Im Streit um zwei Änderungen der Medienstaatsverträge treten am Dienstag vier von 14 BSW-Landtagsabgeordneten in Brandenburg aus ihrer Partei aus. Es gibt Krisensitzungen bis in die Nacht – und dann kommt es am Mittwoch im Hauptausschuss trotz des überraschenden Abgangs der vier nicht anders als vorher trickreich erdacht.
BSW-Fraktionsgeschäftsführer Falk Peschel lässt sich für diese eine knifflige Angelegenheit im Hauptausschuss durch seinen Finanzminister Robert Crumbach[1] vertreten – und der sichert dann mit der ihm solcherart zugespielten Stimme dem Koalitionspartner SPD und der oppositionellen CDU eine Mehrheit für das umstrittene Reformvorhaben[2].
BSW-Fraktionschef Niels-Olaf Lüders dagegen folgt treu der vom BSW-Bundesvorstand vorgegebenen Linie und lehnt die Gesetzentwürfe zur Abänderung des sechsten und des siebten Medienstaatsvertrags gemeinsam mit den Abgeordneten der AfD ab. Nach zwei Stunden Debatte und zwei Minuten Abstimmung ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt.
Das bedeutet noch nicht viel. Der Hauptausschuss empfiehlt dem Plenum des Landtags damit lediglich, die unzulängliche Reform nach dem Motto »besser als nichts« in der nächsten Woche durchzuwinken. Es ist damit aber die Richtung vorgegeben und auch bewiesen, dass und wie dieses Kunststück gelingen kann, obwohl SPD und BSW in ihrem Koalitionsvertrag die dort allgemein übliche Regelung schriftlich vereinbart haben, grundsätzlich nicht mit wechselnden Mehrheiten abzustimmen. Doch dieses eine Mal will die SPD nicht so streng darauf drücken.
Auch nächste Woche im Landtag genügt es, wenn Crumbach wieder zustimmt, weil SPD und CDU zusammen über 44 von 88 Mandaten verfügen. Nur eine Stimme fehlt ihnen für eine Mehrheit. Hätten sie diese eine Stimme, wäre nach der Landtagswahl 2024[3] vermutlich eine Koalition aus SPD und CDU gebildet worden. So blieb – unter Ausschluss der rechnerisch ansonsten allein noch möglichen Variante einer Koalition von SPD und AfD – nur eine Koalition von SPD und BSW übrig. Dieses Bündnis hat zwei Stimmen über den Durst. Angesichts des eigenwilligen und in Einzelfragen ausscherenden BSW-Abgeordneten Sven Hornauf[4] und anderer Wackelkandidaten wird aber so manche Abstimmung zur Zitterpartie.
Doch nicht Hornauf oder Crumbach bringen diesmal die Koalition an den Rand des Abgrunds. Es ist der am Dienstag überraschend verkündete Austritt von vier anderen Abgeordneten aus der Partei: Parlamentsvizepräsidentin Jouleen Gruhn und Alterspräsident Reinhard Simon sowie Melanie Matzies und André von Ossowski erklären gemeinsam: »Wir haben uns dem BSW angeschlossen, weil wir an die Idee einer neuen politischen Kraft geglaubt haben, die Vernunft, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung in den Mittelpunkt rückt.« Die Hoffnung sei verbunden gewesen mit der sachorientierten und besonnenen Haltung von Sahra Wagenknecht. Doch autoritäre Tendenzen prägten zunehmend das innerparteiliche Klima, der Druck auf Abgeordnete wachse und es dominierten radikalisierte Positionen. Dies werde weder dem Anspruch einer pluralistischen Bewegung noch dem einer demokratischen Partei gerecht. Die Debatte um die Medienstaatsverträge verdeutliche den Verlust an Besonnenheit und Vernunft, die eine starke und zukunftsfähige Partei auszeichnen sollten.
Die Entscheidung sei ihnen nicht leicht gefallen, versichern die vier. Dazu beigetragen habe auch, »dass Ostdeutschland bei der Neuaufstellung des Bundesvorstands sträflich vernachlässigt wird«. Statt Sahra Wagenknecht[5], die diesen Chefposten abgibt, soll der Europaparlamentarier Fabio De Masi das BSW künftig gemeinsam mit der Ex-Bundestagsabgeordneten Amira Mohamed Ali führen. Die Koalition mit der SPD und die Minister der Landesregierung wollen die vier abtrünnigen Landtagsabgeordneten weiterhin stützen, trotz Parteiaustritt weiter der BSW-Fraktion anzugehören. Ministerpräsident Dietmnar Woidke (SPD) lässt von dort aus wissen, dass er an der Koalition festhalten wolle, dringt aber auf zügige Klärung beim BSW.
Sahra Wagenknecht äußert sich zur Sache in dem Umfeld, in dem sie sich wohlfühlt – in einer Fernsehsendung des öffentlich-rechtlichen Senders ARD. Im Gespräch mit Moderatorin Sandra Maischberger sagt Wagenknecht: »Ich finde es wirklich problematisch, wenn einzelne Abgeordnete hier in einer wichtigen Position – und unsere Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist eine wichtige Position – meinen, das müssten sie einfach anders machen, weil sie es vielleicht besser wissen.« Wagenknecht ist aber ebenfalls dagegen, die Koalition mit der SPD aufzukündigen.
»Wir werden mit allen Beteiligten das Gespräch suchen, weil wir verhindern wollen, dass ein Weg der Abspaltung das BSW schwächt«, erläutert die BSW-Landesvorsitzende Friederike Benda[6]. Sie verspricht couragierten Einsatz für die Positionen des BSW, auch wenn dies nicht immer der einfachere Weg sei – »erst recht in einer Zeit, in der die Aufrüstungs- und Kriegspropaganda im Land immer lauter werden«. Benda erklärt: »Wir lehnen die Medienstaatsverträge ab, weil das Eintreten für Meinungsvielfalt und gegen regierungskonforme Meinungsmache schon im Gründungsmanifest eine von vier zentralen Positionen des BSW ist.« Die vorgesehene Reform sei absolut unzureichend, um die Probleme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch nur ansatzweise zu lösen. Deshalb habe sich der Parteivorstand einstimmig und die Landtagsfraktion bei nur einer Gegenstimme entschlossen, die vorgesehene Änderung der Staatsverträge abzulehnen.
Bei der fraktionsinternen Verständigung über den Umgang mit der Angelegenheit hat es allerdings – das gehört zur Vollständigkeit dazu – auch noch drei Enthaltungen gegeben und ein Abgeordneter war abwesend. So ist es durchgestochen und dem »nd« bestätigt worden. Partei und Wähler erwarten, »dass wir – in Regierung oder Opposition – nicht einknicken«, glaubt die Landesvorsitzende Benda. »Wir etablieren uns durch Glaubwürdigkeit, nicht durch Anpassung.«
Im Hauptausschuss hält CDU-Fraktionschef Jan Redmann dem BSW-Fraktionsvorsitzenden Lüders am Mittwoch vor, dieser sei noch am 11. Juni der Meinung gewesen, dass die neuen Medienstaatsverträge im November vom Landtag ratifiziert werden müssten. Als Ministerpräsident Woidke die Staatsverträge wie andere Ministerpräsidenten auch am 6. März unterzeichnete, habe Woidke dazu keine Protokollnotiz abgegeben, dass er sich einer Mehrheit im Landtag für das Vorhaben nicht sicher sei. Nach Überzeugnung von CDU-Politiker Redmann hat es der Ministerpräsident deshalb nicht getan, weil er von einer Verweigerungshaltung des BSW damals nichts habe ahnen können. »Wie ist das eigentlich alles gelaufen?« So fragt Redmann. Er vermutet, erst nach der Einmischung des BSW-Bundesvorstands, der eine Möglichkeit zur Profilierung gesehen habe, seien die Parteifreunde in Brandenburg eingeschwenkt und hätten sich »selbst degradiert zur Bauernfigur im Schachspiel von Sahra Wagenknecht«.
BSW-Fraktionschef Lüders gibt aber lediglich zu, die Sache sei nicht glücklich gelaufen. Er beharrt aber: »Der Koalitionsvertrag kann uns unmöglich dazu verpflichten, Dingen zuzustimmen, die vor unserer Zeit ausgehandelt worden sind.« Lüders verrät freimütig, was das BSW besonders in Rage bringt: »Wir fühlen uns vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht fair behandelt.« In einigen von den Sendern in Auftrag gegebenen Meinungsumfragen tauche das BSW nicht mehr gesondert auf, sondern verschwinde unter den Sonstigen. (Meinungsforschungsinstitute handeln üblicherweise so, wenn die Zustimmung für eine Partei unter zwei Prozent liegt.)
Änderungsanträge der AfD zu den Staatsverträgen lehnt auch Lüders ab. Als Rechtsanwalt bestätigt er, was sein Berufskollege Redmann von der CDU zuvor klargemacht hatte: Durch Änderungsanträge im Brandenburger Landtag lassen sich die Medienstaatsverträge nicht korrigieren, da immer sämtliche Bundesländer der jeweiligen Textfassung zustimmen müssten. Lüders wirft der AfD vor, diese wolle anders als das BSW den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht verbessern, sondern ganz abschaffen. Das zeige sich daran, dass die AfD das ZDF abwickeln wolle. In ihren Änderungsanträgen hatte die AfD-Fraktion vorgeschlagen, »die Zeichenfolge ZDF« aus diversen Textpassagen herauszustreichen.
Der AfD-Abgeordnete Dennis Hohloch beteuert jedoch, seine Partei wolle den öffentlich-rechtlichen Rundfunk keineswegs abschaffen. Jugendliche vor Pornografie und gewaltverherrlichenden Darstellungen zu schützen, wie im sechsten Medienstaatsvertrag vorgesehen, dieses Anliegen teile die AfD selbstverständlich.
Nicht einverstanden ist Hohloch, wenn Medienanstalten das Recht erhalten, unter Berufung auf die nationale Verteidigung oder den Gesundheitsschutz der Bevölkerung Internetangebote aus dem EU-Ausland zu beanstanden, abzumahnen oder gar zu unterbinden, auch Konten der Betreiber zu sperren. Hohloch will von Staatskanzleichefin Kathrin Schneider (SPD) wissen, ob dies nicht nur dazu dienen solle, kritische Berichte zum Krieg in der Ukraine und russlandfreundliche Perspektiven zu unterbinden, wahrscheinlich auch Kritik an drastischen Maßnahmen, wie sie vor Jahren zur Eindämmung der Corona-Pandemie ergriffen worden sind. »Es geht offensichtlich darum, nicht genehme Meinungen zu unterdrücken«, schimpft Hohloch. Vor einer »Zensur durch die Hintertür«, hat auch die BSW-Landesvorsitzende Benda gewarnt.
Staatskanzleichefin Schneider antwortet Dennis Hohloch, es werde keine neue Rechtslage geschaffen, sondern nur die bisher anderswo geregelte Vorgehensweise bei Beanstandungen und Abmahnungen in den Text der Staatsverträge aufgenommen. CDU-Fraktionschef Redmann hält AfD und BSW vor, dass diese doch eigentlich gegen steigende Rundfunkbeiträge seien. Doch im neuen siebten Staatsvertrag sei vorgesehen, die Zahl der Sender zu reduzieren und die Ausgaben zu begrenzen, die ARD und ZDF für Rechte bezahlen, Sportwettkämpfe zu übertragen. Wenn AfD und BSW das blockieren würden, so könnten die Rundfunkbeiträge ab 2029 doch steigen.