Julian Nagelsmann und das linke Luxusproblem im DFB-Team

Der Bundestrainer profitiert auf einer verant­wortungs­vollen Position von einem Überangebot

  • Frank Hellmann, Wolfsburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Als U21-Vizeeuropameister in den WM-Kader? Linksverteidiger Nathaniel Brown hat gute Chancen im DFB-Team.
Als U21-Vizeeuropameister in den WM-Kader? Linksverteidiger Nathaniel Brown hat gute Chancen im DFB-Team.

Der Bundestrainer persönlich führte das Kommando, als beim öffentlichen Üben der deutschen Fußballer im kleinen Wolfsburger Stadion für die vielen jugendlichen Zuschauer eine interessante Trockenübung zu beobachten war: Entlang an roten Metallfiguren verschob Julian Nagelsmann die defensive Viererkette. Erst ohne, dann mit Ball. Als Linksverteidiger waren dabei der Leipziger David Raum und Nathaniel »Nene« Brown aus Frankfurt im Einsatz. Die beiden sind derzeit erste Wahl auf dieser Position, die generell immer noch »ein bisschen unterschätzt wird «, wie Raum beim Pressetermin der DFB-Auswahl sagte und hervorhob: »Wir haben sehr viel Verantwortung.«

Früher habe man immerzu über Probleme beim Linskverteidiger geredet, »jetzt haben wir fast ein Luxusproblem«, findet Raum. Er und Brown sind zumindest vor den letzten WM-Qualifikationsspielen am Freitag in Luxemburg und drei Tage später gegen die Slowakei in Leipzig in auffallend guter Form und strotzen vor Selbstbewusstsein. Ihre Leistungsdaten lesen sich nahezu gleich: Beide haben in der Saison zehn Bundesligaspiele bestritten, ein Tor geschossen und zwei vorbereitet.

Stärkstes Glied in der Kette

In ihren Vereinen sind die gebürtigen Franken – Raum in Nürnberg, Brown in Amberg – nicht das schwächste, sondern das stärkste Glied der Kette. Der 2022 aus Hoffenheim nach Leipzig gewechselte Raum tue der Nationalmannschaft gerade »vom Typus mit seinen Emotionen« sehr gut, lobte Nagelsmann. »Er ist ein Kaugummi in der Gruppe, hat zu allen Spielern in der Mannschaft einen guten Draht. Das Kapitänsamt in Leipzig führt dazu, dass er auch bei uns ein bisschen mehr Verantwortung übernimmt.« Tatsächlich hat dem Kraftpaket die Beförderung beim Klub noch einen Schub gegeben.

Nicht Kapitän Joshua Kimmich, sondern Raum hat zweimal das Abendessen bei der Nationalelf organisiert, »als wir mit der Mannschaft unterwegs waren«. Die Mitspieler schätzen ihn als Bindeglied, zumal Raum ohne internationale Zusatzbelastung auf Klubebene in dieser Saison ein bisschen weniger Stress hat als die meisten Kollegen. Gleichwohl sei bitter, »dass wir unter der Woche auf der Couch sitzen, wenn die anderen international spielen«, erzählte er.

Grundsätzlich gefällt ihm die neue Rolle. »Emotional Leader ist genau das, was ich sein will. Ich bin schon länger dabei und weiß, was von mir verlangt wird«, führte der 32-fache Nationalspieler aus: »Genau diese Tugenden, diese Mentalität, diese Physis, die mein Spiel ausmachen, auf den Platz zu bringen.«

Neues Spielzeug

Freistöße schießt Raum neuerdings auch. Genau so kam vor einem Monat beim 4:0 im Hinspiel gegen Luxemburg in Sinsheim sein erstes Länderspieltor zustande. Geübt habe er das in Leipzig mit seinem »neuen Spielzeug«, einer hydraulischen Freistoßmauer. Gleichzeitig stellte er fest: »Ich konzentriere mich auf das, was ich kann.«

Auch Newcomer Brown überzeugt Woche für Woche in der Bundesliga. Der 22-Jährige habe sich »in allen Belangen verbessert«, bilanziert sein Frankfurter Trainer Dino Toppmöller nach etwas mehr als einem Jahr bei der Eintracht. »Er ist hochverdient A-Nationalspieler geworden.« Nagelsmann lobt das Abwehrverhalten des beim 1. FC Nürnberg ausgebildeten Brown: »Nene hat gerade defensiv einen Riesenschritt gemacht. Im Eins-gegen-eins ist er sehr clever im Verteidigen.«

Der traurige Dritte

Der traurige Dritte ist Maximilian Mittelstädt: In die EM 2024 noch als Stammkraft gestartet, ist für den 28-Jährigen vom VfB Stuttgart derzeit nicht mal mehr Platz im Kader. Weil auf einmal ein Überangebot statt Mangelverwaltung herrscht. Lange galt die linke Außenbahn defensiv als Schwachstelle. Bundestrainer Joachim Löw erfand in der Verzweiflung bei der WM 2014 die »Ochsenabwehr« mit Benedikt Höwedes als Notlösung links hinten. Der damalige Schalker hat dann bis zum Titel durchgespielt – einen Zusammenschnitt flotter Flankenläufe und filigraner Finten wird kein Archivar auftreiben. In Brasilien war wichtig, dass hinten links nichts anbrannte. Wenn nun die Qualifikation für die WM 2026 gelingt, hätte der vierfache Weltmeister in Kanada, Mexiko und USA dort viel mehr zu bieten.

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