Links steht ein Ledersessel in Gelb, rechts die Stehlampe, deren Kabel später noch zur Mordwaffe werden soll. Im Hintergrund ist ein sanft drohendes Rauschen zu vernehmen. Kriminalinspektor Voss (Philipp Mauritz) tritt mit Hut und Trenchcoat auf in dieser merkwürdigen Anstalt.
Regisseur Andreas Merz hat seine Inszenierung von Friedrichs Dürrenmatts »Die Physiker«, die am vergangenen Sonnabend am Potsdamer Hans-Otto-Theater Premiere feierte, im Stil des Film noir eingerichtet. Eine Gesellschaftsparabel als Kriminalgeschichte, die bald ins Grotesk-Komische kippen wird.
Voss ist hier nicht ohne Grund. Ein Patient (Henning Strübbe), der sich für Einstein hält, hat eine Krankenschwester umgebracht. Dergleichen war doch gerade schon mal passiert, nur dass der Patient zuvor (Kristin Muthwill) sich selbst mit Newton verwechselte. Und bald muss Voss abermals anrücken: Johann Wilhelm Möbius (René Schwittay), dieser geniale Naturwissenschaftler, machte doch – sieht man davon ab, dass ihm gelegentlich der König Salomo erschien – einen recht stabilen Eindruck. Aber auch er wird zum Mörder einer Krankenschwester.
Bald stellt sich heraus, dass die drei nicht so verrückt sind, wie sie scheinen. Möbius will die Welt selbst vor seinen Gedanken schützen. Erscheinungen hat er keine; aber die Naturwissenschaft bewaffnet die Menschen, und so zieht er sich zurück. Die beiden anderen entpuppen sich als Agenten, die Möbius für ihre Zwecke zu gebrauchen beabsichtigen. Bald vervierfacht sich das Bühnenbild aus Sessel und Lampe und lässt die Ausweglosigkeit im Irrenhaus anschaulich werden.
Das Stück wirkt merkwürdig aus der Zeit gefallen.
Als letzter dramaturgischer Kniff stellt sich die Klinikleiterin Dr. Mathilde von Zahn, die Mascha Schneider mit schneidender Stimme spielt, als einzig Verrückte im herkömmlichen Sinn heraus. Aber was heißt schon verrückt in Zeiten der atomaren Bewaffnung? Die Menschheit, lässt uns Dürrenmatt mit seiner Komödie in zwei Akten wissen, muss sich vor sich selbst in Acht nehmen.
1962 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt, war das Stück eine Antwort auf den letzten Weltkrieg – und den beharrlich drohenden nächsten. Die Zeit der Tragödien schien vorüber, und Dürrenmatt macht in der Groteske die angemessene Form für die Verhandlung einer absurd scheinenden Gegenwart aus.
Aber heute? Das Stück wirkt merkwürdig aus der Zeit gefallen. Man sitzt im Zuschauersaal und weiß schon, was gemeint ist. Allerdings sind die Verhältnisse doch grundlegend andere. Das Tragische scheint nicht mehr so entrückt; die Groteske hingegen verkleinert die Probleme der Gegenwart auf der Bühne.
In einem im Programmheft abgedruckten Gespräch schließt Merz die Gefahr durch nukleare Aufrüstung zu Dürrenmatts Zeiten mit dem Siegeszug der Künstlichen Intelligenz heute kurz. Glücklicherweise führt das zu keiner platten Aktualisierung in der Inszenierung. Denn schon diese Analogie schafft mehr gedankliche Probleme, als sie löst, und macht den Stoff als das begreifbar, was er ist: historisch.
Auch engagiert gespielt und mit Herz inszeniert, macht der Abend vor allem deutlich, dass heutige Bedrohungen ein anderes Theater herausfordern.
Nächste Vorstellungen: 14., 21.11. und 12.12.
www.hansottotheater.de [1]