Auf der offiziellen Homepage zählte ein Countdown die Tage herunter: An diesem Dienstag finden die Feierlichkeiten zur 50-jährigen Unabhängigkeit Angolas, die bereits seit einem Jahr laufen, ihren Höhepunkt. Unter dem sperrigen Slogan »Errungenschaften bewahren und wertschätzen, eine bessere Zukunft aufbauen«, wird an den 11. November 1975 und die postkoloniale Zeit erinnert.
Als letzte der fünf afrikanischen Kolonien Portugals, vom klerikal-nationalistischen Regime als »Überseeprovinz« als ein Teil des Mutterlandes angesehen, erlangte Angola nach einem langen politischen und militärischen Kampf dieses Ziel. Dabei startete hier 1961 der erste bewaffnete Kampf gegen die Kolonialmacht. Wie in vielen Ländern waren es auch in Angola charismatische, gut gebildete und panafrikanisch denkende Personen, welche die Unabhängigkeit zuerst eingefordert hatten. Darunter der Schriftsteller und spätere erste Präsident Agostinho Neto, der in den 1950er Jahren die linke, marxistisch ausgerichtete MPLA mitgründete. Kurze Zeit später traten mit der FNLA und deren Abspaltung UNITA zwei weitere Befreiungsbewegungen auf.
Die Nelkenrevolution in Portugal 1974, zu deren Ursachen auch der erbarmungslose und kostenintensive »Kolonialkrieg« sowie der Widerstand der Angolaner*innen gehörten, führte zu Verhandlungen über die Unabhängigkeit. So sah das im Januar 1975 geschlossene Alvor-Abkommen eine Übergangsregierung mit allen drei Bewegungen vor. Bereits in dieser Zeit nahmen die externen Einflüsse stark zu. Aufgrund der US-amerikanischen Unterstützung für die FNLA und UNITA – überwiegend durch die CIA –, verschiffte die Sowjetunion Waffen an die MPLA, was wiederum das Tandem USA und Südafrika veranlasste, militärisches Equipment an die Gegner zu liefern.
Unterstützt wurde die MPLA nicht nur von weiteren sozialistischen Staaten wie der DDR. Auch Engagierte aus westlichen Staaten solidarisierten sich. In seinem jüngst veröffentlichten Buch »Dream the Size of Freedom« verdeutlicht R. Joseph Parrott, wie auch US-amerikanische, insbesondere afro-amerikanische Akteur*innen, mit diesem Kampf als neuem linken Internationalismus sympathisierten.
Erst mit dem Tod des UNITA-Anführers Jonas Savimbi endete der Bürgerkrieg 2002. Damals stabilisierte die MPLA ihre bis heute anhaltende Macht und verfiel in den Widerspruch zwischen einem demokratisch dekolonialen Begehren der Unabhängigkeit und einer autoritären Durchsetzung ihres Führungsanspruches. Der langjährige Präsident José Eduardo dos Santos, der fast 40 Jahre lang regierte, steht sinnbildlich für Bereicherung und Autokratie.
Nach dem Ende des Bürgerkrieges rückte Angola stärker ins wirtschaftliche Interesse ausländischer Akteure. Multinationale Unternehmen standen Schlange, um in das ressourcenreiche Land zu investieren. Durch die Investor*innen galt Luanda viele Jahre als teuerste Stadt der Welt, eine unrühmliche Auszeichnung.
Das Land wird geoökonomisch immer interessanter, sinnbildlich steht dafür der »Lobito-Korridor«. Das Eisenbahnprojekt soll den Tiefseehafen im angolanischen Lobito mit Bergbaugebieten in der Demokratischen Republik Kongo und in Sambia verbinden. Kritische Rohstoffe, von denen die USA und vor allem die EU abhängig sind, sollen hier transportiert werden. Die EU stellt über ihr »Global Gateway«-Programm Geld bereit, um damit ein Gegengewicht zu den großen chinesischen Infrastrukturinvestitionen in Afrika zu schaffen.
Angola selbst navigiert aktiv zwischen den Interessen: Viele Jahre war Russland der größte Waffenlieferant, während China der größte Kreditgeber war. Gute Beziehungen zu den USA sind ein erklärtes Ziel des gegenwärtig regierenden João Lourenço. Belohnt wurde er nicht nur mit mehreren Empfängen im Weißen Haus, auch die erste und gleichzeitig letzte Auslandsreise von US-Präsident Joe Biden nach Afrika ging nach Angola.
Vor wenigen Tagen weilte eine deutsche Wirtschaftsdelegation im Land, um Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu begleiten. »Ein konkretes Geschäfts- oder Projektinteresse in Afrika ist Voraussetzung für eine Teilnahme«, hieß es offiziell. Und deutsches Interesse ist gegeben: Grüner Wasserstoff steht im Mittelpunkt, aber laut offizieller Verlautbarung ebenso ein Austausch zum Lobito-Korridor.
Mit der Wahl von Lourenço – erst der dritte Präsident seit der Unabhängigkeit – im September 2017 verbanden sich viele Hoffnungen, mit dem korrupten System dos Santos, der skrupellosen Bereicherung und dem massiven innenpolitischen Druck zu brechen. Während Lourenço diese anfangs erfüllte, wendet sich das Blatt seit einiger Zeit. Auch er verfolgt nun eine elitäre Vision einer modernen, anziehenden kosmopolitischen Stadt Luanda, zulasten vieler informeller Straßenverkäufer*innen, zumeist Frauen, welche das Stadtbild vermeintlich stören und oftmals vertrieben werden. Kritische Journalist*innen leiden unter Repressionen. Die seit Langem versprochenen Kommunalwahlen werden immer wieder verschoben. Und Angola sitzt in einer Schuldenfalle.
Seit 2011 nehmen Proteste gegen die sozialen, ökonomischen und politischen Missstände in immer kürzeren Abständen zu. Zuletzt protestierten Mitte Juli Menschen gegen höhere Benzinpreise[1]. Polizeikräfte gingen hart dagegen vor: 30 Tote und Hunderte verhaftete Personen waren zu beklagen. Aktivist*innen und Organisationen wie Human Rights Watch kritisierten die übermäßige Gewalt und willkürliche Festnahmen von friedlichen Demonstrant*innen. Dabei sind die Proteste legitim und Ausdruck eines Misstrauens gegenüber der herrschenden Klasse. Sie greifen die fehlenden politischen und sozialen Versprechungen auf und fordern Verbesserungen im Hier und Jetzt. Aber sie sind weit davon entfernt, für etwas Utopisches und Linkes zu stehen – für die vor Jahrzehnten noch viele angolanische Akteur*innen standen.