18 €.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1182542.satire-karikaturist-rainer-hachfeld-gut-und-boese.html?sstr=strAuss
  2. https://www.youtube.com/watch?v=uF6u0S61soI
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187121.angela-merkels-erinnerungen-warum-muss-ich-das-machen.html?sstr=meueler|merkel