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Kuba: Verdacht auf Spionage und Korruption
Kubas Ex-Wirtschaftsminister Alejandro Gil Fernández muss sich vor Gericht verantworten
Es ist der größte öffentlich bekannt gewordene Korruptionsskandal seit Jahrzehnten auf Kuba. Und jetzt geht es auch noch um Spionage. Hinter verschlossenen Türen fand am Dienstagvormittag in Havanna vor Kubas Oberstem Volksgericht die erste mündliche Verhandlung in dem Verfahren gegen den ehemaligen Vizepremierminister und Wirtschaftsminister Alejandro Gil Fernández statt. Dem 61-Jährigen werden unter anderem Spionage, Unterschlagung, Urkundenfälschung, Steuerhinterziehung, Einflussnahme und Geldwäsche vorgeworfen.
In einer am Montag veröffentlichten knappen und wenig detaillierten Erklärung teilte die Kammer für Verbrechen gegen die Staatssicherheit des Obersten Volksgerichts mit, dass »aus Gründen der nationalen Sicherheit [ausschließlich] die Parteien und vom Gericht zugelassenen Personen an der Verhandlung teilnehmen« dürfen. »In Übereinstimmung mit den Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Verfahrens hatten die Anwälte und der Angeklagte Zugang zu den Akten und den vorläufigen Schlussfolgerungen der Staatsanwaltschaft und legten die Schlussfolgerungen der Verteidigung vor«, so das Gericht weiter.
Vorwurf der Korruption und Spionage
Vorab hatte Gils Tochter Laura María Gil González über die sozialen Netzwerke »ein öffentliches Verfahren« gefordert, »an dem alle Interessierten teilnehmen können und das live im kubanischen Fernsehen« und von im Land akkreditierten ausländischen Medien übertragen wird. Gil González forderte für ihren Vater ein »vollkommen transparentes Verfahren«. Sie erklärte, dass Alejandro Gil »unter keinen Umständen eine Straftat zugeben wird, die ihm vorgeworfen wird und die nicht ordnungsgemäß verifiziert wurde«.
Bei Straftaten wie Spionage sei eine nicht öffentliche Verhandlung »fast schon die Regel«, erklärte hingegen der kubanische Rechtswissenschaftler Arnel Medina Cuenca gegenüber der Tageszeitung »Granma«. »Während der Verhandlung können Informationen ans Licht kommen, die aufgrund ihrer Natur die nationale Sicherheit gefährden, wenn sie öffentlich bekannt werden. Daher hat das Gericht die Befugnis, von Amts wegen oder auf Antrag einer der Parteien zu handeln, um übergeordnete Rechtsgüter zu schützen.«
Dass es in dem Verfahren gegen Alejandro Gil um Spionage geht, ist eine unvorhergesehene Volte in dem Fall. Beobachter brachten Gils Demission mit seiner Rolle beim Umbau der kubanischen Wirtschaft und einer staatlich organisierten Antikorruptionskampagne in Verbindung. Gil war von 2018 bis 2024 Minister für Wirtschaft und Planung. Im Februar vergangenen Jahres wurde er vom Chef der kubanischen Zentralbank, Joaquín Alonso Vázquez, im Amt abgelöst. Wenig später wurde bekannt, dass gegen den geschassten Minister Korruptionsermittlungen eingeleitet wurden. In einer offiziellen Mitteilung, die von Präsident Miguel Díaz-Canel unterzeichnet und in den Fernsehnachrichten verlesen wurde, war von »schweren Fehlern bei der Ausübung seines Amtes« die Rede. Die genauen Vorwürfe blieben zunächst im Dunkeln. Gil habe »die schweren Anschuldigungen anerkannt und ist deshalb als Mitglied des Zentralkomitees der Partei und als Abgeordneter der Nationalversammlung zurückgetreten«, hieß es lediglich.
Gil galt als enger Vertrauter des Präsidenten. Er ist der höchste Politiker, der in den vergangenen 15 Jahren in Ungnade gefallen ist. Als Minister war er für die Umsetzung der umstrittenen Währungsreform von Anfang 2021 verantwortlich, die dem Doppelwährungssystem in Kuba ein Ende setzte, aber in ein Fiasko mit mehreren offiziellen und inoffiziellen Wechselkursen und galoppierender Inflation mündete. Auch 20 Monate nach Gils Ablösung steckt Kuba weiter in einer schweren Wirtschafts-, Versorgungs- und Energiekrise, die sich durch den Einbruch des Devisenbringers Tourismus und verschärfte US-Sanktionen weiter zuspitzt.
Lange Liste von Anklagepunkten
Gil sitzt seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft. Seine Schwester María Victoria Gil, eine frühere Fernsehmoderatorin, erklärte gegenüber US-Medien, dass die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von 30 Jahren für ihren Bruder beantragen werde. Das kubanische Strafgesetzbuch sieht für das Delikt der Spionage Strafen von »10 bis 30 Jahren Freiheitsentzug, lebenslange Haft oder Tod« vor. Die Forderung der Staatsanwaltschaft wurde nicht veröffentlicht. »Er hat 50 Pfund abgenommen und leidet unter stressbedingtem Haarausfall«, so die im Ausland lebende Schwester.
Ende Oktober veröffentlichte Kubas Generalstaatsanwaltschaft die lange Liste von Anklagepunkten, eigenen Angaben zufolge das Ergebnis einer fast zweijährigen Untersuchung. Seit dieser Woche nun müssen sich Gil und »andere Beschuldigte«, deren Identität nicht bekannt gegeben wurde, vor Gericht wegen »Spionage und Handlungen zum Nachteil der Wirtschaftstätigkeit« verantworten, wegen »Auftragsvergabe, Unterschlagung, Bestechung, Fälschung öffentlicher Dokumente, Steuerhinterziehung, Einflussnahme, Geldwäsche, Verstoß gegen die Vorschriften zum Schutz von Verschlusssachen sowie Entwendung und Beschädigung von Dokumenten oder anderen Gegenständen in amtlicher Verwahrung«. Wann mit einem Urteil zu rechnen ist, steht nicht fest.
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