Wasserstoff gilt als Wundermittel der Energiewende.[1] Bei seiner Verbrennung entsteht nur Wasser und kein Kohlendioxid. Er kann als Kraftstoff in der Luftfahrt und zur Stromerzeugung dienen und lässt sich auch sehr gut zur Synthese verschiedenster Stoffe nutzen. Wasserstoff ist allerdings sehr reaktiv – Stichwort Knallgasexplosion – und sehr flüchtig. Er muss deshalb in besonders dichten Behältnissen transportiert und gelagert werden.
»Neben diesen Schwierigkeiten bringt Wasserstoff aber auch viele Vorteile mit sich«, sagt Steffen Neumeier von der Universität Erlangen-Nürnberg. Der Werkstoffwissenschaftler erforscht gemeinsam in der Kollaboration »H2Mat« mit Partnern von der TU München und den Unternehmen VDM Metals und MTU Aero Engines einen weniger bekannten Aspekt der kommenden Wasserstoffwirtschaft: Da Wasserstoffatome so klein sind, können sie gut in andere Materialien hineindiffundieren und damit deren Eigenschaften verändern. »Insbesondere bei metallischen Legierungen kann das zu einer sogenannten Wasserstoffversprödung führen, wodurch die Festigkeit und Belastbarkeit dieser Stoffe stark abnimmt«, erklärt Neumeier.
Bei Verbrennungsprozessen werden Werkstoffe enormen Belastungen ausgesetzt. Die Turbinenschaufeln in einem Düsentriebwerk[2] oder auch die Turbine eines Gaskraftwerks müssen große mechanische Kräfte bei hohen Temperaturen in korrosiven Umgebungen aushalten. Wenn das Material versprödet, kann das zu fatalen Rissen führen. Deshalb hat die Kollaboration H2Mat insbesondere die sogenannten Superlegierungen im Fokus, die sich durch außerordentlich hohe Festigkeit und Temperaturbeständigkeit auszeichnen.
»Um den Einfluss von Wasserstoff zu verstehen, vergleichen wir deshalb das Verhalten verschiedener Legierungen einmal mit und einmal ohne Wasserstoff im Material«, sagt Neumeier. Doch wie bekommt man den Wasserstoff kontrolliert in die Metalle hinein? Dazu nutzen die Forscher zwei Methoden: »Das schaffen wir entweder durch elektrochemische Beladung, indem wir den Wasserstoff also mit der Unterstützung eines elektrischen Potenzials in das Material diffundieren lassen. Oder unter einer Hochdruck-Wasserstoffatmosphäre bei hohen Temperaturen in einem sogenannten Autoklav.« Bei einem Druck von rund 1000 Bar und Temperaturen von 300 Grad Celsius lassen sich auch Superlegierungen mit Wasserstoff nicht nur oberflächennah beladen.
Anschließend charakterisieren die Wissenschaftler die mechanischen Eigenschaften wie etwa die Zugfestigkeit, erforschen aber auch die Mikrostruktur. »Das ist sogar besonders wichtig«, erklärt Neumeier. Denn bislang ist zwar bei vielen Legierungen bekannt, wie sie sich etwa bei hohen Temperaturen verhalten. Aber der Grund für dieses Verhalten liegt in der nur schlecht verstandenen mikroskopischen Struktur der Werkstoffe – vor allem, wenn auch noch Wasserstoff ins Spiel kommt. Dann ist ein gutes Verständnis der Mikrostruktur wichtig, um gezielt neue Werkstoffe zu entwickeln, welche die damit einhergehenden Veränderungen möglichst gut vertragen.
Wenn Wasserstoff in eine Legierung eindringt, lagert er sich vorzugsweise etwa an bestimmten Plätzen im Kristallgitter an wie den Korngrenzen, an denen sich die Orientierung der Kristalle abrupt ändert. Je nachdem, um was für ein Kristallgitter es sich bei einer bestimmten Legierung handelt, können die Menge an aufgenommenem Wasserstoff und die Geschwindigkeit, mit der das passiert, deutlich variieren.
Wasserstoff ist sehr reaktiv und sehr flüchtig.
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Grundsätzlich führt das Eindringen von Wasserstoff dazu, dass sich das Kristallgitter ein wenig aufweitet. Das bewirkt die unerwünschte Wasserstoffversprödung. »Aber dieser Effekt kann sehr unterschiedlich sein«, so Neumeier. »Bei einer experimentellen Legierung etwa haben wir eine massiv verschlechterte Bruchdehnung beobachtet, welche die Verformbarkeit eines Werkstoffs bis zum Bruch beschreibt – der Werkstoff war also praktisch unbrauchbar geworden.« Bei einer der derzeit kommerziell verfügbaren Superlegierungen war die Versprödung hingegen eher geringfügig.
Um die Oberflächen der verschiedenen Legierungen zu untersuchen, nutzt das Team eine ganze Reihe von Verfahren, darunter die klassische optische Mikroskopie und Elektronenmikroskopie. Um tiefer ins Material hineinzuschauen, bieten sich einerseits Röntgenstrahlung und andererseits Neutronenstrahlung an.
Jede Methode hat ihre Vor- und Nachteile. »Mit Röntgenstrahlung kann man zwar ein Objekt gut durchleuchten, aber viele Erkenntnisse lassen sich nur mit Neutronenstrahlung gewinnen«, so der Forscher. Neutronen, wie sie etwa vom Forschungsreaktor FRM II in Garching[3] oder vergleichbaren Forschungsreaktoren geliefert werden, sind sehr durchdringend. Man kann mit ihnen ganze Motorblöcke oder große Turbinenschaufeln durchleuchten. Außerdem haben Neutronen fast die identische Masse wie die Wasserstoffatomkerne. Dadurch werden sie beim Durchleuchten eines Werkstoffs von den Wasserstoffatomen abgelenkt. Das liefert wichtige Einblicke, wie sich der Wasserstoff in dem Werkstoff verteilt.
Die Legierungszusammensetzung und die resultierende Mikrostruktur der Superlegierungen scheinen einen sehr großen Einfluss auf die Wasserstoffversprödung zu haben. Es gibt noch viele offene Fragen, die das Team in den kommenden Forschungsprojekten angehen will. Superlegierungen bestehen aus bis zu 15 verschiedenen Legierungselementen und geringfügige Unterschiede in den komplexen chemischen Zusammensetzungen können zu völlig anderen Werkstoffeigenschaften führen. »Wenn nun etwa in einer Brennkammer oder Turbine noch der Faktor Wasserstoff ins Spiel kommt, dann können die eingesetzten Werkstoffe durchaus ein anders Verhalten zeigen, als wir es bisher gewohnt sind«, schließt Neumeier. Man darf also gespannt bleiben, welche neuen und optimierten Materialien sich in den nächsten Jahren durchsetzen werden, wenn die Wasserstoffwirtschaft erst so richtig in Schwung kommt.