nd-aktuell.de / 13.11.2025 / Politik

Marokkos Jugend fordert »Schulen statt Stadien«

Zehntausende demonstrieren gegen die Regierung von König Mohamed VI. Statt Prestigebauten für die Fußball-WM fordern sie Krankenhäuser

Mirco Keilberth
Fünf Sterne für teure Hotels, ein halber für Krankenhäuser (»Hopital«): Junge Marokkaner demonstrieren gegen den Verfall der Gesundheitsversorgung.
Fünf Sterne für teure Hotels, ein halber für Krankenhäuser (»Hopital«): Junge Marokkaner demonstrieren gegen den Verfall der Gesundheitsversorgung.

Wie aus dem Nichts strömten Anfang Oktober junge Marokkaner auf die Straßen. Zehntausende demonstrierten in zwölf Städten für bessere Krankenhäuser, soziale Gerechtigkeit und mehr Jobs. Auslöser war der Tod mehrerer junger Mütter, die nach der Geburt ihrer Kinder in einer Klinik der Hafenstadt Agadir starben. Die Regierung kündigte umgehend eine Untersuchung an und glaubte, die Empörungswelle damit eingedämmt zu haben. Schließlich hatte die Regierung kurz vor dem Skandal massive Investitionen für 2030 angekündigt, das Jahr, in dem Nordafrikas Boom-Land zusammen mit Spanien und Portugal die Fußball-WM ausrichten wird. Bis dahin sollen das größte Fußballstadion der Welt, Dutzende neue Schnellzugtrassen, Freihandelszonen und Hotels für die Verdoppelung der Touristenzahlen entstehen.

Die Modernisierungsstrategie von König Mohamed VI. kommt bei den Älteren gut an. Die Generation Z hingegen hält den Plan für größenwahnsinnig und meint, dass er an den grundsätzlichen Problemen des Landes nichts ändert. »Vom Strukturwandel der letzten Jahre haben die Mittel- und Oberschicht profitiert«, klagt Ahmed, ein 23-jähriger Student der Ingenieurwissenschaften. »Arme Familien mussten den Neubauten der gentrifizierten Innenstädte weichen und kämpfen wegen der steigenden Lebenskosten auch in den Vorstädten ums wirtschaftliche Überleben.«

In Orten wie Beni Mellal, Nador, Quarzazate oder Guelmim regnet es in die Dächer von Schulen, fehlt es in Krankenhäusern an Medikamenten. Es gibt keine Jobs, die es den unter 30-Jährigen ermöglichen würden, aus dem Haus ihrer Eltern auszuziehen und eine eigene Familie zu gründen. »Würde, Freiheit und soziale Gerechtigkeit« skandierten die Massen und »Wo sind die Krankenhäuser?«

Mindestens drei tote Demonstranten, 250 verletzte Polizisten und mehrere Hundert Verhaftete ist die Bilanz dieses Aufbegehrens, das (wie auch die Proteste der vergangenen Tage in Tansania) über eine Gaming-Plattform organisiert worden war. Der marokkanische Regierungschef Aziz Akhannouch musste gehen, neben der gezielten Verhaftung von Rädelsführern beruhigten die Berater des Königs die Lage mit einem Gesprächsangebot. Diese Taktik hatte schon während des arabischen Frühlings vor 14 Jahren funktioniert.

Der Zorn der unter 30-Jährigen hat mit einem Phänomen zu tun, das in Marokko ebenso wie im Irak oder in Kenia zu beobachten ist: die Privatisierung von Schulen und Krankenhäusern. Nach dem Scheitern mehrerer Bildungsreformen schicken neureiche marokkanische Familien ihre Kinder heute an Privatschulen. Wer an den maroden öffentlichen Schulen unterrichtet wird, dem bleibt oft nur der Weg in die Arbeitslosigkeit, die 40 Prozent der unter 30-Jährigen betrifft.

Die Generation Z stellt laut Unicef zwei Drittel der marokkanischen Bevölkerung und nahm bisher nicht am politischen Leben teil. Dies ändert sich nun, auch wenn die Proteste vorerst abgeklungen sind. »Es herrscht Ruhe vor dem nächsten Sturm«, sagt einer der Gen-Z-Aktivisten denn auch. Unter den verhafteten Demonstranten waren auch Marokkos Star-Torwart Yassine Bounou und der berühmte Rapper El Grande Toto. Durch ihre Namen hat die Bewegung alle Gesellschaftsschichten erreicht.

König Mohamed VI. erwägt nun Investitionen im Gesundheitswesen und in Schulen. Denn vor dem im Dezember in Marokko stattfindenden Africa Cup, dem wichtigsten Fußballturnier des Kontinents, soll es um jeden Preis ruhig bleiben.