Antifa wies auf Adresse hin

In Dortmund festgenommener Rechtsextremist sammelte Krypto-Kopfgeld für Politiker-Morde

  • Friedrich Kraft
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Haftbefehl gegen Martin S. ist schon vier Wochen alt, zur Vollstreckung rückten am Montag Spezialkräfte an.
Der Haftbefehl gegen Martin S. ist schon vier Wochen alt, zur Vollstreckung rückten am Montag Spezialkräfte an.

Am Montagabend hat die Bundesanwaltschaft den 49-jährigen Softwareentwickler Martin S. in Dortmund festnehmen lassen. Im Darknet soll der Deutsch-Pole eine Plattform betrieben haben, auf der er zu Anschlägen auf Politiker*innen aufrief, Krypto-Spenden als Kopfgeld für deren Ermordung sammelte und Anleitungen zum Sprengstoffbau verbreitete. Auf veröffentlichten Todeslisten sollen unter anderem die ehemaligen Bundeskanzler*innen Olaf Scholz (SPD) und Angela Merkel (CDU) gestanden haben. Wie ernst Behörden die vermeintlichen Terrorpläne nehmen, zeigt auch die Tatsache, dass für seine Festnahme durch das Bundeskriminalamt (BKA) Spezialkräfte der GSG 9 hinzugezogen wurden.

Gegen S. besteht der dringende Verdacht der Terrorismusfinanzierung, Anleitung zu einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie des Verbreitens gefährdender personenbezogener Daten. Laut Generalbundesanwaltschaft soll er seit mindestens Juni 2025 im Darknet die anonyme Plattform »Assassination Politics« betrieben haben. Dort veröffentlichte Listen enthielten mehr als 20 namentlich genannte Personen des öffentlichen Lebens – versehen mit sensiblen privaten Informationen.

Sehr explizit soll S. zur »Liquidierung« dieser Personen aufgerufen haben. Eigenhändig verfasste Todesurteile gegen die Zielpersonen sowie Bauanleitungen für Sprengsätze waren ebenfalls Teil des Angebots. Als Anreiz soll S. eine Crowdfunding-Mechanik angeboten haben: Unterstützer*innen konnten Spenden in Kryptowährungen überweisen, die als Kopfgelder für die Ermordung der gelisteten Politiker*innen und Amtsträger*innen dienen sollten.

Offenbar brachten Hinweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Ermittler im Frühsommer 2025 auf die Spur von Martin S. und seinem Darknet-Treiben. Seit Juni wurde der damals noch unbekannte Verantwortliche für die Plattform vom BKA beobachtet und schließlich identifiziert. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe schaltete sich ein, übernahm das Verfahren und stufte die online verbreiteten Mordaufrufe als staatsgefährdend und terroristisch ein. Schließlich erließ der Bundesgerichtshof am 8. Oktober 2025 einen Haftbefehl.

Zur Vollstreckung rückten am Montagabend gegen 21.30 Uhr Spezialkräfte des Bundeskriminalamts und der Eliteeinheit GSG 9 in Dortmund an und stürmten die Wohnung von Martin S. in der Dortmunder Nordstadt. Bei dem Einsatz in dem Mehrfamilienhaus in der Kielstraße gingen mehrere Fensterscheiben zu Bruch, die Wohnungstür wurde zertrümmert – und später provisorisch ersetzt. Am nächsten Tag erfolgte die Vorführung vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe, der den Haftbefehl eröffnete und Untersuchungshaft anordnete.

Dass der nun des Rechtsterrorismus Verdächtigte nicht nur ein verqueres Weltbild, sondern seit Jahren Kontakte zu organisierten neonazistischen Strukturen hat, offenbarte sich nach der Festnahme schnell: Die Dortmunder Gruppe Meanstreets Antifa hatte bereits 2021 ein Foto des nun Verhafteten publiziert, das ihn bei einem Gedenkmarsch für den bundesweit bekannten Neonazi Siegfried Borchard (in der Szene als »SS-Siggi« bekannt) zeigt. S. trägt dabei eine Grabkerze.

Ein schriftlicher Hinweis der Antifa-Gruppe nannte dieselbe Straße, in der S. offenbar seine Darknet-Zentrale betrieb. Hinter ihm stehend auf dem Foto: ein damals führender, mehrfach vorbestrafter Kopf der Dortmunder Neonaziszene aus Dorstfeld. Von Antifa-Rechercheur*innen dem »nd« vorgelegte Bilder zeigen Martin S. in den folgenden Jahren auf weiteren neonazistischen Demonstrationen, unter anderem in Dresden und Bielefeld.

Lokalen Antifaschist*innen aus der Dortmunder Nordstadt war Martin S. bereits bei einer Diskussionsveranstaltung zum Nahost-Konflikt im Dezember 2019 negativ aufgefallen, wohl auch deshalb veröffentlichten sie dann 2021 sein Foto als Warnung: Damals soll er ans Mikrofon getreten sein mit den Worten: »Mein Name ist Martin S. und ich bin Antisemit.« So beschreiben es Anwesende gegenüber »nd«. Er sei dann der Veranstaltung verwiesen worden. Vor der Tür hätten sich anschließend tumultartige Szenen abgespielt, Martin S. mittendrin.

Dem »nd« vorliegende Screenshots zeigen, dass der organisierten Dorstfelder rechten Szene nahestehende Onlineportale Solidarität mit S. übten. Es wirkt, als habe es zumindest damals direkte Kommunikation untereinander gegeben.

Ob auch die Polizei Dortmund im Rahmen ihrer »Soko Rechts« in die Ermittlungen gegen Martin S. eingebunden war, wollte eine Sprecherin gegenüber dem »nd« zunächst nicht bestätigen. In der migrantisch geprägten Dortmunder Nordstadt herrscht indes Unsicherheit: Dass der Nachbar offen rassistisch war, blieb vielen nicht verborgen – doch was plante er?

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