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Doku »Im Osten was Neues«: Eine zweite Chance
Der Dokumentarfilm »Im Osten was Neues« erzählt von etwas sehr Ungewöhnlichem: Jemand verabschiedet sich von seiner Neonazi-Vergangenheit
Immer schön, wenn Menschen einen Weg nehmen, der die medial eingehämmerten Gewissheiten verlässt. Thomas »Eichi« Eichstädt aus Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel. Ein großer, schwerer Mann mit Glatze und Tattoos, von dem man keine gelangt bekommen möchte. Eichi trainiert im deutschen Brachland die Fußballmannschaft FC Pio. Die jungen Spieler sind zu einem großen Teil Geflüchtete. Früher, 20 Jahre ist das her, hätte Eichi Menschen wie seine Spieler verprügelt. Eine Bilderbuch-Ostfascho-Karriere: saufen, Linke klatschen. Heute eine prekäre Existenz als ehrenamtlicher Fußballtrainer mit Familie, das Arbeitsamt im Nacken. Die neue Frisur, die die Tochter sich zum Geburtstag wünscht, ist nicht drin, die kostet 60 Euro.
Die Regisseurin Loraine Blumenthal hat Eichi und die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus seiner Mannschaft mit der Kamera begleitet – unaufdringlich, mit wenig Bewegung und in meist statischen Bildern, die suggerieren, dass die Protagonisten um die Präsenz der Aufzeichnungsapparate wissen, aber trotzdem nicht performen.
Authentizität gibt es nicht, wenn eine Kamera im Raum ist, aber Plausibilität. Plausibel wird, was der Film weiß, erzählt und vermittelt: Es macht der Gewalt ein Ende, wenn Menschen in Beziehung zueinander treten. Der Ausstieg von Eichi hatte nichts mit der Mannschaft zu tun, sondern mit seiner Frau Anja. In einer Szene werfen die beiden Dias an die Wand, von früher: Eichi beim Saufen, Anjas Vater, der Alkoholiker war. Blumenthal hat dokumentarische Aufnahmen von Fascho-Gewalt in ihren Film montiert, nur kurz, aber es genügt für einen Einblick in die späten Baseballschlägerjahre.
Der »Ausstieg aus der Szene« lief nicht über ein politisches Projekt oder so etwas, sondern über die Beziehungsebene. Anja wird schwanger und realisiert, dass sie mit ihrem Partner einen Wiedergänger ihres gewalttätigen Vaters zu Hause hat. Und stellt Eichi vor eine Entscheidung, zwei Möglichkeiten: Saufen und Gewalt – oder ich und das Kind.
Der Film macht keine Hoffnung, dazu sind die Figuren zu verloren in der Gesellschaft, in der sie leben müssen. Aber er zeigt, wie Mikrozusammenhänge trotzdem funktionieren können.
»Im Osten was Neues« erzählt – der Titel deutet es an – von etwas sehr Ungewöhnlichem. Jemand verabschiedet sich von seinem Umfeld, trotz des Drucks (natürlich gab es Drohungen nach dem Ausstieg), und entscheidet sich, so pathetisch kann man das schon sagen, für die Liebe und dagegen, weiterhin ein gewalttätiges Arschloch zu sein. Wir sehen Eichi in der Familie, bei einem früheren Kameraden und zusammen mit einer Frau. Ein stabiler Mensch, trotz aller Widrigkeiten (das erwähnte Arbeitsamt, »strukturschwache Region« …).
»Im Osten was Neues« montiert parallel etwas Altbekanntes dazu – Bilder aus dem Leben von Geflüchteten, die im Osten keine Arbeit und keinen Ausbildungsplatz finden, die in der Schule scheitern und versuchen, klar- und wegzukommen.
Er habe sie alle ins Herz geschlossen, verkündet der Trainer seiner Mannschaft in einer sehr berührenden Szene am Ende, in der Eichi vor seinen Jungs in einfacher Sprache und mit Simultanübersetzung seine Vergangenheit als Stiefel-Nazi mit Reichsflaggen-T-Shirt offenlegt. Am Anfang des Films erklärt er, wie viel Angst ihm dieser Moment machen würde. Früher jedenfalls sei er ein »böser Mensch« gewesen und hätte sie alle hier nicht gemocht. Er hoffe, dass sie ihm eine zweite Chance geben. Die Beziehungen tragen, die Mannschaft bleibt.
Das Schöne an »Im Osten was Neues« ist, dass er diese Geschichte nicht als Geschichte vom verlorenen Sohn oder im »Er ist eigentlich ein guter Junge«-Modus erzählt, sondern als Ausnahme. In dieser Ausnahme aber liegt etwas Exemplarisches verborgen, das die Kamera hier mit abgeklärtem, empathischem, stillem und durchaus analytischem Blick hervorholt. Geglückte Beziehungsarbeit – in liebenden Verbindungen wie auch auf dem Fußballplatz – wirkt als Antidot gegen Gewalt, gegen sich selbst und andere.
Der Film macht keine Hoffnung, dazu sind die Figuren zu verloren in der Gesellschaft, in der sie leben müssen. Aber er zeigt, wie Mikrozusammenhänge trotzdem funktionieren können: Solidarität und Care-Arbeit im Kleinen, im Rahmen eines großen, grauen Ganzen.
»Im Osten was Neues«, Deutschland 2025. Regie: Loraine Blumenthal. 82 Min. Kinostart: 13. November.
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