Wie würden Sie die Stimmung in Angola zum 50-jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit beschreiben?
Im Jahr 2025 herrscht eine bittersüße Stimmung im Land. Offiziell feiert die Regierung Erfolge und preist den Nationalstolz, aber diese Rhetorik wird vor allem von denjenigen geteilt, die der Macht nahestehen. Fernab der urbanen und elitären Zentren herrschen Frustration, Erschöpfung und Nostalgie vor, insbesondere bei denjenigen, die die 1980er, 1990er und 2000er Jahre erlebt haben. Trotz alledem gibt es eine vorsichtige Hoffnung auf Veränderung.
Angola ist reich an Ressourcen wie Öl und Diamanten. Kommt der Reichtum in der Breite der Bevölkerung an?
Berichte nationaler und internationaler Organisationen weisen darauf hin, dass viele Angolaner*innen noch immer nicht vom Reichtum des Landes profitieren. Die Ungleichheit ist eklatant, und Armut prägt[1] weiterhin das Leben der Mehrheit. Angola, das ein Beispiel für Brüderlichkeit und Einheit sein könnte, ist auch zu einem Symbol der Enttäuschung geworden. Dennoch glaubt die Bevölkerung weiterhin an die Möglichkeit eines bürgernahen und integrativen Staates. Die Knappheit an Lebensmitteln und Grundgütern verstärkt jedoch das Gefühl der Verlassenheit und veranlasst viele, die tatsächliche Bedeutung der Unabhängigkeit infrage zu stellen.
Ende vergangenen Jahres kam es zu Protesten unter Führung der Opposition, und im Juli führten Demonstrationen gegen die Erhöhung der Benzinpreise tragischerweise zu 30 Todesfällen. Welche Dynamiken stehen Ihrer Meinung nach hinter diesen Unruhen, und wie werden sie von der Bevölkerung und den politischen Eliten interpretiert?
Diese Demonstrationen spiegeln die direkten Auswirkungen der prekären Lebensbedingungen der verarmten Bevölkerung[2] wider. Die hohen Kosten für Grundnahrungsmittel in Verbindung mit niedrigen Einkommen schüren die Unzufriedenheit, insbesondere unter jungen Menschen. Das Fehlen wirksamer öffentlicher Maßnahmen für die Schwächsten der Gesellschaft führt zu Aufständen und Forderungen nach einem neuen Sozialvertrag. Jugend- und Sozialbewegungen sowie die Kirche sehen in der Krise einen Zusammenbruch des seit der Unabhängigkeit bestehenden Sozialpakts. Für sie sind die Proteste ein legitimer Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit. Die politischen Eliten hingegen rechtfertigen die Unterdrückung mit Vandalismus. Dieser Ansatz wird als repressiv und wenig wirksam im Umgang mit der sozialen Unzufriedenheit empfunden. Eigentlich könnte dieser Moment des Leids zu einer historischen Chance werden, die öffentliche Politik zu überdenken, die nationale Einheit wiederherzustellen und das kollektive Wohlergehen zu fördern.
In Ländern wie Marokko, Madagaskar, Kenia und Nepal verändern Proteste der Generation Z den politischen Diskurs. Erwarten Sie angesichts einer offiziell geschätzten Jugendarbeitslosigkeit von 54 Prozent unter den 15- bis 24-Jährigen ähnliche Mobilisierungen im Land?
Da die Jugendarbeitslosigkeit tatsächlich alarmierend hoch ist, könnte Angola ähnliche Mobilisierungen wie andere Länder erleben. Die angolanische Jugend sieht die Krise als Zeichen für einen Bruch des Sozialvertrags. Sie fordern einen neuen Pakt, der sie einbezieht und ihre Bestrebungen widerspiegelt. Die verarmte städtische Jugend sieht in den Protesten eine Möglichkeit, ihre Lage zum Ausdruck zu bringen und Veränderungen zu fordern. Das Entstehen von Mobilisierungen wird von der Fähigkeit des Staates abhängen, auf soziale Forderungen mit Empathie und konkreten Maßnahmen zu reagieren. Andernfalls werden die Mobilisierungen und Demonstrationen tendenziell immer größer werden und Auswirkungen auf das Leben und die Politik in Angola haben.
Was sind die Voraussetzungen für einen Wandel zum Besseren in Angola?
Es ist unerlässlich, die Institutionen zu demokratisieren, angefangen beim Nationalen Wahlrat – mit geeigneten Vertreter*innen und proportionaler Vertretung in den Provinz- und Gemeinderäten. Transparenz und Fairness im Wahlprozess sind von grundlegender Bedeutung, um das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Der Wandel darf sich nicht nur auf Personen beziehen, sondern muss auch die Mentalität, das Regime und das politische Bewusstsein umfassen. Die Lösung sozialer Probleme muss im Mittelpunkt des politischen Handelns stehen.