Trotz Lehrermangel: Berlin kürzt bei Lehramtsstudium

Schwarz-Rot will Sonderprogramme für Lehrkräfte­bildung streichen – GEW warnt vor Folgen

Um Lehrer zu werden, nehmen Studierende einige Strapazen auf sich. Kürzungen des Senats könnten die Situation verschlechtern.
Um Lehrer zu werden, nehmen Studierende einige Strapazen auf sich. Kürzungen des Senats könnten die Situation verschlechtern.

»Es gibt Studierende, die echt Bock auf diesen Beruf haben. Aber leider kann man das Studium aktuell nicht empfehlen«, sagt Kevin Gumprecht auf einer Pressekonferenz der Bildungsgewerkschaft GEW am Mittwoch. Gumprecht studiert Sport und Politik auf Lehramt. Nicht nur die Aussicht auf eine katastrophale Unterbesetzung an Berliner Schulen macht ihm zu schaffen, auch der Zustand seines Studiengangs. Und es könnte noch schlimmer werden. Am Freitag wird im Hauptausschuss darüber abgestimmt, ob die Sonderprogramme »Beste Lehrkräftebildung« und »Steigerung Lehramtsabsolvierende«, für die 2025 noch 19 Millionen Euro vorgesehen waren, dem Rotstift zum Opfer fallen.

Sonderprogramme fürs Lehramt

Die beiden Programme waren unter Rot-Rot-Grün aufgesetzt worden, um die Universitäten mit mehr Personal auszustatten und so mehr Lehramtsstudierende zum Abschluss zu bringen. Die aktuelle schwarz-rote Koalition will die Mittel in die Hochschulverträge aufnehmen. Philipp Dehne von der Initiative Schule für alle hält das für Augenwischerei. Bei den Hochschulverträgen werde auch gekürzt. Für 2025 wurde den Hochschulen eine Sparauflage in Höhe von 145 Millionen Euro auferlegt. Zwar sollen im kommenden Jahr die Landeszuschüsse wieder steigen, doch sie bleiben unter dem Niveau von 2024. Im Hinblick auf die Sonderprogramme sagt Dehne: »Das heißt, diese Summen sind futsch.«

Neben den Kürzungen sollen die Ausbildungsziele der Universitäten gestutzt werden. Bislang sollen sie pro Jahr 2500 neue Lehrkräfte ausbilden. Künftig soll dieses Ziel auf 2200 sinken. »Diese Zahl hat nichts mit dem Bedarf zu tun«, sagt Felicia Kompio von der GEW Berlin. Außerdem würden die Ziele schon jetzt nicht erreicht. 2022 schlossen nur 1259 Personen das Studium ab. »Das hat mit der Attraktivität des Studiums zu tun.«

Probleme der Studierenden

Gumprecht etwa wird sein Studium nicht in der Regelstudienzeit abschließen können. Das hat mehrere Gründe. Einer davon: ein fehlender Schwimmkurs. »Es gibt 400 Bewerber*innen für 80 Plätze. Ohne dieses Seminar werde ich Folgemodule nicht belegen können«, sagt er. Dazu kommen die teuren Lebenshaltungskosten. 75 Prozent aller Lehramtsstudierenden seien berufstätig, vor allem in Schulen. »Um beim Beispiel des Schwimmkurses zu bleiben: Dann fällt der vielleicht auf einen Tag, an dem ich an der Schule arbeite. Dann stehe ich vor der Wahl: Lebensunterhalt oder Regelstudienzeit.«

Probleme bei der Kursplatzvergabe haben auch andere. Bei Studierenden, die Lehrer*innen für Englisch, Französisch oder Spanisch werden wollen, mangele es an Sprachkursen, so der Student. Und in den Naturwissenschaften seien es Tutorien. Auch bei der Betreuung der Abschlussarbeiten hapert es. »Ich bin noch im Bachelor, mir wird aber jetzt schon geraten, einen Betreuer für meine Masterarbeit zu suchen.«

Neben fehlenden Plätzen für Pflichtkurse bemängelt Gumprecht auch die Betreuung an den Universitäten. Die Kurse seien so voll, dass ein Austausch kaum möglich sei. Viele Kompetenzen würden nicht vermittelt. Abhilfe dafür schaffen ehrenamtliche Initiativen wie der Verein Kreidestaub, in dem Gumprecht aktiv ist. Kreidestaub organisiert unter anderem Lernreisen und Hospitationen. In den letzten Jahren hätten über 1000 Studierende an den vom Verein organisierten Aktivitäten teilgenommen. Gumprecht meint, dass diese Aufgaben eigentlich von den Universitäten übernommen werden müssten. Die geplanten Kürzungen hält er deswegen für ein »fatales Signal«.

Lehrkräftemangel an Schulen

Bedarf an neuen Lehrer*innen gibt es auf jeden Fall. »Bis 2030 haben wir jährlich einen Einstellungsbedarf von 4000 Stellen«, sagt Philipp Dehne. Schon jetzt gebe es einen erheblichen Mangel. Laut GEW sind 1300 Vollzeitstellen nicht besetzt – mit entsprechenden Folgen.

Der Mangel werde durch die Bildungsverwaltung verschleiert, sagt Matthias Jähne von der GEW. Diese spricht offiziell von 322 fehlenden Lehrkräften. Die Diskrepanz ergibt sich zum einen dadurch, dass Referendar*innen nicht mehr sieben, sondern zehn Stunden pro Woche unterrichten müssen – rechnerisch 470 Vollzeitstellen. Außerdem seien kurzerhand 500 Stellen für die Einstellung anderer Berufsgruppen umgewandelt worden, etwa Erzieher*innen oder Psycholog*innen. Und: Ein beträchtlicher Teil der neu eingestellten Lehrkräfte sind Quereinsteiger*innen.

Nur circa 23 Prozent der neu eingestellten Lehrkräfte würden über eine vollständige Lehramtsausbildung verfügen, erklärt Jähne. »Die Schulen stopfen Lücken.« Die Unterstützung sei enorm wichtig, ersetze aber nicht die Arbeit der Lehrkräfte. »Ein Medienpädagoge gibt keinen Matheunterricht.« Philipp Dehne sagt, bei der Lehrkräfteausbildung zu kürzen, sei »absolut verantwortungslos«.

Wegen dieser Zustände fordert die GEW, dass die Sonderprogramme weitergeführt und ausfinanziert werden sollen und die Zielzahl für Lehramtsabsolvent*innen bei 2500 bleibe. Bezogen auf die Situation an den Schulen fordert die Gewerkschaft die Landesregierung auf, die Zahl der fehlenden Lehrkräfte »ehrlich und transparent« darzustellen.

Unterstützung bekommt die GEW von der Opposition. »Auch wir sehen die Kürzungen im Bereich der Lehrkräftebildung mit großer Sorge und teilen die Bedenken von GEW Berlin, Schule muss anders und Kreidestaub«, teilen Laura Neugebauer, Sprecherin für Wissenschaft und Forschung, und Louis Krüger, Sprecher für Schulpolitik mit. Beide sitzen für die Grünen im Abgeordnetenhaus.

»Schwarz-Rot bringt mit diesem Änderungsantrag nicht nur den vom Vorgängersenat angestoßenen, dringend benötigten Kapazitätsausbau zum Erliegen«, erklärt Franziska Brychcy, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Dadurch würden absehbar noch weniger Studierende ihr Studium erfolgreich zum Abschluss bringen, obwohl das Land Berlin nach wie vor händeringend Lehrkräfte suche.

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