Mindestlohnrichtlinie, das klingt irgendwie holprig, nach Bürokratie und Kopfschmerzen. Arbeiter*innen vor Armut schützen, das geht dagegen deutlich leichter von der Zunge. Tatsächlich bedeutete der Beschluss der Richtlinie 2022 eine Kehrtwende in der EU-Politik – weg von der jahrzehntelang verfolgten Liberalisierung, hin zur kollektiven Regelung des Marktes. Dänemark sah sich, ganz im Sinne seines Prinzen Hamlet,[1] in seiner Autonomie beschränkt und klagte.
Dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun die Kriterien für einen angemessenen Mindestlohn als außerhalb der EU-Kompetenzen liegend gekippt und den Rest der Richtlinie bestätigt hat[2], bedeutet zweierlei. Erstens: Deutschland steht weiter unter Druck, seine Tarifbindung auszuweiten. Denn mit einer Bindung von etwa 50 Prozent liegt das Land weit unter dem Maßstab der Richtlinie von 80 Prozent. Dabei ist die Tarifbindung maßgeblich für die Höhe des Mindestlohns.
Zweitens muss die Regelung zum Medianeinkommen endlich in deutsches Recht gegossen werden.[3] Denn der Entscheid des EuGH zeigt einmal mehr: Es handelt sich bei der Richtlinie eben um Empfehlungen, nicht um Pflichten. Seit Jahren gibt es im Zusammenhang mit der EU-Richtlinie die Forderung, dass Arbeitgeber internationalen Standards entsprechend mindestens 60 Prozent des mittleren Bruttolohns zu zahlen hätten. Die Entscheidung darüber obliegt hierzulande aber weiterhin der Mindestlohnkommission – die eine derartige Größe bisher nicht umgesetzt hat.
Zehn Jahre nach Einführung des Mindestlohns[4] zeigen die Statistiken, dass er vor allem Personen im Niedriglohnsektor, Frauen und Ostdeutschen zugutekommt. Ob also EU- oder nationale Kompetenzen: Schutz vor Armut oder nicht – das ist hier die eigentliche Frage.