Als Sahra Wagenknecht, Amira Mohammed Ali und Fabio De Masi am Montag den Saal zur BSW-Pressekonferenz betraten, war eigentlich alles klar. Angekündigt waren Mitteilungen über die künftige Führungsstruktur des BSW, und gerüchteweise hatte sich bereits herumgesprochen, dass Wagenknecht den Parteivorsitz abgeben will[1] und De Masi neben der bisher schon amtierenden Mohamed Ali nachfolgen soll.
So wird es dem Parteitag im Dezember[2] vorgeschlagen. Klar ist dabei, dass Sahra Wagenknecht die entscheidende Figur bleibt. Sie macht einen Schritt zur Seite, behält aber alles unter Kontrolle – auch wenn ihr Name bald nicht mehr Teil des Parteinamens sein wird. Und die beiden künftigen Vorsitzenden gehören zu ihrem engsten Umfeld. Wagenknecht ist bald die heimliche – nein, denn jeder weiß es – die unheimliche Vorsitzende: als Chefin einer Grundwertekommission, als Präsidiumsmitglied, als – so hofft sie – baldige Fraktionsvorsitzende im Bundestag, falls eine Neuauszählung der Wahl ergibt, dass ihre Partei doch die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen haben sollte.
Ihren Rückzug vom Vorsitz – der kein politischer Rückzug sei – begründet Wagenknecht mit »extremer Beanspruchung« beim Aufbau des BSW, mit der künftigen Konzentration auf »Felder, in denen meine Stärken liegen«, und besserer Arbeitsteilung. Letzterem dient auch die Idee, statt bisher drei gleich sieben stellvertretende Vorsitzende zu wählen. Zwar betont das BSW seine Vielfalt, doch gehören dem künftigen Präsidium laut Vorschlag mehrheitlich frühere Linke-Politiker an.
Das BSW hat keine originäre Idee. Alles gibt es schon woanders.
Selbstkritisch räumte Wagenknecht ein, dass nach ersten Erfolgen des BSW viele Wähler dessen programmatisches Profil »nicht mehr so klar erkennen«. In der Tat, die Gründungsphase des BSW war eine einzige Jubelparty, die ersten beiden Parteitage glichen reinen Akklamationsveranstaltungen ohne jede kritische Debatte. Das wird sich nun ändern. Denn natürlich gibt es in dieser wie in jeder Partei divergierende Haltungen. Und natürlich wird die Meinungsvielfalt größer, wenn nicht mehr nur wenige von der Chefin persönlich abgenickte Mitglieder zugelassen werden – bis zum Jahresende sollen es 10 000 sein.
Selbst Wagenknecht hätte Mühe gehabt, das alles in Zukunft zu bündeln und zu deckeln. Für ihre Nachfolger wird das umso schwieriger. Und Konflikte gibt es zur Genüge: die Frage des Regierens, das Verhältnis zur AfD, die Gewichtung von Sozialpolitik und Wirtschaftsfreundlichkeit, aktuell der Streit darum, ob das BSW dem neuen Rundfunkstaatsvertrag zustimmen soll oder nicht. Nicht einmal der Vorschlag des Vorstands für den künftigen Parteinamen (Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft) blieb ohne Widerspruch. In Sachsen-Anhalt beharken sich zwei Gruppen im Landesvorstand bis hin zum Abwahlantrag, in Hessen trat jüngst einer der beiden Landesvorsitzenden zurück. In dem Laden knirscht es unüberhörbar.
Das Hauptproblem des BSW auf inhaltlicher Ebene: Es hat keine originäre Idee vorzuweisen, die nur mit ihm verbunden wäre. Alles gibt es schon woanders. Das BSW-Programm ist ein Rechts-Mitte-links-Sammelsurium, das von Politikwissenschaftlern zunächst zum ganz großen neuen Ding aufgeblasen wurde. Am Ende bleibt aber eher Beliebigkeit, mit der man im politischen Verdrängungswettbewerb schwerlich bestehen kann – siehe Umfragewerte. Wo sich das BSW in diesem Wettbewerb selbst sieht, zeigten Nebenbemerkungen. Mohamed Ali sagte, man wolle Social Media »nicht den extremen Rändern überlassen«. Gemeint sind ganz offenbar AfD und Linke. Wagenknecht sagte, dass »die Menschen es nicht mehr wollen, dass man die halbe Welt in den Sozialstaat einwandern lässt«. Und: Viele Menschen verstünden links heute »als völlig ideologische, fanatische Klimapolitik«.
Die derzeit größte Hoffnung des BSW auf einen Aufschwung ist die Forderung nach Neuauszählung der Bundestagswahl. Der Wahlprüfungsausschuss lässt sich sehr viel Zeit mit der Prüfung der BSW-Beschwerde, derzufolge die Partei bei der Wahl im Februar nur aufgrund von Zählfehlern knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sei. Käme das BSW im Zuge einer Korrektur doch noch in den Bundestag, wäre es wieder eine ganz andere Nummer auf der politischen und medialen Bühne. Das ist zehnmal wichtiger für diese Partei als die Namen von Vorsitzenden oder ein Wahlprogramm.
Wagenknecht rechnet aber eher mit einer ablehnenden Entscheidung des Wahlprüfungsausschusses Ende des Jahres. Dann werde man sich an das Bundesverfassungsgericht wenden. Im Übrigen müsse das Wahlrecht reformiert werden. Es könne nicht sein, so De Masi, dass der Bundestag »Richter in eigener Sache« sei. Was vom BSW im Bundestag zu erwarten wäre, erklärte De Masi auch: Die AfD sein ein politischer Gegner, aber man entscheide über ihre Anträge in der Sache. Auf jeden Fall würde es Untersuchungsausschüsse etwa zur Corona-Maskenaffäre und zum Nord-Stream-Anschlag geben, so der designierte BSW-Chef – solche Ausschüsse könnten nach Lage der Dinge nur mit den Stimmen von AfD und BSW eingesetzt werden.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195364.bsw-sahra-wagenknecht-die-unheimliche-vorsitzende.html