Wenige Computerspiele[1] gelten als so niedlich wie »Sims«. Man kann sich Häuser einrichten, Familien zusammenstellen, Jobs suchen, kurz ein komplett neues Leben aufbauen und das war’s dann auch. Im Vergleich zu vielen anderen Spielen, in denen Gewalt im Zentrum steht, wirken die Sims-Spiele noch wie die versprochene Utopie des Digitalen (abgesehen von der berühmten Möglichkeit, seine Sims im Pool ertrinken zu lassen, indem man die Ausstiegsleiter entfernt). Hier können sich Spieler*innen ausprobieren, gerade für queere Menschen war »Sims«, in dem man schon in den 90ern queere Figuren haben konnte, schon immer Vorreiter und digitaler Safe Space für andere Lebensmodelle.
Doch nun ist Unruhe in den Sims-Alltag geraten. Mehrere der bekanntesten Sims-Youtuber*innen haben in den vergangenen Tagen angekündigt, sich aus dem sogenannten EA Creators Network zurückzuziehen, das präferierten Zugang zu neuen Produkten und Anteile an Verkäufen im Gegenzug für Aufmerksamkeit in den sozialen Medien garantiert. Die populäre Sims-Streamerin Kayla Sims alias lilsimsie, deren Youtube-Kanal mehr als 2,2 Millionen Abonnent*innen zählt, erklärte Ende Oktober in einem Statement, sie hoffe, dass Druck aus der Community »die Führung von EA dazu bringt, die langfristigen Folgen dieses Verkaufs zu überdenken und die Werte zu bewahren, die ›Die Sims‹ so beliebt gemacht haben«, wird sie auf »techradar« zitiert[2].
Gemeint ist der geplante Verkauf eines der weltweit größten Computerspielkonzerne, Electronic Arts (EA) an eine Investorengruppe, die vom saudischen Staatsfonds und der von Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner geführten Investmentfirma Affinity Partners angeführt wird. Das Konsortium will den börsennotierten Publisher für rund 55 Milliarden Dollar übernehmen. Neben Sims ist EA vor allem für seine Sportspiele wie »Fifa«[3] oder die »Battlefield«-Reihe bekannt.
Computerspiele sind schon lange kein Nischenphänomen mehr. Die Industrie erzielt mittlerweile höhere Umsätze als Hollywood. Saudi Arabien ist bereits seit einigen Jahren großer Player in der Branche. Der saudische Staatsfonds hält bereits Anteile an Nintendo und Activision Blizzard, das Königreich richtet seit 2022 den Esports World Cup aus und plant, 2027 die ersten Olympischen E-Sports-Spiele zu veranstalten. Hinter diesen Engagements steht eine doppelte Strategie: die wirtschaftliche Diversifizierung jenseits des Öls und ein angestrebter Imagewandel des für seine reaktionäre Politik berüchtigten Landes. Wie die kleinere Golfmonarchie Katar[4], die sich 2022 mit der Fußball-Weltmeisterschaft als weltoffene Gesellschaft inszeniert hat, will Saudi Arabien sich der Welt als moderne Tourismusdestination vermarkten. Kürzlich fand im Königreich zum ersten Mal ein hochkarätiges Comedy-Festival statt.
Die Realität sieht anders aus: Homosexualität steht weiterhin unter Todesstrafe, Frauen dürfen erst seit wenigen Jahren Auto fahren, und die Meinungsfreiheit ist faktisch nicht existent. Auf dem globalen Freiheitsindex von Freedom House belegt Saudi-Arabien einen Platz unter den repressivsten Staaten der Welt. 2018 soll Kronprinz Salman die brutale Ermordung des kritischen Journalisten Jamal Khashoggi in Auftrag gegeben haben. Die andauernde Kriegsführung der saudischen Koalition im Jemen, der gezielte Zerstörung ziviler Ziele vorgeworfen wird, spielt im öffentlichen Diskurs kaum eine Rolle, weder bei Gruppen, die gegen den israelischen Krieg in Gaza demonstrieren, noch bei denjenigen, die sich sonst die Bekämpfung des Islamismus auf die Fahne geschrieben haben.
Saudi Arabien gehört denn auch zu den engsten Verbündeten des Westens. Es ist schließlich eines der größten Ölproduzenten der Welt und ein verlässlicher Partner der USA, wenn es darum geht, unliebsamen politischen Strömungen im Nahen Osten entgegenzuwirken. Das waren historisch vor allem linke Gruppen, denen mit gezielter Finanzierung einer Islamistischen Opposition entgegengewirkt wurde. Der Export der puritanischen wahhabitischen Form des Islams, der vom saudischen Königshaus praktiziert wird, wurde zur außenpolitischen Strategie. Saudi Arabien forcierte die Ausweitung von erzkonservativen religiösen Schulen und Moscheen und verdrängte damit vielerorts progressivere und tolerantere Strömungen des Islam. Heute soll die kulturelle Soft Power neben der Predigt den Werkzeugkasten der Außenpolitik erweitern.
Fans und Streaminggrößen befürchten nun, dass das konservative Weltbild der saudischen Eigentümer zu Zensur bei den Spielen von EA führen könnte. Wo man bisher Pride-Flaggen an sein Haus hängen konnte, das von trans Sims bewohnt sein durfte, könnte nun plötzlich nur noch die heterosexuelle Kleinfamilie erlaubt sein. Der Saudische Staatsfonds lässt verlauten, er werde sich nicht inhaltlich in die Spielentwicklung einmischen. Das Game Assassin’s Creed hat jedoch bereits eine Erweiterung herausgeben, in der man eine saudische Location erkunden kann. Und das auch noch gratis. Dass diese digitale Werbemaßnahme für den Wüstenstaat von dessen Ölreichtum bezahlt sein könnte, liegt als Verdacht nahe.
Die Computerspielindustrie steht ohnehin bereits seit Langem für das oft sehr konservative und vor allem sexistische Weltbild in der Kritik, das es Spieler*innen vermittelt. Doch nicht nur aus Konsumentensicht gibt es in der Branche einiges zu verbessern. Auch die Arbeitsbedingungen der Programmierer*innen und Entwickler*innen verschlechtern sich laufend. Der sogenannte »Crunch«, in dem extreme Überstunden geleistet werden, um Deadlines zu erreichen, gehören zum Alltag.
Dass es auch anders geht, zeigt ein kleiner, aber symbolisch wichtiger Gegenentwurf: Das neu gegründete Studio Summer Eternal, gegründet von ehemaligen Entwickler*innen des millionenfach verkauften antikapitalistischen Rollenspiels »Disco Elysium«. Das Team versteht sich als Künstler*innenkollektiv und Genossenschaft. In seinem Manifest[5] heißt es: »Unsere Kunst ist zu einer Industrie herabgestuft worden, geplündert von korrupten Konzernlenkern, die menschliche Kreativität in Treibstoff für ihre Gier verwandeln.« Die Eigentumsverhältnisse bei Summer Eternal sind radikal: Die Kreativen besitzen die Hälfte des Studios, die restlichen Anteile teilen sich Angestellte und Spieler*innen, während Investor*innen nur eine symbolische Minderheit halten. Es ist ein Versuch, die Machtverhältnisse in der Spielebranche zu demokratisieren.
Beim Streit um EA geht es um mehr als um eine Firmenübernahme. Digitale Räume sind längst Teil einer größeren Auseinandersetzung zwischen Kunst und Kapital, zwischen virtueller Selbstbestimmung und Geopolitik. Wer Games spielt, konsumiert nicht nur Unterhaltung, sondern auch Werte. Ob »Die Sims« künftig noch ein Spiel über Freiheit und Selbstbestimmung sein kann, wird sich nicht allein in den Menüs des Spiels entscheiden, sondern in den Vorstandsetagen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195413.electronic-arts-die-saudis-zuenden-das-sims-haus-an.html