Dass die Linkspartei im Aufwind ist, lässt sich schon am Interesse der Öffentlichkeit für sie erkennen: Waren die Pressekonferenzen, zu denen die Partei traditionell im Vorfeld ihrer Landesparteitage einlädt, in der Vergangenheit überschaubare Runden, versammelten sich am Dienstagvormittag Vertreter aller größeren Zeitungen im Karl-Liebknecht-Haus, der Parteizentrale der Sozialisten in Mitte.
Entsprechend optimistisch blicken die Landesvorsitzenden Maximilian Schirmer und Kerstin Wolter auf den Abgeordnetenhaus-Wahlkampf im kommenden Jahr. »Das Ziel ist klar: stärkste Kraft werden«, gab Schirmer zu Beginn als ambitionierte Zielsetzung vor. Man wolle Schwarz-Rot ablösen. Aktuell steht Die Linke in Umfragen in der Hauptstadt bei 17 Prozent – knapp vor der SPD mit 16 Prozent, aber mit deutlichem Abstand zu Kai Wegners CDU, die auf 23 Prozent taxiert wird.
Am Samstag soll im Tagungszentrum am Dong-Xuan-Center in Lichtenberg nun der »Startschuss für den Wahlkampf« fallen, wie Landesgeschäftsführer Bjoern Tielebein es formulierte. Die designierte Spitzenkandidatin Elif Eralp soll auf dem Parteitag ihren ersten größeren öffentlichen Auftritt absolvieren und anschließend von den Delegierten auch offiziell zur Spitzenkandidatin ernannt werden. »Die Partei wird ausrasten«, prophezeite Tielebein.
Was am Ende in Eralps Redemanuskript stehen wird, weiß sie nur selbst, doch das wichtigste Thema ihrer Ausführungen dürfte bereits feststehen: »Wir wollen Berlin wieder bezahlbar machen, das ist der Schwerpunkt«, fasste Landesvorsitzende Kerstin Wolter die inhaltlichen Eckpunkte des Linke-Wahlkampfs zusammen. »Für Vonovia und Co. ist Berlin nur ein Markt, für uns ist es das Zuhause«, so Wolter. Die Linke wolle sich mit »illegalen Vermietern, dreisten Vermietern« anlegen. Die Linke wolle nun bestehende Regeln auf dem Wohnungsmarkt effizienter umsetzen. »Law and Order muss endlich die Richtigen treffen«, forderte Wolter.
Auch abseits von Wohnungen will die Linkspartei sich auf Infrastruktur konzentrieren. »Wir sind die Partei der Ökonomie des Sozialen«, erklärte Wolter. »Soziale Infrastruktur ist zentral für die Entwicklung der Stadt.« Die Sozialisten wollen laut Leitantrag Seniorenzentren, Jugendclubs, öffentlichen Nahverkehr, Krankenhäuser, Kultureinrichtungen, Schulen und Hochschulen stärken. Dafür sollen die finanziellen Prioritäten verschoben werden. »Wir müssen wegkommen von Großevents«, so Wolter. »Wer braucht eine Expo, wenn die S-Bahn nicht fährt?«
Auch einen Zankapfel mit Tradition werden die Linken am Wochenende diskutieren: Während im Heiligen Land selbst die Waffen inzwischen schweigen, könnte der nur notdürftig befriedete Streit um Nahost in der Linkspartei erneut eskalieren. Auf der Tagesordnung stehen eine Reihe von Anträgen zu dem Thema, das vor kaum mehr als einem Jahr schon einmal für so viel Streit sorgte, dass mehrere prominente Linke wie die ehemaligen Senatoren Klaus Lederer und Elke Breitenbach die Partei verließen.
Am Samstag soll nun ein Antrag der Landesarbeitsgemeinschaft Palästinasolidarität behandelt werden, der vom Berliner Linke-Landesverband ein Bekenntnis zu den Zielen der antiisraelischen Kampagne Boycott, Divest, Sanction verlangt. Der ökonomische, kulturelle und akademische Boykott Israels sei ein Weg, »um Apartheid, Besatzung und Genozid zu beenden«, heißt es in dem Antrag. In der Konsequenz würde das etwa bedeuten, dass Berliner Universitäten Studierendenaustauschprogramme mit israelischen Hochschulen beenden müssten.
Das Vorhaben dürfte auf größeren Widerstand stoßen: Der Boykott-Bewegung BDS hängt der Vorwurf des Antisemitismus an[1]. Wenig dabei geholfen haben, diesen Eindruck zu zerstreuen, dürfte ein Statement, das auf der internationalen Webseite der BDS-Bewegung im Nachgang des Hamas-Massakers im Süden Israels am 7. Oktober 2023 veröffentlicht wurde: »Wir glauben, dass die heroischen Taten der Hamas-Kämpfer gegen die Kräfte der Besatzer für ihr Ziel der Befreiung der gestohlenen Länder sinnvoll sind«, heißt es darin. Das Massaker wird dort als »verdiente Antwort auf die Aggression der zionistischen Besetzer« bezeichnet.
»Wir können den Wahlkampf kaum erwarten.«
Maximilian Schirmer Linke-Landesvorsitzender
Ein Beschluss würde wohl auch Kreise weit hinaus über die Linkspartei selbst ziehen: SPD und Grüne dürften in diesem Fall auf deutliche Distanz zur Linken gehen, ein rot-rot-grünes Bündnis damit in weite Ferne rücken. Manchen scheint das nicht unlieb zu sein: Parallel stellt der Jugendverband Solid einen Antrag, schon während des Wahlkampfs jeder Regierungsbeteiligung eine pauschale Absage zu erteilen.
Ebenfalls von dem Jugendverband stammt ein Antrag, der die Partei verpflichten soll, den Krieg in Gaza als »Genozid« zu bezeichnen. Der Berliner Solid-Landesverband war es auch[2], der beim Bundeskongress des Linke-Jugendverbands den später von der Parteiführung verurteilten Beschluss einbrachte, der Israel als »koloniales und rassistisches Staatsprojekt« bezeichnet.
»Zum Bundeskongress haben sich die Parteivorsitzenden geäußert, wir können uns dem anschließen«, kommentierte Maximilian Schirmer. Die wiederum hatten erklärt, dass der Beschluss »inhaltlich nicht mit den Positionen der Linken vereinbar« sei. Er habe Verständnis dafür, dass die Debatten im Jugendverband »hitzig geführt« würden – eine freundliche Umschreibung für die Vorgänge beim Bundeskongress, bei dem proisraelische Delegierte nach heftigen Drohungen frühzeitig abreisten.
Um eine Eskalation zu verhindern, setzt der Landesvorstand auf Kompromissfindung. Ein von Vertretern beider Lager gemeinsam eingebrachter Antrag soll die geteilten Positionen herausstellen. »Wir wollen eine verbindende Sprache finden und den Dialog in den Mittelpunkt stellen.«, sagte Landesvorsitzende Kerstin Wolter.
Konkret soll das bedeuten: Palästina soll anerkannt werden, israelische Politiker sollen vor internationalen Gerichtshöfen verurteilt werden, und Israel soll Reparationen an die Palästinenser zahlen. Allen diesen Forderungen ist gemein, dass die Berliner Landespolitik wenig für ihre Umsetzung tun kann. Dass sich das propalästinensische Lage mit dem Kompromissvorschlag zufriedengeben wird, ist daher fraglich.
Ob vom Landesparteitag am Ende wirklich das erhoffte Signal der Einigkeit ausgeht, ist daher noch unklar. Bei manchen Aussagen wirkt es fast so, als wollten die Linke-Spitzenpolitiker die Versammlung selbst schnell hinter sich bringen: »Wir können den Wahlkampf kaum erwarten«, sagte Maximilan Schirmer.