p { margin-bottom: 0.25cm; line-height: 115%; background: transparent }Konflikte um den Görlitzer-Park, verstärkte Kontrollen an den U-Bahnhöfen, Drogenbesteck in Hausfluren[1] – die städtische Drogenkrise spitzt sich zu[2]. 2024 erreichte die Zahl der Drogentoten in Berlin einen neuen Höchststand. 294 Menschen starben am Konsum illegaler Drogen.
Kaum etwas ist so anrüchig wie die Abhängigkeit von chemischen Drogen. Angesichts dessen auf einen pragmatischen und menschenwürdigen Umgang[3] mit Sucht und Drogenkonsum zu pochen, erfordert einen klaren moralischen Kompass und Standfestigkeit. Vertreterinnen aus Suchthilfe und Verwaltung, die am Mittwoch bei einer Podiumsdiskussion der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin über eine adäquate Drogenpolitik sprachen, wirkten kampferprobt durch jahrelange Auseinandersetzungen um einen evidenzbasierten Ansatz. Entsprechend deutlich stemmen sie sich nun dagegen, dass im Zuge der drohenden Haushaltskürzungen die Uhr wieder zurückgedreht wird.
»Man tut immer so, als könne man das Problem unsichtbar machen«, kritisierte Heike Drees vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Zwar habe es in den vergangenen Jahren große Fortschritte in der Drogen- und Suchtpolitik gegeben, was sich insbesondere am Ausbau niedrigschwelliger Angebote wie der Drogenkonsumräume zeige. Auch habe man in Berlin inzwischen ein gut aufgestelltes, differenziertes Hilfsangebot.
Im Kontakt mit der politischen Ebene seien die Träger der Suchthilfe jedoch nach wie vor mit Vorurteilen konfrontiert, die ein pragmatisches Vorgehen verhindern. Eine starke Moralisierung des Drogenkonsums und die Schuldzuweisung an Süchtige verleiteten immer wieder dazu, mit dem Einsatz der Polizei die repressive Vorgehensweise zu wählen.
Neben Strafverfolgung, Prävention und Ausstiegshilfen ist allerdings inzwischen auch die Schadensreduzierung als eine von vier Säulen der Drogenpolitik etabliert. Gemeint ist damit die Stabilisierung der gesundheitlichen und sozialen Situation von Suchtkranken, etwa durch Angebote zum Spritzentausch. Astrid Leicht von Fixpunkt e. V. meint: »Jetzt müssen wir daran arbeiten, dass die Schadensreduzierung eine Säule der Drogenpolitik bleibt.« Ihr Verein arbeitet insbesondere im Bereich der Infektionsvorbeugung im Kontext von Drogenkonsum.
»Es geht darum, Leben zu retten. Wieso brauchen wir für vieles so lange?«
Nina Pritszens Vista GmbH
Einstimmigkeit unter den Podiumsteilnehmerinnen bestand auch in der Einschätzung, dass sich die Suchthilfe unnötigerweise maßgeblich mit den Folgen der Kriminalisierung von Drogenkonsumenten durch die Gesetzgebung befassen muss. Trotz aller Mängel sei das Cannabisgesetz deshalb ein wichtiger Schritt gewesen. »Die Zahl der Delikte ist um ein Drittel zurückgegangen. Das ist positiv«, bekräftigt Nina Pritszens vom Verbund für integrative soziale und therapeutische Arbeit, kurz Vista gGmbH. Pritszens ist sich sicher: Geboten wäre es, legale Zugänge auch zu weiteren Drogen zu ermöglichen. Die Stadt Zürich toleriere etwa inzwischen den Mikrohandel in Drogenkonsumräumen.
Träger wie der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin fordern daher die Entwicklung eines Landeskonzepts zu Sucht und Drogen, in dem auch Entkriminalisierung eine Rolle spielen soll. Allerdings fehlt es in Berlin bislang an einem Rahmen, um solche langfristigen Perspektiven zu entwickeln.
»Ich möchte ein Forum, in dem auch Zielkonflikte wie der um die Entkriminalisierung auf den Tisch gebracht werden können«, forderte die Landessuchtbeauftragte Heide Mutter. Mit dem Lenkungsgremium des Berliner Sicherheitsgipfels gebe es zwar einen Ansatzpunkt für die Entwicklung eines solchen Forums. Die Zukunft des Gremiums sei aber ungewiss, ebenso wie die im Zusammenhang damit bereitgestellten Mittel.
Der Sicherheitsgipfel war 2023 vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) anlässlich einer mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung im Görlitzer Park einberufen worden, um die Sicherheitslage in der Stadt zu verbessern. Dazu hatte man einen ressortübergreifenden, gesamtstädtischen Ansatz gewählt: Senat und Bezirke, Innen- und Justizverwaltung, Präventions- und Polizeiarbeit sollten an einem Strang ziehen. Mit insgesamt 28,5 Millionen Euro sollten im Verlauf der darauffolgenden zwei Jahre verschiedenste Maßnahmen umgesetzt werden, darunter auch soziale und gesundheitspolitische Vorhaben. Die Träger der Drogen- und Suchthilfe konnten ihr Angebot in diesem Kontext enorm erweitern.
Im aktuellen Haushaltsentwurf für 2026/27 sind diese Gelder nun komplett gestrichen. Drees betonte: »Hier wird die Zivilgesellschaft angegriffen. Die freien Träger halten das soziale Berlin am Laufen und damit auch unsere Demokratie.«
An Ideen für eine bessere Drogenpolitik mangelt es derweil nicht. »Die Umsetzung ist das Problem«, so Pritszens. Sie machte noch einmal deutlich: »Es geht darum, Leben zu retten. Wieso brauchen wir für vieles so lange?« Die Stadt Hamburg habe etwa während der Corona-Pandemie den Zugang zu Substitution – also den Konsum von legalen Ersatzdrogen – in Drogenkonsumräumen ermöglicht. In Berlin werde dieses Thema seit Jahren bearbeitet, bislang ohne Ergebnis.
Auch in Sachen Naloxon, das bei Opioid-Überdosen in Form eines Nasensprays als Gegenmittel verabreicht werden kann, habe die Verwaltung viel zu langsam agiert. Bis Ende September war das Medikament noch verschreibungspflichtig. »Berlin hat gerettet, dass synthetische Opioide bislang kaum in der Stadt angekommen sind«, so Pritszens. Man müsse sich allerdings darauf vorbereiten, bald stärker mit den Substanzen konfrontiert zu sein. Insbesondere der Gebrauch von Fentanyl ist für zahlreiche Tode verantwortlich: Vergangenes Jahr starben in den USA trotz sinkender Zahlen immer noch 48 000 Menschen an einer Überdosis.
Der angespannte Wohnungsmarkt, wegfallende Nischen im Stadtraum und eine höhere Verfügbarkeit von Kokain und Crack führen aktuell zu einer zunehmenden Sichtbarkeit von Sucht und Verelendung im öffentlichen Raum. Immer wieder kommt es deshalb zu Spannungen mit Anwohner*innen. Nötig wäre angesichts dessen eine gute Kiezarbeit, meint Drees.
Die jüngste Streichung der Fördermittel für die »Fegeflotte« des Drogennotdienstes weist allerdings in eine gänzlich andere Richtung. Im Rahmen des Projekts reinigen ehemalige Suchterkrankte den Kiez um die Kurzfürstenstraße von Kleinstmüll wie Spritzen und Kondomen. Der Senat hat die Gelder im Oktober zum kommenden Jahr gestrichen.